Johannes B. Kerner:Er kriegt sie alle weich

Wohl dem, der himmlisch ignorant sein darf: Gute-Laune-Moderator Johannes B. Kerner verlässt das ZDF. Eine abschließende Beurteilung jahrelanger Gebühreninvestitionen.

Joseph von Westphalen

Ab und zu bedauere ich, nichts Vernünftiges gelernt und keinen soliden und nützlichen Beruf zu haben - Architekt, Arzt, Anwalt, etwas in der Art: Schuften von früh bis spät, aber wenn man mit eh schon flauen Gefühlen an die Zukunft denkt, dann erfasst einen wenigstens in finanzieller Hinsicht kein Bangen um den Lebensstandard im eigenen Alter.

Ein weiterer Vorteil: In seiner kostbaren freien Zeit glotzt man keine überflüssigen Talkshows. Keiner meiner beschäftigten Freunde wusste, wer Kerner ist. Beneidenswert irgendwie, wenn man ganz ehrlich rückfragen kann: "Johannes B. Wer?" Als geplagter Beobachter und Beschreiber des Zeitgeschehens kann man sich diese himmlische Ignoranz nicht leisten.

Spätabendliche Plauderstunden

Ich kenne Kerner, das heißt, von den tausend und so und so viel seiner spätabendlichen Plauderstunden mit den mehr als 5.000 zum großen Teil höchst prominenten Gästen, die das ZDF seit 1998 ausgestrahlt hat, bin ich beim Zappen vielleicht ein Dutzend Mal hängengeblieben und nach zehn Minuten wieder abgesprungen.

Nur das Müttergenesungslamento der geschassten Nachrichtensprecherin Eva Herman und den absehbaren Zank der männerfreundlichen Verona, geborene Feldbusch (wie konnte sie ihren hübschen Geburtsnamen aufgeben), mit der frauenfreundlichen Alice Schwarzer habe ich seinerzeit gezielt und mit Interesse gesehen.

Gebührenzahlungen abschließend prüfen

Wenn Fernsehgesichter gehen, nimmt die Nation Anteil. Die Pensionierung des angenehm farblosen Karl-Heinz Köpcke 1987 oder des angenehm farbigen Uli Wickert 2006 bewegte das Volk. Abschiedstrauer im Fall Kerner ist auch für seine Liebhaber nicht angesagt. Er verschwindet nicht von der Bildfläche, sondern wechselt aus Geldgier oder Abwechslungslust zu Sat 1, wo er, wie es heißt, unter anderem hemmungsloser Werbung machen kann.

Mir wird der immer als "Sunnyboy" und "idealer Schwiegersohn" bezeichnete Gesprächskünstler nicht mehr unterkommen. Die privaten Sender nutze ich kaum, das geht zu weit, die öffentlich-rechtlichen rauben mir genug Zeit.

Dennoch, man will gerecht sein und seine Vorurteile und das Ergebnis seiner Gebührenzahlungen abschließend überprüfen, und so habe ich mir die letzte reguläre Kerner-Sendung am Mittwochabend fast in ganzer Länge angetan.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie Helge-Schneider-Fans auf Johannes B. Kerner reagieren.

Das Phänomen Kerner

Es wird kommen der Tag, hofft man tatsächlich selbst als Heide ganz biblisch, an dem der Gott der Quote den Menschen die Augen öffnet und sich kein Schwein mehr interessiert für die sicher liebe Barbara Schöneberger und ihre jüngst (unauffällig!) geschlossene Ehe, geschweige denn für den mit seinen Fettmassen in ungenierter Leutseligkeit kokettierenden Fußballmenschen Reiner Calmund und sein selbstgefälliges Loben seiner tollen jungen dritten Ehefrau. (Harald Schmidt hat endlich Abstand von diesen Leuten genommen, was seiner neuen Sendung gut tut.) Gegen die ebenso gemütlichen wie penetranten Intimitäten dieser Regenbogenfiguren wirkte in der Sendung am Mittwoch das neue Liebesglück des nationalheiligen Goldmedaillengewichthebers geradezu keusch und rührend.

Penetrante Gutgelauntheit

Der ZDF-Ausstand am Donnerstag dieser Woche war dann ein Zusammenschnitt bisheriger Highlights. Ich habe aber lieber bei YouTube und auf der ZDF-Seite eine halbe Nacht lang mit einer eigenen Zusammenstellung das Phänomen Kerner zu ergründen versucht. Immerhin ist sein Ruf so kolossal, dass Weltstars wie Helmut Kohl sich von ihm anschwärmen ließen. Interessant ein Auftritt von Helge Schneider. Der leidet anfangs störrisch unter Kerners penetranter Gutgelauntheit, wird dann aber doch weich und gibt fast ohne Faxen Auskunft.

Helge-Schneider-Fans sind offenbar Kerner-Hasser. Unter den 300 YouTube-Kommentaren ist das Wort "Schmierwurst" noch eines der freundlichsten. Fast wecken all die Invektiven den Pflichtverteidiger in mir. Immerhin ist Kerner hell und schnell und gut informiert. Mit seiner nervenden Nettigkeit und dieser Art, sich naiv zu stellen, kann er tatsächlich die Leute auftauen. Wenn die interessant sind, kann das was bringen.

In den Bildungsfernsehnischen wäre JBK wirklich gut. Er könnte Sloterdijk auf den Zahn fühlen und Habermas allgemein verständlich machen, vielleicht sogar einen Nazi entlarven. Wie die sich ärgern und dabei öffnen würden. Doch, das traue ich ihm zu. Nicht sehr lukrativ, allerdings. Vielleicht nach der Sat-1-Zeit, ja?

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