Süddeutsche Zeitung

Nachruf auf John Prine:Ein Existenzialist aus Kentucky

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Als Postbote in Chicago schrieb John Prine sein erstes Album, das von Bob Dylan sofort berühmt gemacht wurde. Am Dienstag verstarb er an den Folgen einer Corona-Infektion.

Von Jonathan Fischer

Niemandem verdankt die sogenannte Americana-Musik, die man sich als den langhaarigen, kiffenden und Beat-Literatur lesenden Bruder des Country vorstellen kann, mehr als John Prine. Und niemand blieb dabei zurückhaltender als der ehemalige Postbote aus Chicago. Das machte schon 1970 der erste Zeitungsartikel über den Singer-Songwriter klar: "Er erscheint mit einer derartigen Bescheidenheit auf der Bühne, dass er sich beinahe in die Scheinwerfer zurückzuziehen scheint. Aber nach ein, zwei Songs hören ihm selbst die Betrunkenen im Raum zu." Prine hatte diese Gabe, Songs zu singen, die vor allem aus Bildern bestanden. "There's a hole in daddy's arm where all the money goes", sang er in "Sam Stone", seiner Hymne an alle zu Junkies gewordenen Veteranen.

John Prine wurde von den Größen der Americana- und Country-Szene gecovert

Der am 10. Oktober 1946 in Maywood, Illinois, geborene Prine spielte 1971 sein Debüt ein, auf dem dieser Song neben dem von Bonnie Raitt erfolgreich gecoverten "Angel From Montgomery" oder "Your Flag Decal Won't Get You To Heaven Anymore" zu hören ist. Was für eine Überraschung, als Folk-Gott Bob Dylan, der vorab heimlich ein Exemplar des noch unveröffentlichten Albums erhalten hatte, auf der Party eines befreundeten Musikers in New York Prines "Far From Me" anstimmte. "Prines Stoff ist purer Proust'scher Existenzialismus" sollte Dylan vier Jahrzehnte später erklären.

Wenn Prine auch oft über die dunklen Löcher zwischen einst Liebenden singt, und die unsagbare Sehnsucht hinter vermeintlich krisenfesten Arrangements - dann hat er doch nie das politisch-gesellschaftliche Engagement gescheut. Etwa in "Paradise", wo er die Naturzerstörungen der Kohleindustrie im ländlichen Kentucky anprangert. Heute ist der Song ein Country-Standard. Unter anderen Johnny Cash, die Everly Brothers, Roy Acuff und Dwight Yoakam haben Prine gecovert, Dan Auerbach, Bruce Springsteen und Kris Kristofferson zitieren ihn als wichtigen Einfluss. Wohl auch weil Prine den einfachen Menschen seiner Songs stets Würde und Mitgefühl verleiht.

Menschliche Größe zeigte er zum Schluss auch in seinem eigenen Leben: Seit 1998 hatte Prine mit Speiseröhren- und später mit Lungenkrebs zu kämpfen und nahm - nun mit seiner typisch rauchigen Crooner-Stimme - dennoch weiterhin großartige Alben auf. Sein letztes aus dem Jahre 2018 endet mit der von drei Generationen gesungenen Hymne "When I Get To Heaven". Man wünscht dem passionierten Raucher und Genussmenschen, der am Dienstag an seiner tödlichen Erkrankung an Covid-19 verstarb, dass er recht behält mit seiner Ansage: "Wenn ich in den Himmel komme, werde ich Gottes Hand schütteln ... und eine neun Meilen lange Zigarette rauchen."

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Quelle:
SZ vom 09.04.2020
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