John Burnside:Großbritannien verschwindet

Der schottische Schriftsteller John Burnside liest am Freitag, 16. November (23 Uhr), in der Schnapsbar im Luitpoldblock. Am Samstag, 17. November (16 Uhr), diskutiert er im Literaturhaus über die "schönen Inseln". (Foto: Olivier Roller)

In meiner Jugend verschwand Afrika für eine Weile und bildete sich dann erneut als ein anderer Kontinent, mit neuen Namen, neuen Hauptstädten, neuen Grenzen. Es war größtenteils ein besserer Ort geworden, und doch war es ein wenig beunruhigend, beim Blick in meinen Schulatlas festzustellen, dass so viele Länder für immer verschwunden waren.

Im Jahr 2016 verschwanden die Vereinigten Staaten während einer eigentlich routinemäßigen Wahl, und niemand weiß, ob sie jemals wieder auftauchen werden.

Und nun verschwindet Großbritannien. Ein, zwei Jahrzehnte lang hofften viele von uns, Europäer zu werden, so wie benachbarte Bäume manchmal zusammenwachsen, indem sich ihre Zweige und Wurzeln allmählich zu einem einzigen, größeren Organismus verflechten. Diese Hoffnung endete mit dem Brexit.

Wieder einmal werden Grenzen gezogen. Als jemand, der zu einer verlorenen, prächristlichen Kultur gehört, als Kelte von heute, dessen blutige Geschichte vom alten Galatien bis zu den Mooren von Schottland reicht, hoffe ich, dass ein neues Europa vorstellbar ist, in dem Land nicht nur einer Handvoll von Leuten gehört, in dem Raum ist für jede und jeden, zu ziehen wohin er will, und Wurzeln zu schlagen, wo sie es möchte.

Statt vom Brexit, statt von Brüssel träume ich noch immer von einem heidnischen Europa.

(Aus dem Englischen übersetzt von Antje Webe r)

© SZ vom 14.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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