Neue Musik:Das sind die Alben der Woche

Albumveröffentlichung - Sob Rock von John Mayer

Kitschrock! Sag John Mayer ja selbst.

(Foto: Paul Bergen/dpa)

Neue Musik von Chet Faker, John Mayer, Clairo und Aldn. Und dazu die Antwort auf die Frage, wie Clickbaiting mit Musik geht.

Von Jens-Christian Rabe

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Chet Faker - "Hotel Surrender" (Detail Surrender)

Die jüngere Popgeschichte verdankt dem australischen Indie-Soul-Sänger, Produzenten und Songwriter Nick Murphy alias Chet Faker mit "Gold" und "Talk Is Cheap" die zwei schönsten Hipster-Hymnen, die man mit geschlossenem Mund nuscheln kann. Und auf dem neuen Album "Hotel Surrender" (Detail Surrender) kommen jetzt mit "Get High" und "Feel Good" noch zwei dazu! Sehr schön angeschoben von ein paar Stolperbeats in Zeitlupe. Wenn mal wieder nix vorwärts geht, es aber auch schon reicht, wenn auf der Stelle alles etwas elastischer wird.

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John Mayer - "Sob Rock" (Sony Music)

Über den Gitarristen und Songwriter John Mayer gibt es zwei Meinungen. Gar nicht wenige - und ein erheblicher Teil davon dürfen Gitarristinnen und Gitarristen sein - halten den 43-jährigen Amerikaner für den Pop-Gitarrenhelden der Gegenwart schlechthin. Als Star-Gitarrist ist er nach diversen Nummer-Eins-Alben und unzähligen Superstar-Kooperationen in den USA längst zweifellos auf dem Weg zum National Treasure. Als Virtuose wird er aber auch von den Kollegen hoch geschätzt, er besuchte eine Weile die Pop-Profi-Schmiede Berklee College of Music in Boston, und Teil des John Mayer Trios ist das Bass-Genie Pino Palladino. Sein Song "Neon" ist für viele Verehrer seiner Kunst so etwas wie der Mount Everest des Gitarrenspiels. Youtube ist voll mit Videos, in denen akribisch die Finessen des Songs entschlüsselt und analysiert werden. Alle allerdings, die keine allzu großen Ohren für ausgefuchstes Gitarrenspiel haben, hörten bislang meistens leider bloß nach allen Regeln der Kunst aufgeführten, allzu braven Mainstream-Pop-Bluesrock mit zu vielen und zu langen Gitarren-Soli. Ändert sich das mit Mayers neuem Album "Sob Rock" (Sony Music)? Vermutlich nicht. Die so selbstironische (der Albumtitel bedeutet so viel wie Kitschrock) wie ehrfürchtige Perfektion, mit der hier dem verhallten Synthie-Softrock der Achtziger von Toto, den Dire Straits und Rick Springfield gehuldigt wird, ist allerdings doch ziemlich hinreißend. Das Album für die Momente, in denen man zur Ruhe kommen muss, aber sich selbst dabei nicht zu ernst nehmen möchte.

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Clairo - "Sling" (Fader Records)

Was für die einen Kammer-Pop ist, ist für die anderen Streambait-Music, also das, was früher einmal Fahrstuhlmusik genannt wurde. Bloß nicht zu aufdringliche, gern etwas elegische, sparsam instrumentierte Tonspuren fürs Raumklima, auf denen die meist weibliche Gesangsstimme gerne weit vorne im Mix liegt, damit es klingt, als säusele einem jemand direkt ins Ohr. Auf Streaming-Plattformen wie Spotify oder Youtube erreicht Pop dieser Art längst Hunderte Millionen Abrufe. Aber eben nicht, weil sie die Fans gezielt ansteuerten, sondern weil sie in den beliebtesten Playlists so perfekt unauffällig mitlaufen. Der Begriff kam vor ein paar Jahren als musikalische Entsprechung zum endemischen Clickbaiting auf, bei dem reißerische Überschriften etwas versprechen, was die dazu abrufbaren digitalen Video-Inhalte dann nicht halten. Der von der New York Times geprägte Begriff "Spotify-Core" trifft es deshalb aber vielleicht besser, weil die Hörer von der generischen Musik ja gerade überhaupt nicht enttäuscht sind. Sie wollen immer mehr davon. Man denkt daran, wenn man das neue Album "Sling" (Fader Records) der amerikanischen Sängerin und Songwriterin Claire Cottrill alias Clairo hört, auch wenn die Kategorisierung in ihrem Fall vielleicht nicht ganz gerecht ist. Minimalistischer Bedroom-Indie-Pop wäre netter. In den besten Momenten, bei "Blouse" etwa, klingt's ja sehr fein simonandgarfunkelhaft, warm und tröstlich. Sonst aber eben auch etwas zu oft einen Hauch zu formelhaft melancholisiert.

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Aldn - "Greenhouse"

Neues gibt's aber natürlich auch am Avantgarde-Ende des zeitgenössischen Post-Internet-Pop. Also nicht der Musik, die nach dem Internet, sondern der Musik, die unter dessen Rezeptions- und Produktionsbedingungen (ewige Ungeduld der Nutzer und absolute Gleichzeitigkeit aller Genres und ihrer Revivals) entsteht. Aldn macht auf "Greenhouse" das, was Hyperpop oder Glitchcore genannt wird, also nervös flackernden Elektro-Pop mit übersteuerten Hip-Hop-Beats und depressiv leierndem Helium-Gesang, dazu kratzige Störgeräusche aller Art. Anders gesagt: Wer braucht schon den Seelenfrieden, wenn man mit Songs wie "Happy Ever After" zur Unruhe kommen kann. Musik zur Zeit. Der Soundtrack für einen schwer verkaterten Mittagsschlaf auf dem Nagelbrett.

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