John Le Carré wird 75 Jahre alt:Und immer wieder Liebe und Verrat

Eigentlich will er ja das Seelenleben der Menschen erforschen. Bekannt wurde der Meister der Geheimniskrämerei aber vor allem für seine Spionageromane. Seit vierzig Jahren schreibt er sie per Hand.

"Der Spion, der aus der Kälte kam" machte ihn berühmt, doch John le Carré wollte schon immer mehr sein als nur ein Autor von Spionage-Romanen. In den Wochen vor seinem 75. Geburtstag an diesem Donnerstag verurteilte er vehement die israelischen Angriffe im Libanon und wie schon seit Jahren den westlichen "Krieg gegen den Terror".

Er kritisierte Günter Grass für dessen langes Schweigen über die Waffen-SS-Mitgliedschaft und die Journalisten für ihre Oberflächlichkeit. Mit anderen Worten: Dem fortschreitenden Alter zum Trotz ist der Erfinder des Meisterspions George Smiley so anklagend, unbequem, streitlustig und streitbar wie in der Vergangenheit - vielleicht noch ein wenig wütender, wie er selbst zugibt.

Diese Wut scheint den silberhaarigen Briten durch seinen 20. Roman "Geheime Melodie" getragen zu haben. Die gerade erschienene Geschichte über einen Übersetzer, der in Geheimverhandlungen über den Kongo an seinem Gewissen zerbricht, ist ein Plädoyer gegen die Ausbeutung der Dritten Welt und die Scheinheiligkeit des Westens.

Geheimniskrämerei als "Mobiliar"

Die Finesse früherer le-Carré-Bücher vermisst man dagegen auf vielen Seiten. Seit dem Ende des Kalten Krieges ist Afrika der neue Lieblingsschauplatz der Bücher le Carrés. Schon "Der ewige Gärtner" vor ein paar Jahren spielte dort, eine tragische Geschichte des Scheiterns guter Westler vor dunklen Geschäften der Pharma-Konzerne.

Überhaupt hat le Carré nach dem Ausklingen des Ost-West-Konflikts vor allem die Wunden der Welt im Blick, ob Drogenhandel, schmutzige Waffengeschäfte oder die Machenschaften der Mächtigen jeder Couleur. Le Carré ist kein Thriller-Autor wie jeder andere. Er mag zwar auch ein Meister der Spannung sein, die den Leser atemlos durch noch so lange Romane treibt, zugleich aber brilliert er mit sprachlicher Eleganz und einer Komplexität der Charaktere, auf die auch viele "ernste" Autoren neidisch sein könnten.

Spionage, Komplotte und die ganze Geheimniskrämerei seien nur eine Kulisse, "Mobiliar", betont le Carré oft selbst. In jedem seiner Bücher geht es im Kern darum, wie sich Menschen in schwierigen Situationen verhalten, um Liebe und Verrat. Verrat am eigenen Geheimdienst, am Partner, an den eigenen Überzeugungen oder an sich selbst - le Carré erforschte in mehr als 40 Jahren viele Facetten und Abgründe der menschlichen Seele.

Und Liebe war auch immer im Spiel - schließlich könne man nur verraten, was man liebt, sagte er einst. Die bekannteste Figur aus le Carrés Universum wird wohl George Smiley bleiben, der übergewichtige, von moralischen Zweifeln geplagte Meister-Spion, der ständig von seiner Frau betrogen wird. Die Trilogie aus "Dame, König, As, Spion", "Eine Art Held" und "Agent in eigener Sache" (1973-79) zementierte le Carrés Weltruhm.

Carré schreibt seine Bücher noch per Hand

Smiley war auch eine der populärsten Filmrollen von Alec Guinness. Le Carré, geboren am 19. Oktober 1931 in Poole in der englischen Grafschaft Dorset als David John Moore Cornwell, tritt wie ein Gentleman auf, doch an seiner Herkunft liegt es ganz bestimmt nicht. Sein Vater war ein Trickbetrüger, seine Mutter lernte er erst mit 21 kennen.

"Wer eine unglückliche Kindheit hat, erfindet sich selbst", sagte der Schriftsteller in einem Interview. Vor allem in "Ein blendender Spion" (1986) drangen autobiografische Motive bis auf die Buchseiten vor. "Der Spion, der aus der Kälte kam" war 1963 le Carrés dritter Roman. Das kleine Buch brachte den Durchbruch und ermöglichte es dem Autor, seine Diplomaten-Karriere aufzugeben - die er auch mit einer später eher überbewerteten Tätigkeit für den britischen Geheimdienst in Bonn und Hamburg verband.

Zuvor hatte er nach eigenen Worten Handtücher verkauft, Elefanten gewaschen, in einer Spezialschule unterrichtet und in der Armee mit einem Artilleriegeschoss aus Versehen eine Herde Schafe getroffen. Le Carré, der abwechselnd an den Klippen Cornwalls und in London wohnt, ist in vieler Hinsicht bemerkenswert altmodisch geblieben: Er mag kein Telefon und schreibt seine Bücher per Hand. "Wenn man in meinem Alter ist und man eine Geschichte sieht, sollte man sie lieber schnell anpacken", sagte er vor einigen Jahren in einem Interview. Irgendwann hätte er jedoch gerne jemanden mit einem Hammer hinter sich stehen, der sagt: "Okay, das reicht."

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