Süddeutsche Zeitung

Zum Tod von John Miles:Kleine, große Oper

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John Miles schrieb den Über-Hit "Music". Und prägte mit seinem Heldentenor einen Stil abseits des Rock-Lärms. Nun ist er gestorben.

Von Andrian Kreye

John Miles ist tot, der Mann, der mit "Music" einen so übergroßen Hit geschrieben, gesungen und (bis auf Rhythmus und Orchester) auch gespielt hatte, dass er sein gesamtes Leben und Werk überschattete. Wer hat das Lied nicht sofort im Ohr: "Music was my first looove, and it will be my laaast"? Die Ohrwurmqualitäten der ersten Strophe täuschen darüber hinweg, dass der Song eine knapp sechsminütige Mini-Oper mit gefühlt drei Dutzend Tempi- und Harmoniewechseln war. Rebellion war gestern, damals 1976.

Die Rockmusik hatte sich vor allem in Miles' Heimat England aufgemacht, ein Genre zu werden, das man ernst nehmen konnte. Progrock nannte man das, "Progressive Rock". Dafür mussten die Musiker ihre Instrumente beherrschen, Partituren schreiben können und wissen, was man mit einem Orchester anfängt.

Miles verfügte dazu auch noch über die Sorte aufwallender Heldentenor, der wandlungsfähig genug war, um so eine Achterbahnfahrt der Gefühle in so kurzer Zeit auch durchzustehen. Wenn es sein musste, konnte er dann sofort im nächsten Stück die Raspel in den Stimmbändern rausholen und daran erinnern, dass er auch Hardrock konnte. Der genialische Toningenieur von Pink Floyd, Alan Parsons, mit dem perfekten Gehör für musikalisches Handwerk wurde damals auf ihn aufmerksam. Auf gleich fünf Alben seines Alan Parsons Project war Miles als Sänger zu Gast.

Aufgewachsen war Miles in Hebburn, einem Städtchen mit einer inzwischen stillgelegten Werft am River Tyne im Nordosten von England. Dort, wo Schottland viel näher ist als London. Schon in der Schule hatte er eine Band. Paul Thompson spielte da Schlagzeug, der später bei Roxy Music den Glamrock mit erfinden sollte. Auch Miles wurde erst in London erfolgreich. Dort gehörte er erst als Gitarrist und Keyboarder einmal zum Stammpersonal in den Abbey Road Studios. Als Handwerker war er auch später noch gefragt, begleitete Tina Turner und Joe Cocker immer wieder auf Tourneen.

Wenn man sich jetzt, anlässlich seines Todes, durch John Miles' Gesamtwerk hört, stellt sich schnell der "Ach, das ist auch von dem?"-Effekt ein. Es war etwas ungewöhnlich für die Progrock-Jahre der Siebziger, aber Miles feierte seine Erfolge weniger mit Alben, sondern mit Singles. "High Fly", "Rebel" oder "Remember Yesterday" klingen meist, als habe er sie für einen James-Bond-Film geschrieben, und gehören zum Standardrepertoire der Radiosender.

Heißt auch: Cool war er nie. Das war ihm vermutlich auch egal. Seit 1985 verdiente er viel Geld damit, vor großem Orchester und mit einem Haufen wechselnder Stars in der Revue-Show "Night of the Proms" durch die großen Hallen zu ziehen. Die Liste der Namen (Andrea Bocelli, Roger Hodgson, Debbie Harry) würde eine ganze Zeitungsseite füllen. Da oben auf der ganz großen Bühne konnte er dann immer zeigen, was er kann. Und das war die Kunst, in den zeitlich winzigen Rahmen eines Rocksongs das Pathos und den Bogen einer ganzen Oper zu packen. Eine ganze Generation Fans, die damit aufgewachsen war, dass ihre Musik als Lärm halbkrimineller Straßenköter geschimpft wurde, dankte es ihm. Am Montag wurde bekannt, dass er nach kurzer, schwerer Krankheit in Newcastle gestorben ist, nur wenige Meilen entfernt von der Stadt seiner Kindheit und Jugend. Er wurde 72 Jahre alt.

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