Jon Stewart: Politische Satire:Im Auge des Shitstorms

Meister der medialen Mimikry: Der amerikanische Late-Night-Moderator Jon Stewart hat die politische Satire neu erfunden - und führt mit "Earth - The Book" jetzt sogar die amerikanische Bestseller-Liste an.

Tobias Moostedt und Jan Füchtjohann

Kindersachbücher wie die "Was ist was?"-Reihe sind ein Kuriositätenkabinett in 2D: Wer den schweren Buchdeckel aufschlägt, findet eine glitzernde Sammlung von Gemälden, Hieroglyphen, Landkarten und Dinosaurier-Skeletten. Man riecht altes Pergament, schmeckt das Salz der Weltmeere und hört das Klirren weit entfernter Schlachten. Fett und groß gedruckte Texte über das Ökosystem der Regenwälder oder die Kultur der Mayas stehen neben bunten Bildern von Würmern und Illustrationen der Weizenernte.

Obama doziert bei Comedy-Show

Investigative Comedy: Der amerikanische Präsident Barack Obama am Mittwoch in Jon Stewarts "Daily Show".

(Foto: dpa)

So werden Kinder unterhaltsam mit der Welt, ihren Bewohnern, Geschichten und Gesetzen konfrontiert. Was bedeutet es also, dass Jon Stewart sein jüngstes Buch in diesem "Was ist was"-Format verfasst hat? Der Jon Stewart, der auf dem amerikanischen Fernsehkanal Comedy Central die unglaublich erfolgreiche Nachrichtensatire "The Daily Show" moderiert, in der in dieser Woche der amerikanische Präsident Barack Obama eine gesamte Sendung lang ganz ernsthaft gezwungen wurde, sich für seine Politik zu rechtfertigen, und der am kommenden Samstag einen voraussichtlich von Hunderttausenden besuchten Marsch auf Washington plant, um dort die Vernunft zu retten.

Von den Flusskrebsen bis zu Lady Gaga

Seit Wochen führt "Earth - The Book" nun die amerikanischen Bestseller-Listen an. Dabei erzählt es vordergründig nur die Geschichte unseres Planeten, von den Flusskrebsen bis zu Lady Gaga: "Die Erde. Wir nannten sie Mutter, weil sie uns das Leben geschenkt hat, und weil wir sie danach ignoriert und Scheiße behandelt haben." In Wahrheit beschäftigt sich das Buch natürlich vor allem mit der Gegenwart.

In einer Zeit, in der Aufmerksamkeitsspannen und Allgemeinbildung einen historischen Tiefstand erreicht haben, und in der Information nur noch in vorgekauten und gesüßten Portionen akzeptiert wird, ist das Kindersachbuch eben das einzig funktionierende Format der Wissensvermittlung. So wird schon das Buchdesign zu einer Art Publikumsbeschimpfung: Ihr seid, scheint Stewart seinen Lesern zuzurufen, keine selbst bestimmten und aufgeklärten Bürger, sondern eine Horde von Kindsköpfen.

Auf dem Cover sitzt Stewart mit trauriger Miene an einem Schreibtisch, hinter ihm die Erde, neben ihm ein Affe. Er sieht aus wie ein Nachrichtensprecher an einem besonders kuriosen und schlechten Tag. Zu Recht, denn "Earth - The Book" ist aus einer postapokalyptischen Perspektive geschrieben und erklärt einer imaginären Leserschaft von Aliens und Mutanten, warum die Menschheit sich selbst vernichtet hat. Neben diversen gattungsspezifischen Neurosen heißen diese Gründe natürlich Sex, Geld und Gott. So sieht man etwa eine Karte von Jerusalem, auf der neben realen historischen Gebäuden auch ein "Heiliges Raketenfeuer" eingezeichnet wurde, "das acht Nächte brannte, obwohl nur für eine Nacht Sprengstoff vorhanden war".

Der Ton ist beste Pseudo-Wissenschaft

Die Annahme, auf der "Earth" basiert, ist einfach: Das Buch ist eine Art Lonely- Planet-Reiseführer für intergalaktische Touristen auf der Suche nach leeren Parks, einsamen Stränden und malerischen Ruinen. Kulturbeflissenen Außerirdischen wird darin schlechthin alles erklärt. Wer wir waren ("Jeder von uns war wie eine Schneeflocke: ein wunderschönes und zartes Einzelstück und später voller Abgase und Hundepisse"); woran wir glaubten ("Religion brachte Trost in eine Welt, die zerrissen war von religiöser Gewalt"); und womit wir bezahlt haben ("Der Euro war eine transnationale Währung. Sie wurde eingeführt um zu testen, ob auch relativ kleine Staaten wirtschaftlich gesunde Kontinente mit sich in den Abgrund reißen können").

Der Ton ist beste Pseudo-Wissenschaft, es gibt zahlreiche liebevoll gefälschte Illustrationen, Statistiken und Diagramme, sowie ein Periodensystem der synthetischen Stoffe (von AX für Deospray bis DD für Silikon). Das Kapitel über Anatomie enthält ein verstörendes Foto des Moderators Larry King, auf dem der 77-Jährige nichts trägt außer seinen roten Hosenträgern. Dabei wird die Unwahrheit mit so viel durchschaubarem Pomp verbreitet, dass das Schaubild zur Sozialsatire und das Kindersachbuch zum Vehikel der Kritik wird.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, was die Frage ist, die Stewart am meisten quält.

Kein Clown, eine moralische Instanz

Jon Stewart und sein Team sind Meister dieser medialen Mimikry. Ähnlich wie "Earth - The Book" das Kindersachbuch, kopiert auch die "Daily Show" mit all ihren Trailern, News-Tickern, Schlagzeilen und Korrespondentenschaltungen die populären Nachrichtensendungen. Die Komiker eignen sich die Strukturen und Idiosynkrasien dieses Fernsehformats an, um unter der Oberfläche ihre eigene Botschaft zu senden.

Wenn Stewart also wie in dieser Woche in Washington aus einem Studio voller Marmorsäulen und amerikanischer Fahnen über die anstehenden amerikanischen Wahlen berichtet, verkündet die sonore Stimme im Trailer: "Eine Nation am Scheideweg. Ein Führer unter Belagerung." Und dann: "Die Attacke der Grizzlybären." Absurd? Beim Zappen hat jeder schon Schlimmeres gesehen. Könnte CNN sein, denkt man sich. Und bleibt dran.

"Das System ist kaputt"

Anders als deutsche Nachrichtenparodien macht sich die "Daily Show" nur selten über die Kleidung oder mangelnde Fremdsprachenkenntnisse von Politikern lustig. Stewart ist kein Clown, er ist eine moralische Instanz. Es geht ihm nicht um Äußerlichkeiten, sondern um die Diagnose eines dysfunktionalen Diskurses. So zeigte er in seiner Sendung zum Beispiel wie John McCain, der ehemalige republikanische Präsidentschaftskandidat, mit markigen Worten und Bildern für sich wirbt: "Das System ist kaputt."

Stewart blickt in die Kamera. "Das erinnert mich an etwas", sagt er und spielt dann alte Wahlkampfspots vor, in denen McCain immer wieder die gleiche Botschaft verkündet, und zwar in den Jahren 2008, 2004, 2000, 1999, 1994, 1991 und 1989. Die Haare werden während dieser Zeitreise voller, die Bilder verlieren ihren HD-Glanz, aber sonst ändert sich nichts: John McCain ist seit mehr als 20 Jahren Senator und verkauft sich immer noch als Außenseiter in einem kaputten System. Stumm und fragend blickt Stewart in die Kamera.

Dieses Re-Arrangement ist verblüffend. Wenn Politiker mit roboterhafter Disziplin bloß noch talking points unters Volk und auf den Bildschirm bringen, kann sie niemand mehr als authentische Sprecher wahrnehmen. Wenn TV-Nachrichten belanglose Wahlergebnisse erst zu einem "Erdbeben", dann zu einem "Gewitter", und schließlich zu einem "Tsunami" erklären, macht sich durch diese absurde Eskalation nicht der Komiker lächerlich, der sie zeigt, sondern die Politik-Profis und Spin-Doktoren. "Das wichtigste für diese Leute ist", kommentierte Stewart in seiner Show, "dass die Geschichte keine Lücken hat. Was wirklich passiert, ist völlig egal."

Warum funktioniert Kommunikation so schlecht?

Diese investigative Comedy erlebte einen Höhepunkt schließlich im Herbst. Konservative Medien wie Fox News hatten eine Kampagne gegen ein islamisches Gemeindezentrum gestartet, das in Lower Manhattan gebaut werden sollte: Die Moschee sei ein Siegesdenkmal für den Terrorismus, der New Yorker Imam ein "Sympathisant von al Quaida", das Geld schmutzig und aus Saudi-Arabien. Stewart spielte in der Show nicht nur Bilder ein, die den Imam gemeinsam mit George W. Bush auf einer Nahost-Reise zeigten, sondern wies auch nach, dass der Finanzier und angebliche Terroristenfreund ein saudischer Prinz und zweitgrößter Aktionär von, genau, Fox News ist. Die Schlussfolgerung: "Man darf nicht mehr Fox gucken, sonst unterstützt man die Terroristen."

Die "Daily Show" ist also so etwas wie die Ruhe im Auge des "Shitstorm", wie man den Medienhype in Amerika gerne nennt. Darum gilt Stewart in den USA längst als einer der vertrauenswürdigsten Medienarbeiter. Es ist ihm gelungen, im Fernsehen ganz oben mitzumischen und doch Sätze wie diesen zu schreiben: "Im 21. Jahrhundert wurde es durch neue Technologien möglich, rund um die Uhr umfassend, neutral und journalistisch kompetent über wichtige Ereignisse aus aller Welt zu berichten. Getan hat das niemand. Aber es war möglich."

Die Frage, die Stewart am meisten quält, lautet: Warum funktioniert Kommunikation im Kommunikationszeitalter eigentlich so schlecht? Trotz RSS-Feeds, 24-Stunden-Nachrichtensendern und mobilem Internet denkt mehr als ein Viertel der Amerikaner, ihr Präsident sei Moslem. Die daraus resultierende Verzweiflung führt dazu, dass Stewart nun für diesen Samstag geplant hat, sich ein weiteres Medien-Format zu eigen zu machen - die Demonstration.

In Washington organisiert er die "Rally to Restore Sanity", einen Marsch zur Wiederherstellung der Vernunft. Mitten auf der National Mall, mit Spruchbändern und Menschenketten ähnelt seine Veranstaltung den berühmten Bürgerrechts-Demonstrationen der sechziger Jahre. Ähnlich ist auch der Anspruch: Stewart möchte für eine unterdrückte Bevölkerungsgruppe sprechen, die bisher keine Stimme hat, nämlich die "80 Prozent der Amerikaner, die nicht denken, dass der politische Gegner direkt von Hitler abstammt".

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