John Grisham: Das Gesetz:Der sprechende Ärmelschoner

Nach der "Akte" und der "Firma" nun "Das Gesetz": In seinem neuen Roman will John Grisham aus US-Provinz-Rechtsfällen Literatur gewinnen - was leider misslingt.

Thomas Steinfeld

Zwei Dutzend Bücher hat John Grisham bislang veröffentlicht. Die meisten davon sind Romane, fast alle schildern amerikanische Rechtsfälle oder spielen im Milieu amerikanischer Anwälte und Richter, und fast alle tragen einen Terminus aus dem Rechtswesen und den bestimmten Artikel im Titel, von The Firm (1991) bis The Associate (2009).

DIE FIRMA

"Die Firma" (hier ein Bild aus der Verfilmung mit Tom Cruise), "Die Akte", "Der Klient" nannte Grisham bisher seine Bücher. Im Deutschen heißt der neue Roman "Das Gesetz" - dabei will "Ford County", so der Originaltitel, gar keine legal fiction sein.

(Foto: dpa)

Nun hat das amerikanische Rechtswesen zwar seine Eigenheiten, auch weil es die Wahrheitsfindung dem freien Wettbewerb zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft überlässt, die von den Geschworenen als Frage an deren Gewissen beantwortet werden muss. Wenn John Grisham aber seine Romane The Street Lawyer (1998) oder The Last Juror (2004) nennen kann und seine Bücher dennoch internationale Bestseller werden - die Gesamtauflage seiner Werke liegt bei mehr als sechzig Millionen Exemplaren -, dann kann man annehmen, dass die amerikanische Rechtsprechung tatsächlich den (außerhalb der Vereinigten Staaten: fiktiven) symbolischen Standard der Rechtsprechung überhaupt darstellt. Sie hat diesen Status aber nicht durch sich selbst gewonnen, sondern durch die Literatur, und viel mehr noch durch den Film.

Das Gesetz heißt das jüngste Buch von John Grisham, das an diesem Montag auf Deutsch erscheint (Aus dem Amerikanischen von Kristiana Dorn-Ruhl, Bea Reiter, Imke Walsh-Araya. 384 Seiten, 19,99 Euro), und der Münchner Heyne-Verlag, der das Werk hierzulande herausgibt, erweckt den Anschein, es gehe auch dieses Mal um legal fiction. Das aber trifft allenfalls zum Teil zu, und wenn, dann geht es hier weniger um laufende Verfahren als vielmehr um die Folgen längst abgeschlossener Prozesse - um das letzte Mahl eines zum Tode Verurteilten oder um die Rache einer Familie, die einen Prozess um Schadenersatz nach einem ärztlichen Behandlungsfehler verloren hatte, zu Unrecht, wie es sich erweist. Im Original trägt das Buch denn auch keinen bestimmten Artikel im Titel.

Es heißt Ford County, was sich auf einen imaginären Verwaltungsbezirk im amerikanischen Süden, am Mississippi, bezieht, und es besteht, zum ersten Mal bei John Grisham, aus Erzählungen. In ihrem Mittelpunkt stehen lauter gewöhnliche - gewöhnlich arme und gewöhnlich dumme - Menschen aus dieser ländlichen Gegend, deren größte Stadt, Clanton, zehntausend Einwohner zählt, die ansonsten irgendwo auf einzeln liegenden Gehöften, im Busch oder in Weilern leben - wobei auffällt, dass es inmitten dieses ländlichen Proletariats erstaunlich viele Rechtsanwälte zu geben scheint.

Den Menschen mehr als den Fällen sollen diese Geschichten gewidmet sein. Am meisten gilt das für die erste Erzählung, "Blutsbrüder", in der sich ein Haufen von Provinztrotteln in die nächste größere Stadt aufmacht, um einem vermeintlich lebensgefährlich verletzten Genossen mit Blutspenden zu helfen - was in wüstem Slapstick endet und zu lauter Verhaftungen führt.

Unübersehbar ist, dass John Grisham in Passagen wie diesen aus den Rechtsfällen eine Literatur gewinnen will, die es mit den großen Darstellungen der amerikanischen Provinz aufnehmen kann - in den Schilderungen der Landschaft und ihrer Bewohner, in der Anrufung der kleinen Leute und ihres Ungeschicks, im Aneinanderreihen traurig-komischer Lebensläufe wird die Lektüre der Geschichten von William Faulkner und Eudora Welty keineswegs verhohlen, und überhaupt ist ganz unverkennbar, dass Ford County zumindest in der Nähe von Faulkners Yoknapatawpha County liegen muss.

Der Wahrheitsfindung ist nicht gedient

Doch dann kommen Sätze wie dieser: "Als vielbeschäftigter Anwalt, der sich mit den drängenden Problemen anderer befasste, hatte er zahlreiche Anrufe mit einschneidenden Folgen getätigt und entgegengenommen: Anrufe, mit denen Scheidungsverfahren eingeleitet oder abschließend geregelt wurden, Anrufe, bei denen er schmerzhafte Sorgerechtsurteile übermitteln musste, Anrufe, durch die etliche Menschen erfuhren, dass sie ihr Geld nie wiedersehen würden." Alle paar Seiten wankt so ein Ungetüm aus Aktenstaub und Beschreibungsunfähigkeit daher, das Produkt einer höchst unglücklichen Liaison zwischen einer Büroklammer und einem noch unbeschriebenen Blatt Papier - zwischendurch wird über "Bargeldbestände verfügt" und beschlossen, "das Konzept von Kindern ,außerhalb der Ehe' nicht weiter zu verfolgen". Es sind nicht die Übersetzer, denen dieses Geplapper eines selbstverliebten Ärmelschoners anzulasten ist - was man hier liest, ist die Sprache John Grishams.

Warum das niemanden stört, ist die Frage. Zwei Antworten liegen auf der Hand: zum einen, dass das amerikanische Rechtswesen in all seinen Varianten - in der urbanen wie in der ländlichen, mit reichen und armen Leuten, in Fragen der Ehescheidung wie denen des Schadenersatzes - auch einem internationalen Publikum so vertraut ist, dass es keine Anschauung mehr braucht. Denn der Film liefert sie ja. Die Literatur unterhält hier ein parasitäres Verhältnis zur Bilderwelt.

Zum anderen, dass die Literatur in ihrer Verbindung mit der Rechtsprechung von deren Autorität zehrt. Das kriminalistische oder juristische Verfahren ist der absolute Plot. Der Wahrheitsfindung aber ist damit nicht gedient. Und der Literatur auch nicht, wenn sie sich auf das bürokratische Apportieren der Plots beschränkt.

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