Süddeutsche Zeitung

iDesign:Der Weltveränderer

  • Jonathan "Jony" Ive hat nach zwanzig Jahren als Chefdesigner bei Apple gekündigt. Er entwarf das iPhone, den iMac und den iPod.
  • Ive hat mit seinen Ideen nicht nur Designgeschichte geschrieben, sondern das Verhalten aller Menschen verändert, die ein Smartphone besitzen.
  • Ein Umbruch im Design von Apple wird unweigerlich kommen und ist ein Befreiungsschlag - nicht nur für Apple.

Von Jörg Häntzschel

Würden Forscher aus historischen Epochen, der Renaissance oder den Neunzigerjahren, eine Zeitreise in das Jahr 2019 unternehmen, würden sie sehr staunen. Was, würden sie rätseln, ist nur dieser flache Gegenstand, handgroß, nach dem viele Menschen noch im Halbschlaf tasten wie Süchtige. Den sie in die Hand nehmen, noch bevor sie ihre Partner geküsst, ihre Kinder umarmt haben. Auf dem sie herumwischen, auf den sie ihre Finger legen, in den sie schauen wie in einen Spiegel. Und der immer in ihrer Nähe bleibt, als gäbe es ein magisches Band.

Es ist ein Telefon, würde man dem Wissenschaftler aus den Neunzigern sagen, aber es kann auch Musik spielen, Filme zeigen und Fotos machen, man bezahlt damit und kommt damit ins Internet, ganz ohne Modem. - Es ist das Tor zu allem Wissen der Welt, es ist eine Erweiterung des Gehirns, Zaubermittel gegen Einsamkeit und Langeweile. Und wenn es dunkel ist, leuchtet es, viel heller als Kerzen. Das würde man dem Renaissance-Menschen sagen. Doch das würde den Forschern natürlich nicht genügen. "Wie ist das möglich, mit nur drei Knöpfen?", würde der Mann aus den Neunzigern fragen. "Was sagt die Kirche dazu?", der aus der Renaissance.

Das müsst ihr Jonathan "Jony" Ive fragen, würde man ihnen antworten. Denn der heute 52-Jährige hat dieses Gerät, das iPhone, erfunden und gestaltet. Vielleicht würde er, der ja sonst kaum spricht, sie jetzt ja sogar empfangen. Denn am Donnerstagabend hat Ive nach 20 Jahren bei Apple seinen Rücktritt als Chefdesigner erklärt. Er will sich mit einer eigenen Firma "LoveFrom" selbständig machen. Es ist das Ende einer Ära. Ive, nicht Tim Cook, der CEO, Zahlenmensch und Lieferketten-Aufseher, war der wahre Nachfolger von Apple-Gründer Steve Jobs.

Ive ist präsent im Leben aller Menschen, die ein Smartphone haben

Ive hat angekündigt, mit seiner Firma auch in Zukunft für Apple zu arbeiten. Ein jäher Umbruch im Apple-Design ist also vorerst nicht zu erwarten. Und doch wird er unweigerlich kommen. Nach mehr als 20 Jahren beginnt das Ende einer Karriere, in der Ive von einem skrupulösen Londoner Studenten der Gestaltung zum einflussreichsten Designer wurde, den es je gab. Ive ist nicht nur präsent im Leben der 1,4 Milliarden Menschen, die ein iPhone oder einen Mac benützen. Sondern auch in dem von allen, die ein Smartphone haben. Alle gehen auf die Ideen von Jobs und Ive zurück. Ive ist mitverantwortlich dafür, dass wir Musik nicht mehr auf CDs hören, dass wir uns ständig Fotos schicken, dass wir uns nicht mehr verlaufen können. Und dafür, dass die Anonymität für immer verloren ist.

Dass Ive jetzt geht, leuchtet ein. Es hat, so ließe sich zumindest spekulieren, auch mit Ives Design-Ethos zu tun. Apple, das erfolgreichste und wertvollste Unternehmen der Welt, tut alles, um so viele Produkte zu verkaufen und so viel Profit zu machen wie möglich. Gleichzeitig aber tat Ive alles, um diese Produkte zeitloser und langlebiger denn je zu machen, um ihren symbolischen und praktischen Wert zu erhalten und sie vor der Trash-Werdung, dieser kapitalistischen Krankheit, zu schützen. Das war sein Dilemma bei Apple: Er war rastloser Innovator. Gleichzeitig sollte jedes seiner Produkte einen Grad der Perfektion erreichen, der weitere Innovation erübrigte. Darin liegt einer der Gründe dafür, dass die Verkaufszahlen des iPhones in den letzten Monaten erstmals gesunken sind. Die Leute sahen keinen Grund, ein neues zu kaufen. Das alte lief ja noch bestens. Und auch die ästhetische Krise bei Apple ist darauf zurückzuführen. Jahrelang begeisterte Ive mit immer radikaler reduzierten, dünneren und leichteren Geräten. Doch mit jedem Schritt hin zu noch konsequenterem Minimalismus reduzierte er auch seine Gestaltungsmöglichkeiten. Irgendwann blieb ihm nichts mehr als Varianten der schon auf das Minimum reduzierten Form.

Dabei begann seine Zeit bei Apple ganz anders. Als Steve Jobs in den Neunzigern den jungen, schüchternen Engländer kennenlernte und in ihm eine verwandte Seele erkannte, lag Apple am Boden. Die frühen Erfolge hatten sich nicht fortsetzen lassen, der Marktanteil schrumpfte, die Firma bewegte sich auf die Pleite zu. Der 1985 vom Aufsichtsrat davongejagte Steve Jobs kam zurück, um Apple zu retten. Und Ive spielte dabei eine zentrale Rolle.

Ive entwarf den ersten iMac, einen freundlichen Kloß, mit dem Jobs die erfolglosen Versuche seiner Vorgänger, den Mac als seriöse Büromaschine durchzusetzen, in einem psychedelischen Trip hinter sich ließ. "Think Different", lautete das Motto. Der iMac sollte mit seinem Kindchenschema und seiner Poppigkeit das werden, was der VW-Käfer für die Woodstock-Generation war: das liebenswerte Konsumprodukt. Statt das Plastikgehäuse im üblichen Beige-Grau unsichtbar zu machen, gab Ive ihm bunte "flavors" oder machte es so transparent, dass man wie in ein Aquarium in die Innereien lugen konnte. Computer sahen plötzlich nicht mehr nach Arbeit aus, sondern nach Freizeit, nicht mehr alt, sondern jung, nicht mehr nach Angestellten-Joch, sondern nach Kreativität. Das Ding verkaufte sich millionenfach. Doch Ives Kunststoff- und Biomorphismus-Phase hielt nicht lange an. Sie endete 2001 mit dem PowerBook G4 und dem iPod. Plötzlich war Schluss mit dem bunten Kunststoff-Rausch. Ives asketische Ära begann. Nachdem er die Präsenz der Computer maximal hochgepitcht hatte, arbeitete er nun an deren Verschwinden.

Man führte Ives neuen Kurs zurecht auf das Bauhaus zurück, auf die Ulmer Schule und besonders das Braun-Design von Dieter Rams. Es war nicht schwer, auf diesen Gedanken zu kommen: Der iPhone-Taschenrechner ist nichts anderes als eine digitale Version von Rams' Braun-Gerät. Das viele Weiß, die eckigen Formen ließen an Rams' Stereoanlagen denken.

Hinzu kam ein protestantisches Ethos der Sparsamkeit und der Disziplin. Statt den Kunden mit immer neuen Gimmicks zu belästigen, reduzierten Jobs und Ive das Angebot radikal und bauten in die Produkte nur das ein, was ihnen sinnvoll erschien. Sehr oft bauten sie auch Dinge aus. Erst musste das Floppy-Laufwerk dran glauben, dann folgte das CD-Laufwerk. Als Ive bei Apple außer der Hardware auch die Software unterstellt wurde, setzte er sein Reduktions-Programm im ganzen Apple-Universum durch. Die Bonbon-Icons verschwanden ebenso wie die Skeuomorphismen, also jene digitalen Imitationen von Notizpapier oder Leder, mit denen das iPhone den Usern anfangs noch den Weg in die Digitalisierung erleichterte.

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Doch kaum war das geschafft, löste sich Ive aus der Enge des Bauhaus-Erbes. Um der Banalisierung des Minimalismus zu entgehen und den Epigonen zu entkommen, rettete sich Ive in Luxus und Auratisierung. Statt wie früher die Funktionen offenzulegen (der iMac hatte sogar einen Tragegriff), verbarg sie Ive immer weiter. Sein Ideal waren glatte, maximal verdichtete Körper, die ihre Geheimnisse um keinen Preis offenbaren, so wie der Monolith aus "2001: Odyssee im Weltraum".

Aus form follows function wurde dabei immer öfter function follows form. Wie bei den neuen MacBooks, die so zusammengeklebt sind, dass sie sich kaum noch reparieren lassen. Oder beim iPhone, dem der Kopfhörerstecker wegoperiert wurde. Ives Regiment nahm ideologische Züge an, seine Mission war an einen toten Punkt gekommen. Er beharrte darauf, den Menschen magische Objekte zu verkaufen, doch die wollen nur sehr gute Alltagswerkzeuge. Sie arrangierten sich, indem sie die zum Abschlecken schönen 1000-Euro-iPhones in 5-Euro-Plastikhüllen steckten. Ives Weggang ist also ein gesunder Befreiungsschlag. Nicht nur für Apple, auch für das Design.

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Quelle:
SZ vom 29.06.2019/tmh
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