Irgendwann wird jemand die Geschichte der Glückskinder schreiben müssen, jener vaterlosen Söhne, denen ihre Mütter das ungeheure Selbstbewusstsein mitgaben, die sie zum Schreiben brauchen.

Goethe ist so einer, der verwöhnte "Hätschelhans" seiner Frau Aja. Peter Handkes Mutter ermutigte ihren Sohn in geistfeindlichster Umgebung zum schreiben. Und auch bei John Updike war es das unbedingte Zutrauen der Mutter, das den Sohn zum Schreiben brachte.
Sie hatte sich selber an Kurzgeschichten versucht (der berühmte Sohn nahm eine davon in eine Anthologie auf), aber ihr Leben, der Not gehorchend, war ihrem Mann und ihrem einzigen Sohn gewidmet.
John Updike kam 1932 in Shillington im ländlichen Pennsylvania zur Welt und sollte nie vergessen, dass er ein Kind der Wirtschaftskrise war. Wie Millionen andere machte sie auch seinen Vater arbeitslos. Nie war genug Geld für die Familie da, und Armut ist, auch wenn sie ihre Dichter gefunden hat, kein großer Glanz von innen.
Der Glanz war anderswo, an der Küste, in New York. Eine großzügige Tante schenkte ihm ein Abonnement des New Yorker, der angesehensten Zeitschrift des bürgerlichen Amerika. Seitdem war er in die minimalistischen Cartoons von James Thurber vernarrt und träumte von einem Leben, das es jenseits der Armut geben musste.
Als begabter Schüler schaffte er es nach Harvard, von wo ihn wirklich und wahrhaftig eine Limousine abholte und zur Redaktion des New Yorker brachte. Für zwei Jahre wurde er dann eine Art Stadtreporter für die Zeitschrift, schrieb über Alltagsdinge und über den beginnenden Konsumismus, um dann die Stadt aber zu verlassen und aufs Land zu ziehen, um dort mit Frau und vier Kindern eine Existenz als freier Schriftsteller zu versuchen.
Glauben ohne Fanatismus
Später hat er öfter behauptet, er habe den New Yorker verlassen müssen, weil er in dessen gediegener und ebenso wirklichkeitsfremder Welt niemals die Beschreibung eines Geschlechtsaktes hätte veröffentlichen können.
Aus den Kurzgeschichten schrieb er sich zum Roman vor. 1960 erschien "Hasenherz", der erste seiner fünf "Rabbit"-Romane, in denen er, ohne es zunächst zu wollen, die Chronik des letzten halben Jahrhunderts niederlegte. Harry Angstrom ist ein Verkäufer, der vor dem Kaufhaus eine Küchenmaschine feilbietet. Er ist mit Frau und Kind geschlagen und mit einem unbewussten Sehnen, das er nur biographisch begründen kann. "Ich hab mal Basketball gespielt und zwar sehr gut" - und weil er einmal der Beste war, fällt es ihm schwer, später zurückzustecken.
So wenig dieser kleine Händler mit dem Harvard-Absolventen Updike zu tun hat, er ist doch wieder ein Glückskind, dem Katastrophen nur zustoßen, um ihn nach vorn zu schubsen.
Im Abstand von jeweils zehn Jahren veröffentlichte Updike Fortsetzungen der Lebensgeschichte dieses fiktiven Harry Angstrom, begleitete ihn durch Rassenunruhen, Vietnamkrieg, Carter-Regierung und Energiekrise, machte ihn reich und ließ ihn früh, viel zu früh sterben. Wer diese Bücher heute liest, wird staunen, wie früh das, was heute Globalisierung heißt, am Beispiel des Aufstiegs von Angstrom zum Toyota-Händler schon vorweggenommen ist.
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Updike, das Glückskind der Wirtschaftskrise besaß einen untrüglichen Sinn fürs Ökonomische und vergaß nie, wie flüchtig Besitz oder gar Geld ist. Es dürfte keinen anderen Schriftsteller geben, der jederzeit nicht etwa den Tageskurs einer Feinunze Gold parat hatte, sondern haargenau wusste, was eine U-Bahn-Fahrkarte oder eine Kugel Eis kostete. So konnte er sich dem amerikanischen Traum des potentiellen Erfolgs für alle nie vollständig ergeben.
Es wollte ihm auch nie gelingen, wie er einmal sagte, den "Sprung zur Glaubenslosigkeit" zu vollführen, den die entgöttlichte Welt seit der Aufklärung und erst recht seit Darwin verlangt. "Eine Aufgabe bleibt", meinte er, und ohne dass er sie näher beschrieb, war doch deutlich, dass er sich in einem göttlichen Auftrag handeln und schreiben sah. "An easy humanism plagues the land; I choose to take an otherworldly stand", erklärte er in einem Gedicht trotzig; mochte die Welt auch aller Transzendenz abgeschworen haben, er wollte den Glauben an ein göttliches Prinzip nicht aufgeben.
Darum sah er in dem Transzendentalisten Ralph Waldo Emerson und dem an Gott verzweifelnden Herman Melville Brüder im unsicheren, immer wieder neu zu gewinnenden Glauben. Der hatte nichts mit dem fanatischen Fundamentalismus der Abtreibungsgegner und Kreationisten zu tun, die Reagan und den jüngeren Bush ins Amt schoben. Es war ein individueller Glaube, der es seinen Figuren nicht ersparte, immer wieder aufs Neue den Sinn zu suchen, den die kalvinistische Moral des verbissenen Gelderwerbs so machtvoll verdeckte.
Hohelied der Sexualität
Updike ist der große Dichter der physischen Realität. Als er zu schreiben begann, musste sein Vorbild Vladimir Nabokov die "Lolita" noch in Paris veröffentlichen, versperrten sittenstrenge Richter den Zugang zu den Büchern von Henry Miller und Hubert Selby. In diesen verklemmten Jahren begann John Updike das Hohelied der Sexualität zu singen.
Das Volk der Leser bekam dabei, was es seit der sexuellen Revolution der sechziger Jahre verlangen durfte, aber so eindringlich er das Mysterium der Sexualität beschrieb, so geheimnisvoll blieb es auch. Nie war er besser als in seiner Erinnerung an die frühen Jahre, an die frühen Freuden, die es in der Eisenhower-Zeit, als "die Stelle zwischen ihren Beinen von den scharfen Gummikanten bewacht" wurde, nicht geben sollte.
Und nur bei Updike konnte eine Frau ihrem Psychiater erklären, wie sie sich wieder in ihren längst verabschiedeten Mann verliebte, als sie seine schmutzigen Fingernägel sah und sich mit dem Finger durch das Loch in seinem Unterhemd auf die vertraute Haut vorarbeiten konnte.
In lakonischsten Sätzen konnte dieser überreiche Epiker der Sexualität das ganze Glück und das ganze Elend des ehelichen Lebens zusammenfassen: "Die Maples hatten schon so lange an eine Trennung gedacht und darüber geredet, dass es schien, sie würden dieses vorhaben nie verwirklichen." Natürlich trennen sie sich dann doch, und als die Scheidung ausgesprochen wird - küssen sie sich.
Bis zuletzt blieb er dieser großem, selbstgestellten Auftrag treu, und bis zuletzt widmete er sich den neuesten Phänomenen. Als ehemaliger Journalist konnte er über alles schreiben, über Baseball wie über Johannes Vermeer, über das Evangelium nach Matthäus und über seine Hautkrankheit, die ihn lebenslang begleitete. Kein Ding war ihm zu klein, kein Gegenstand zu erhaben. So wurde er zum maßgeblichen Schriftsteller unserer Zeit.
Der Nobelpreis blieb ihm naturgemäß verwehrt, denn Updike gehörte keiner Minderheit an und mochte von seinem Thema, der poetischen Anbetung der Sexualität, nicht lassen. Seine Leser werden ihm dafür ewig dankbar sein. John Updike ist am Dienstag im Alter von 76 Jahren an Lungenkrebs gestorben.