Favoriten der Woche:Fantastische Wehwehchen

Favoriten der Woche: Johannes Zeilinger hat nebenbei auch noch eine Krankheiten- und Heilmethodengeschichte von Karl Mays Zeit verfasst.

Johannes Zeilinger hat nebenbei auch noch eine Krankheiten- und Heilmethodengeschichte von Karl Mays Zeit verfasst.

(Foto: Karl-May-Verlag)

Ein Mediziner schreibt über die Krankheiten im Werk von Karl May und die "Gorillaz" liefern ein tierisches Album: Die Empfehlungen der Woche.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Sachbuch: "Dr. med. Karl May" von Johannes Zeilinger

Ganz selbstverständlich führte Karl May den Doktortitel, der sich jedoch als Wunscherfüllung von eigenen Gnaden entpuppte. Für einen Arzt wollte er sich gern halten lassen: Als Dr. med. Heilig, Augenarzt, gab er sich in seiner "Vagantenzeit" (Zeilinger) aus, als "Hekim" (Arzt) tut sich Kara Ben Nemsi hervor, Mays Ich-Erzähler im Orient, obwohl er darauf hinweist, kein Arzt zu sein. Wer Mays "Reiseerzählungen" liest, kommt aus dem Staunen kaum heraus, was Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi alles bessern und heilen konnten. Oder der große Karl Sternau aus der Romanriesenschlange "Waldröschen": Er kann nicht nur zauberhaft schießen, reiten und niederschlagen, sondern ist auch ein Augenarzt von höchsten, also Mays Gnaden.

In dessen Autobiografie "Mein Leben und Streben" gibt es wiederum medizinische und psychologische Probleme zuhauf, aus denen heraus der sächsische Fantast seinen krummen Werdegang erklärt: Die (angebliche) frühkindliche Blindheit über Jahre hin, die Persönlichkeitsspaltung, das Stimmengewirr im Kopf und anderes mehr führt May als Bekenner seiner selbst an, um sich gegen die öffentlichen Hetzjagden auf ihn, den Erfolgsschriftsteller, zu verteidigen. So erzählt er dementsprechend auch von Genesungen und deren positiven Folgen.

Das alles hat Johannes Zeilinger, selbst renommierter Mediziner und auch ehemaliger Vorsitzender der Karl-May-Gesellschaft, veranlasst, die immer merkwürdige Existenz Karl Mays unterm Aspekt des Medizinischen zu betrachten. Herausgekommen ist dabei ein höchst amüsantes und erhellendes Buch, das nicht nur die vielfältigen Kranken- und Heil(s)geschichten im Romanwerk untersucht oder die Fragwürdigkeit von Mays Selbstanalysen auf ihren Wahrheitsgehalt prüft und kommentiert, sondern nebenbei auch eine Krankheiten- und Heilmethodengeschichte jener Zeit aufzeichnet.

Dass Zeilinger viele liebgewordene May-Legenden geradezu genüsslich zerpflückt, erhöht das Lesevergnügen ungemein. Am Ende wird daraus ein gelungenes Porträt dieses in Fantasieräuschen sich selbst erschaffenden und an sich selbst trunken werdenden Erzählgenies des totalen Abenteuers. Harald Eggebrecht

Klassik: "Eonta" von Iannis Xenakis

Favoriten der Woche: Iannis Xenakis: Eonta (a0204767827_10.jpg)

Iannis Xenakis: Eonta (a0204767827_10.jpg)

(Foto: bastille musique)

Sollte der Komponist Iannis Xenakis wirklich einmal Urlaub gemacht haben, war er am glücklichsten, wenn er während eines Gewitters auf einen Berg rennen konnte, um den Blitzen möglichst nahe zu sein. Aus Blitzen besteht auch diese Musik, organisiert nach Wahrscheinlichkeitsrechnungen, naturwissenschaftlichen Modellen und der Idee hoffnungsfroher Schönheit. Das Klavier (Lorenzo Soulès) ackert wie in einem Steinbruch, die Bläser (Ensemble Schwerpunkt) knallen vor Energie, unbeeindruckt von den irren Anforderungen. Und singen, flüstern, quasseln miteinander, geben Rätsel auf. "Eonta" ist wie immer beim Label Bastille Musique makellos und liebevoll produziert, die Zusammenstellung der sechs von Peter Rundel dirigierten Stücke ähnelt einer Klangausstellung, kuratiert mit überlegenem Witz und gnadenlosem Esprit. Egbert Tholl

Ausstellung: Denkmalsentwürfe von Ludwig Mies van der Rohe

Favoriten der Woche: Ludwig Mies van der Rohes Revolutionsdenkmal auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde, Berlin 1926.

Ludwig Mies van der Rohes Revolutionsdenkmal auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde, Berlin 1926.

(Foto: Ludwig Mies van der Rohe/VG Bild-Kunst, Bonn 2023/Bauhaus-Archiv Berlin)

Auch Ludwig Mies van der Rohe hat einmal ein Bismarck-Denkmal entworfen. Es hatte mehr Säulen als ein antiker Palast, und stehen sollte es bei Bingen am Rhein. Dass es nie gebaut wurde, erspart ihm jetzt immerhin Forderungen nach Entfernung. Genauso wenig zum Zug kam sein Entwurf für eine Gedenkstätte in Schinkels Neuer Wache, was diesen wiederum vor den Umgestaltungen in NS- und DDR-Zeit und nach 1990 bewahrte. Verwirklicht wurde 1924 nur Mies' Denkmal für Luxemburg und andere Revolutionäre in Friedrichsfelde. Das wurde dann von den Nazis geschleift. Diskussionen über eine Rekonstruktion laufen aber; und noch bis Ende März kann man die drei so verschiedenen Denkmalsentwürfe von dem politisch recht breit aufgestellten Mann im Mies-van-der-Rohe-Haus am Obersee in Berlin-Hohenschönhausen betrachten, diesem Denkmal für Mies als Wohnhausarchitekten. Peter Richter

Pop: "Cracker Island" von den Gorillaz

Favoriten der Woche: Das Album "Cracker Island" ist das beste, das die Band in vielen Jahren gemacht hat.

Das Album "Cracker Island" ist das beste, das die Band in vielen Jahren gemacht hat.

(Foto: Warner Music)

Womöglich liegt der Trick des Albums "Cracker Island" darin, dass Damon Albarn diesmal die Gäste reduziert hat - quantitativ. Ist ja ein Phänomen, dass der ehemalige Blur-Frontmann und Co-Gründer der Gorillaz sie wirklich alle bekommt. Wenn er denn will. Sogar Noel Gallagher, der ihm einmal wünschte, an Aids zu sterben, kooperierte bereits mit der Cartoon-Formation. Diesmal sind es Stevie Nicks, deren knochentrockener Gesang Albarns immer etwas verschwebtes Genäsel erdet. Dazu die Sänger Beck und Adeleye Omotayo, der grandiose Bassist Thundercat, Bootie Brown, Tame Impala und der Reggaeton-Megastar Bad Bunny. Das ergibt noch immer einen weithin überambitionierten Stilmix, wird aber so fundamental grandios zusammengehalten von der sakralen Melancholie von Albarns Melodien, dass es noch weniger auffällt als sonst. Das Beste, was diese Band in vielen Jahren gemacht hat. Jakob Biazza

Literatur: Wolfgang Kohlhaase in "Sinn und Form"

Favoriten der Woche: Das Exposé "Onkel, hast du Feuer?" des im vergangenen Oktober verstorbenen Wolfgang Kohlhaase ist in der womöglich letzten Ausgabe von "Sinn und Form" zu entdecken.

Das Exposé "Onkel, hast du Feuer?" des im vergangenen Oktober verstorbenen Wolfgang Kohlhaase ist in der womöglich letzten Ausgabe von "Sinn und Form" zu entdecken.

(Foto: imago stock&people/teutopress)

Erzählen darf keinen Anlauf nehmen, darin besteht die ganze Kunst des Wolfgang Kohlhaase, der subtile literarische Storys schrieb und fantastische Drehbücher. Seit den Fünfzigern hat er, für Regisseure wie Konrad Wolf und Frank Beyer arbeitend, das Kino der DDR geprägt, nach der Wende dann das im Westen, mit Volker Schlöndorff oder Andreas Dresen. Am 5. Oktober 2022 ist er gestorben. In der neuen Ausgabe der Literaturzeitschrift Sinn und Form ist unter anderen (Gombrowicz, Gissing, Ernaux) von ihm ein Exposé abgedruckt, "Onkel, hast du Feuer?", und ein Gespräch mit ihm, vom April 2022. Außerdem eine Trauerrede von Andreas Dresen, in der dieser auch von Kohlhaases Laudatio erzählt, als Dresen beim Münchner Filmfest den Wicki-Preis erhielt.

Es ist das erste Heft im 75. Jahr des Erscheinens, und wird fürs Erste das letzte der Zeitschrift sein, die von der Akademie der Künste in Berlin herausgegeben wird. Eben das hat nun das Landgericht Berlin untersagt - die Kulturzeitschrift Lettre International hatte geklagt, weil die Akademie staatlich finanziert werde, Sinn und Form also eine "inoffizielle Staatskulturzeitschrift" sei auf dem freien Markt.

"Onkel, hast du Feuer?" ist ein aufregender kleiner Text, in dem kein Wort und keine Pause zu viel sind, er ist absolut literarisch, und doch ist schon ein richtiger Film in ihm enthalten - die Geschichte eines TV-Regisseurs in der DDR, der für die Nachrichten-Show "Kamera konkret" arbeitet und an den taktierenden Vorgesetzten leidet, die seine (zaghaft) renitenten Beiträge vorsorglich zusammenstauchen. Und dazu die Scherereien mit den Frauen, und natürlich mit dem Männerproblem der Potenz: "Sag mal, kennst du das, als Kind habe ich öfter gehört, ich meine, wenn wir auf das Thema kamen, dass man nur dreitausend Mal kann. Als Mann, meine ich. Im Leben."

Ein Gestottere, das den armen Mann sofort vor den Augen erstehen lässt, durch all das, was ungesagt bleiben muss. "Ich glaube", erklärt Kohlhaase, "man muss so offen, so voraussetzungslos wie möglich erzählen. Es darf keinen Anlauf nehmen, es muss sich erzählen. Voraussetzungslosigkeit hat für das Erzählen ja eine große Schönheit. Weil es Lust macht, darüber nachzudenken ... Was voraussetzungslos, atemlos ist, berührt mich." Fritz Göttler

Zur SZ-Startseite

SZ PlusNoel Gallagher im Interview
:"Wenn Sie das für Ihren Grabstein nutzen, verklage ich Sie"

Die schlechte Nachricht: Noel Gallagher bezeichnet sich jetzt sogar selbst als Künstler. Die gute: Das Internet hasst er noch immer. Ein Gespräch.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: