Johannes B. Kerner im Interview:"Du musst was liefern"

"Ich habe damals falsch entschieden" - Johannes B. Kerner über Eva Hermans Abgang, über die Fußball-EM und das Ende seiner Koch-Show-Moderation im ZDF.

Christopher Keil

SZ: Herr Kerner, hat der Spiegel schon angefragt?

Johannes B. Kerner, dpa

Will sich künftig stärker der Sportberichterstattung widmen: Johannes B. Kerner

(Foto: Foto: dpa)

Johannes B. Kerner: Nein. Ich habe mit Stefan Aust in den vergangenen zehn Jahren immer wieder Kontakt gehabt. Ich finde seine Leistung als Chefredakteur beeindruckend. Ich kann sagen, Spiegel-Chefredakteur wäre nicht mein Traumjob.

SZ: Der Spiegel ist über die Spiegel-TV-Tochter a+i, die den Produktionsauftrag für die Johannes B. Kerner Show hat, einer Ihrer Geschäftspartner. Im Guten wie im Schlechten wurde im Spiegel fast nie etwas über Sie geschrieben. Befürchten Sie, dass dieses Patt mit der 2008 anstehenden Ablösung Austs fällt?

Kerner: Die Geschäftsbeziehung zum Spiegel-Verlag ist von der Öffentlichkeit überbewertet. Tatsächlich gibt es kein Patt, sondern eine Absprache, die ich sehr hanseatisch finde. Sie lautet: Der, mit dem man Geschäfte macht, sollte nicht gleichzeitig Gegenstand positiver oder negativer Berichterstattung sein. Sie und Ihre Kollegen würden immer mutmaßen, dass hinter dieser positiven oder jener negativen Kritik ein tieferer Sinn steckt. Um dem aus dem Weg zu gehen, hat Stefan Aust die weise Bitte geäußert, es so zu handhaben.

SZ: Warum haben Sie Aust 2000 während der Olympischen Spiele in Sydney in Ihre Sendung eingeladen?

Kerner: Es war das einzige Mal. Und es hätte vielfach Grund gegeben, ihn erneut einzuladen.

SZ: Aust wurde nach Australien eingeflogen.

Kerner: Schwimmen ging nicht. Stefan Raab und Wolfgang Schäuble wurden damals auch eingeflogen. Sie waren Gäste meiner Sendung. Aust ist ein großer Liebhaber der Reiterei und konnte sachdienliche Hinweise geben in einer Sportart, in der ich nicht so zuhause bin.

SZ: 2007 war Kerner erfolgreicher als vergleichbare Formate. Ist für Sie die Bestnote das Wichtigste: durchschnittlicher Marktanteil 12,9 Prozent?

Kerner: Das ist die Erwartung meines Arbeitgebers.

SZ: Ihre doch auch.

Kerner: Stimmt.

SZ: Quote und Qualität finden aber immer seltener zusammen.

Kerner: Ich teile diese Einschätzung nicht.

SZ: Wie ist das bei Ihrer Sendung?

Kerner: Die Zuschauer finden die Mischung interessant: Unsere Gäste und Themen nehmen die Menschen als Teil Ihres Fernsehlebens wahr.

SZ: Ihre Zuschauer sind eher weiblich und eher über 55 Jahre alt.

Kerner: Mag sein. Aber das verändert sich, wenn wir Tokio Hotel oder Dieter Bohlen bei uns haben. Wenn ein 90-Jähriger aus seiner Zeit im Konzentrationslager berichtet, ist der Anteil junger Leute bedauerlicherweise nicht so hoch. Wir müssen die Mischung finden, die uns und den Themen, die wir behandeln, übers Jahr gerechnet die größte Aufmerksamkeit bringt.

SZ: Interessieren Sie sich eigentlich für alles? Für Tokio Hotel, Bohlen, und das Leid älterer Menschen?

Kerner: Das ist der Anspruch. Für alles Interesse zu haben ist sicher schwierig. Da muss man sich auch mit professioneller Technik helfen. General interest nennt man unser Angebot. Dafür, dass wir eine Vielfalt haben, müssen wir uns nicht entschuldigen.

SZ: Wir nennen es Boulevard Talkshow.

Kerner: In Anlehnung an ein Ressort in einer überregionalen Zeitung könnten wir es auch Panorama-Talkshow nennen. Es ist eine Sendung mit Panorama-Charakter. Bei Boulevard schwingt ja immer mit: Große Buchstaben, laut, Draufhauen, Sex sells.

"Du musst was liefern"

SZ: Ihre erfolgreichste Einzelsendung, der Disput zwischen Alice Schwarzer und Verona Feldbusch, war sehr laut.

Kerner: Eine herrliche Auseinandersetzung, sogar inhaltlich. Das war ein gutes Gespräch, leider nicht meinetwegen, sondern wegen der beiden Frauen.

SZ: Dürfen Moderatoren eine Meinung haben?

Kerner: Na klar.

SZ: Bringen Sie Meinung ein?

Kerner: Jetzt oder in der Sendung?

SZ: In der Sendung.

Kerner: Es fällt mir jetzt im Interview leichter als in der Sendung. Im Fernsehen bin ich der Moderator. Und da liegt meine ausgleichende Rolle bereits im Wort.

SZ: Würden Sie manchmal gerne auftreten wie Frank Plasberg oder Maybrit Illner: hart fragen, wenig Rücksicht?

Kerner: Was ist der Maßstab? Ist der Maßstab die auswendig gelernte Frage, die ich mich dann traue zu stellen? Oder ist der Maßstab das, was am Ende dabei herauskommt? Muss ich jemanden verführen, etwas zu sagen, oder kann ich jemanden bewegen, etwas zu sagen. Kann ich jemanden im Gespräch hinführen zu etwas, oder muss ich jemanden quälen, bis er etwas sagt. Ich glaube, dass im Gespräch viel herauskommt.

SZ: In Notfallsituationen haben Sie einen Supervisor. Ihr Redaktionsleiter kann sie über Funk erreichen.

Kerner: Schön, dass wir wenig Notfälle hatten seit 1997, und die löse ich übrigens selbst. Wenn ich mich allerdings verquatsche, dann bin ich über den Knopf im Ohr schon darauf hingewiesen worden, dass noch andere Gäste warten.

SZ: Ursprünglich kommt die Talkshow aus der Streitkultur. Heute ist daraus eine Konsenskultur geworden, eine Große Koalition zwischen Moderator und Gast.

Kerner: Ich nehme Politikern den Streit in Talkshows gerade nicht ab. Bestimmt eine Folge der Großen Koalition. Vielleicht wird es im Bundestagswahlkampf 2009 wieder ehrlicher.

SZ: Streit ist nicht der Auftrag Ihrer Sendung.

Kerner: Wir senden zu Beginn der so genannten zweiten Primetime. So spät wollen sich die Menschen entspannen, wollen unterhalten, jedenfalls nicht belästigt werden. Und daran hat sich in den zehn Jahren, die ich das nun mache, fast nichts verändert.

SZ: Keine Veränderungen in einem Jahrzehnt?

Kerner: In Nuancen. Eine Weile haben wir uns Lebensgeschichten erzählen lassen, dann wieder auf ungewöhnliche Kombinationen gesetzt. Jetzt kommen immer wieder Servicethemen rein.

SZ: Kerner ist der Marktplatz, auf dem sich alle treffen.

Kerner: Ich kenne das Argument, dass die Leute nur zu uns kommen, um etwas zu bewerben. Tatsächlich ist es nicht ganz so. In Amerika gibt es den Spruch: "You have to bring something to the show." Du musst was liefern. Das wird in Deutschland zunehmend gelernt.

SZ: Und Eva Herman hätte wohl eine Entschuldigung liefern sollen, eine reflektierte Sicht auf Ihre Aussage zu den Müttern im Dritten Reich und den Müttern von heute?

Kerner: Ich habe mit der Sendung nur das Beste gewollt, aber es ist nicht das Richtige dabei herausgekommen. Das bedauere ich sehr.

SZ: Was wollten Sie?

Kerner: Ich wollte über die Mutterrolle in unserer Gesellschaft sprechen. Die Beschäftigung mit ihrem Zitat bei der Vorstellung ihres Buches sollte nur die Einleitung zu diesem Gespräch sein. Das war bei mir mit 1:30 Minuten veranschlagt. Meine erste Frage war: "Was hast du gelernt?" Sie sagte, sie habe viel über Presse gelernt, wie man hingerichtet werden kann. Uuuh, dachte ich, das entwickelt sich nicht so ganz, wie wir angenommen hatten. Nach zehn Minuten habe ich nachgefragt: "Die Fehler haben ausschließlich die anderen gemacht?" Nach 52 Minuten sagte dann Senta Berger, dass sie sich das nicht mehr anhöre.

"Du musst was liefern"

SZ: Waren Sie ausreichend vorbereitet, um mit Eva Herman über ihr Buch diskutieren zu können?

Kerner: Ja. Der Fehler war: Wir haben die Sendung redaktionell nicht zu Ende gedacht. Wir hatten so eine Reaktion von ihr nicht auf dem Zettel. Wir betreiben vorher Planspiele: Wie könnte sich ein Gespräch entwickeln, wie muss man reagieren, bis in die letzte Verästelung.

SZ: Eva Herman meinte später: Sie seien überfordert gewesen.

Kerner: Ich habe das gelesen.

SZ: Auch Sie sind für die Sendung kritisiert worden. Was haben Sie gelernt?

Kerner: Dass ich für alles, was mit der Sendung zu tun hat, verantwortlich bin. Nicht lernen will ich daraus, solche Themen nicht mehr anzupacken. Die Kritik war für mich in weiten Teilen virtuell, ein Internetphänomen. Es gab 4000 E-Mails und nur vier Briefe.

SZ: Virtuell, weil in einem Internetforum, das sich für die Sache von Eva Hermann einsetzt und offenbar von ihr unterstützt wird, genau beschrieben war, wie man mit E-Mails an Sender und Zeitungen Stimmung macht - gegen Sie?

Kerner: Ja, ich will aber nicht ablenken. Ich habe damals falsch entschieden. Als Eva Herman gehen wollte, hätte ich sagen können: "Nein, nein, bleib hier. Hier fliegt keiner raus. Da hinten ist Platz genug." Es ist ja nicht die Reise nach Jerusalem, auf der immer ein Stuhl weggezogen wird, wenn die Musik verstummt.

SZ: Früher waren sich Moderatoren und Gäste nicht so vertraut. Sie duzen viele Gäste, auch Eva Herman. Ist es ein Nachteil, wenn man sich zu gut kennt?

Kerner: Das Du bedeutet nicht, dass man nicht kritisch miteinander umgeht. Wir sind da eine Generation weiter. Früher sagte man: Der Sportmoderator Waldemar Hartmann sei eine Duzmaschine. Aber er hat mit Du und Rudi Völler, dem damaligen Teamchef der deutschen Fußball-Nationalelf, eine sehr amtliche Auseinandersetzung geführt auf Island.

SZ: Von Nikolaus Brender, der ZDF-Chefredakteur ist, stammt der Satz: "Journalisten werben nicht." Sie werben für eine Fluggesellschaft. Werden Sie im ZDF noch als Journalist geführt?

Kerner: Ich werde als Journalist eingesetzt, insbesondere vom Chefredakteur (der u.a. verantwortlich ist für den Sport beim ZDF). Das ZDF hat zur Werbung klare Richtlinien. Die erfülle ich. Das entscheidende Kriterium ist: Das, wofür geworben wird, darf nicht im redaktionellen Umfeld auftauchen.

SZ: Ihr langjähriger Redaktionsleiter Markus Heidemanns steht Ihnen nur noch beratend zur Verfügung. Er wird durch zwei Nachfolger ersetzt. Wird Kerner sich verändern?

Kerner: Die Verdienste von Markus Heidemanns sind unbestritten. Er hat die erfolgreichste People-Talkshow gemanagt, aber ich sehe die neue Konstellation als Chance. Der eine Neue ist zehn Jahre Stellvertreter gewesen, der andere ist zehn Jahre jünger als ich. Ich werde mich viel stärker engagieren als früher, mehr in die Gäste- und Themenfindung einbringen. Deshalb werde ich etwas abgeben. Eher kurzfristig werde ich die Kochsendung am Freitagabend abgeben.

"Du musst was liefern"

SZ: Deckel zu.

Kerner: Für mich sind das 40 Sendungen im Jahr weniger. 2008 gibt es zwei große internationale Sportveranstaltungen, die Fußball-EM in Österreich und der Schweiz sowie die Olympischen Spiele in Peking. Ohne Reduzierung ginge das alles nicht.

SZ: Und Markus Lanz, der von RTL zum ZDF kommen und Sie in der Talkshow-Sommerpause vertreten soll, wird künftig um die Töpfe schleichen?

Kerner: Da bin ich mir nicht so sicher. Aber sicher bin ich mir, dass er in der Sommerpause meiner Talkshow eine gute Vertretung wäre.

SZ: Viele Generalisten gibt es nicht, die sich Talk, Sport und Shows wie Unsere Besten zutrauen. Warum Sie?

Kerner: In der Wahrnehmung des Publikums muss es vielleicht so wirken, als sei ich Gesprächsleiter, Chefkoch und Fußballprofi. Wenn ich also als Gesprächsleiter versagte, könnte man das darauf zurückführen, dass ich am Vortag noch ein Zwei-Sterne-Menü begleiten musste. Und wenn in dem Menü zu viel Salz wäre, würde man sagen: Das liegt daran, dass er am Vortag noch eine Trainingseinheit als Bundesligaprofi hatte. Ich verstehe auch, wenn es anderen viel vorkommt. Und deshalb ist es das Allerwichtigste, sich die Ergebnisse in jedem einzelnen Bereich anzuschauen.

SZ: Und was sehen Sie da?

Kerner: Die Kochsendung ist zu einer Benchmark geworden. Beim Talk stimmen längst nicht nur die Zahlen. Und bei Länderspielen muss man schauen, ob ich Bundestrainer Löw die richtigen Fragen stelle, ob ich sachgerecht und formulierungssicher überleite, nüchtern analysiere und voll konzentriert bin.

SZ: Schwächen gibt es keine?

Kerner: Doch sicher.

SZ: Wie beruhigend.

Kerner: Schwächen findet man - aber auch bei denen, die ausschließlich Sportsendungen moderieren. Rede ich dummes Zeug und behaupte, Ballack sei in London und müsse zum Länderspiel nach Wales kommen, halte ich den Kopf hin, wenn sich das als Ente entpuppt. Ich rufe Ballack am nächsten Tag an, ich entschuldige mich, ich sage: Michael, wir sind einer Fehlinformation aufgesessen. Bitte um Nachsicht.

SZ: Andere arbeiten vielleicht schon deshalb weniger, weil Sie dann weniger Fehler machen.

Kerner: Ich liebe es zu arbeiten. Im Urlaub nach dem Zeitungslesen ein bisschen mit der Firma zu telefonieren, ist für mich Entspannung pur.

SZ: Herr Kerner, Sie sind 43 Jahre alt, Sie sind zum dritten Mal Vater geworden und finanziell unabhängig: Was wollen Sie noch erreichen?

Kerner: Ich bin treu. Ich erfülle meine Verträge. Der laufende Vertrag geht bis Ende 2009.

SZ: Und wer wird 2008 Fußball-Europameister?

Kerner: Deutschland.

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