Süddeutsche Zeitung

Jörg Bong: "Die Flamme der Freiheit: Die deutsche Revolution 1848/1849":Der Gesang der eisernen Lerche

Warum Deutschland sich so schwer tut mit dem Andenken seiner Freiheitskämpfer - und wie ein grandioses Buch von Jörg Bong ihnen endlich das verdiente Denkmal setzen möchte.

Von Joachim Käppner

Es ist eine angesichts des mörderischen Putinschen Angriffs auf die Ukraine bedrückend aktuelle Frage: Wann ist ein Krieg gerechtfertigt, das Töten, die Gewalt, all das Leid, das er mit sich bringt? Der Rheinländer Carl Schurz hat in seinen Lebenserinnerungen eine Antwort gegeben. 1861 griff er zum zweiten Mal in seinem bewegten Leben zur Waffe - nicht weil er es gern wollte, sondern weil die Sache es rechtfertigte: die Freiheit zu retten. Um zu kämpfen gegen jene, die das Recht behaupteten, "seine Mitmenschen zum Sklaven unterjochen zu dürfen", schloss sich Schurz der Armee der amerikanischen Nordstaaten an. Er trug deren blaue Uniform mit Stolz, weil Präsident Abraham Lincoln gesagt hatte: "Wenn die Sklaverei nicht Unrecht ist, dann ist nichts Unrecht."

Obwohl immerhin einige Straßen, Einrichtungen und eine Kaserne der Bundeswehr nach ihm benannt wurden (und vielen anderen deutschen deutschen Freiheitskämpfer solche Ehren nicht gegönnt sind): Carl Schurz, der von 1829 bis 1906 lebte, ist bis heute wenigen ein Begriff, wobei man leider sagen muss, dass unter diesen wenigen leider einige sind, die Carl Schurz nicht verstanden haben. Er kämpfte als junger Radikaldemokrat in der Revolution von 1848/49 gegen die preußische Armee, gehörte dabei zu den Verteidigern der letzten demokratischen Bastion, der Festung Rastatt; entkam durch die Abwässerkanäle, lebte im Untergrund, holte in einer wagemutigen Aktion den Freiheitsdichter Gottfried Kinkel aus dem Gefängnis.

Der deutsche Freiheitskämpfer Schurz ist in den Vereinigten Staaten weit bekannter als hierzulande

Die Polizei des rachsüchtigen preußischen Obrigkeitsstaates suchte Schurz. Er wanderte in die USA aus und siegte auf Seiten des Nordens in der Schlacht von Gettysburg gegen die Sklavenhalter des Südens. Später brachte es Schurz zum Innenminister der USA, um Reformen und Gerechtigkeit bemüht. Noch als sehr alter Herr kämpfte er Ende des 19. Jahrhunderts gegen Kolonialismus und Imperialismus, Versuchungen also, gegen die seine Wahlheimat, die im Kampf gegen die Kolonialherrschaft gegründeten USA, zu seinem Erschrecken nicht mehr gefeit waren.

Ein deutscher Freiheitskämpfer, in den Vereinigten Staaten weit bekannter als in diesem Land, das sich von je her schwertut mit der Erinnerung an jene Wegbereiter der deutschen Demokratie, die Frank- Walter Steinmeier zuletzt als Herausgeber eines eigenen Buches würdigte. In diesem Frühjahr plante der Bundespräsident eine Büste von Schurz vor dem Schloss Bellevue zu enthüllen, doch dazu kam es nicht mehr. Die identitätspolitische Linke hatte den Revolutionär als Zielscheibe entdeckt: Schurz hatte während Grants Präsidentschaft die Assimiliation indigener Kinder vorangetrieben und die Bundestruppen 1877 aus den besetzten Südstaaten abgezogen.

Man könnte beides erklären, wenn man es denn erklären wollte. Der Truppenabzug war der Versuch, die lange Teilung des Landes zu beenden und offizielle Regierungspolitik. Die Zwangsassimiliation dagegen war aus heutiger Sicht eine Schandtat, da gibt es nichts zu relativieren. Dennoch muss es aus der damaligen Zeit heraus verstanden werden, so wie man alle Geschichte erst einmal aus ihren Umständen heraus verstehen muss, um sie bewerten zu können. Zu Schurz' Zeit und ihm selbst galt die Zwangserziehung indigener Kinder als progressiver Akt, während viele andere Weiße diese noch um ihr Überleben kämpfenden Völker am liebsten gleich ausgelöscht hätten: Die "militärische Lösung" hatte in ihm einen entschiedenen Gegner.

Unbestreitbar, Carl Schurz hatte und machte Fehler. Aber die historische Person, die bei all ihren Verdiensten solche nicht gehabt oder gar eine jesusartige Lichtgestalt gewesen wäre, muss erst noch gefunden werden. So kommt es kurioserweise dazu, dass sich, wenn es darum geht um das gebührende Andenken eines deutschen Freiheitskämpfers zu verhindern, zu Preußentyrannen und nationaltrunkenen wilhelminischen Historikern auch noch neue Progressive gesellen.

"Morgens Nichts, Mittag Nichts und Abends wenig"

Gut, dass es wenigstens ein großartiges neues Buch gibt, um den Freiheitskämpfern und -kämpferinnen (denn es waren auch etliche Frauen darunter) von 1848/49 ein Denkmal zu setzen: "Die Flamme der Freiheit" von Jörg Bong. Zu den Menschen, denen es der Literaturwissenschaftler und Publizist widmet, gehören ausdrücklich auch Carl Schurz oder Emma und Georg Herwegh, zwei seiner Hauptpersonen, ein Literatenpaar, das leidenschaftlich für die Demokratie eintrat. Emma fasste das Schicksal der fremdbestimmten Bürgerfrauen in dem Satz "Morgens Nichts, Mittag Nichts und Abends wenig" zusammen und konnte mit der Pistole schießen. Ihren damals berühmten Gatten schildert Bong so: Er ist "ein hochgewachsener Mann von feingliedriger Eleganz, hat schulterlanges Haar, eine Denkerstirn und einen kultivierten vollen Bart. Bestimmt und sanft zugleich, enthusiastisch und nachdenklich".

Herwegh traf Heinrich Heine schon 1841 in dessen Pariser Exil, und der Dichter schrieb ihm hübsche Zeilen, aus denen sich viel Skepsis erkennen lässt, ob dieses Deutschland, das ihn, Heine, außer Landes getrieben hatte, wahrhaftig fähig sei zu einer Revolution gleich jener französischen von 1789: "Herwegh, du eiserne Lerche, / Mit klirrendem Jubel steigst Du empor / Zum heiligen Sonnenlichte! Ward wirklich der Winter zunichte? / Steht wirklich Deutschland im Frühlingsflor/ Nur in deinem Gedichte / Lebt jener Lenz, den du / Besingst."

Heine sollte Recht behalten: Die deutsche Revolution von 1848 begann als Orkan, der die Fürstentrohne wanken ließ, doch sie endete als resignierter Hauch. Bong beschreibt dies eindrucksvoll anschaulich anhand der Beisetzung der Berliner "Märzgefallenen", der Barrikendenkämpfer, die im Kampf gegen die Truppen des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. ihr Leben verloren hatten. Der Keim des Scheiterns liegt schon in diesem Moment scheinbaren Triumphs der Revolutionäre, schreibt Bong. Ihm ist eine so fesselnde Erzählung über die Berliner Barrikadenkämpfe im März 1848 gelungen wie kaum jemanden zuvor: "Weil sie nicht verloren haben, haben sie gesiegt; weil sie noch leben, sind sie Helden. So sehen es die Barrikadenkämpfer. Sie haben ein Wunder vollbracht: Preußen, die preußische Monarchie, gibt nach, zum ersten Mal - und das Volk hat sie dazu gebracht."

Aber der König, der eben noch fürchtete, wie Frankreichs Ludwig XVI. 1793 enthauptet zu werden, gibt sich geschickt als Vater der Nation, der die zerstrittenen Kinder besänftigt und eint - und heimlich Rache schwört: "Harsch ertönt die Aufforderung eines Kämpfers: ,Hut ab!' Einen Moment zögert der König, dann zieht er tatsächlich den Hut. Der König gehorcht dem Befehl eines Aufständischen, erweist den Terroristen, der Kanaille, wie er sie nennt, die Ehre. (...) Die Demütigung ist hart, der König wird sie nie vergessen, sein ganzes Leben nicht. Eine Demütigung stählt. Er wird es ihnen heimzahlen." Ein fesselndes, ein mitreißendes Buch - und erst der erste Band einer Revolutions-Trilogie, die 2024 abgeschlossen sein soll.

Jörg Bong vermeidet das historische Räsonieren. Lieber nimmt er die Leser mit ins Geschehen wie auf einer Kamerafahrt, vom ersten bis zum letzten Satz bleibt er eng an seinen Protagonisten. Das hat einen enormen Vorteil: Man versteht sie so aus ihrer Zeit heraus, ohne ihnen heutige Kriterien und Haltungen überzustülpen.

Was so meisterlich erzählt wird, ist eine Tragödie, die Geschichte eines Scheiterns

Man könnte also bei Bongs Buch von einer großen Lesefreude sprechen, wäre das Ergebnis nicht so ungemein traurig. Was Bong meisterlich erzählt, ist eine deutsche Tragödie, die Geschichte eines Scheiterns. Zwar tagt erstmals ein gewähltes deutsches Parlament in der Frankfurter Paulskirche und verabschiedet sogar eine Verfassung, aber seine Fraktionen sind zerstritten und der Moment, die Throne wirklich zu kippen, ist verpasst. Bongs Buch führt ins Herz dieser Auseinandersetzung: Die Liberalen wollen keinen Bürgerkrieg, keine flüchtenden Könige, keine brennenden Schlösser, sondern eine konstitutionelle Monarchie, Versöhnung, Kompromiss mit einem feudalen Gegner, der seinerseits jedoch keinerlei Kompromisse eingehen will. Also eine Revolution nach der Art, über die Lenin später gespottet haben soll: Wenn deutsche Revolutionäre einen Bahnhof besetzen, lösen sie vorher eine Bahnsteigkarte.

Jene, die sich mit der Waffe in der Hand wehren, wie Schurz und die badischen Demokraten 1849, stehen gegen Preußens Armee auf verlorenem Posten, heldenhaft, dass sie es überhaupt versuchten. Aber die deutsche Geschichte hatte viel zu lange und hat teils immer noch ein Faible für andere und falsche Helden. Die Achtundvierziger versanken im Nebel der Erinnerung. Andere Nationen setzten solchen Menschen Denkmale als Vorkämpferinnen und Pioniere der Freiheit - und so kommt es, dass in die USA geflüchtete deutsche Demokraten wie Schurz, Friedrich Hecker oder Franz Sigel dort mit Standbildern geehrt, in ihrer Heimat allerdings, wo man fortan Geschichte von oben schrieb statt von unten, vergessen wurden.

Der große Historiker Thomas Nipperdey hat die gescheiterte Revolution 1848/49 einmal als einen Freiheitskampf bezeichnet, dessen Scheitern uns bis heute mit Trauer um eine verlorene Möglichkeit erfülle - jene Möglichkeit, der modernen deutsche Geschichte eine andere, demokratische Wendung zu geben. Wäre sie geglückt, es hätte wohl weder die beiden Weltkriege noch Auschwitz, den Holocaust und den Vernichtungskrieg in der Sowjetunion gegeben. Das alles muss historische Spekulation bleiben. Wenn also solche Trauerarbeit nötig bleibt, und so sieht es aus, dann hat Jörg Bong einen sehr wichtigen Beitrag dazu geleistet.

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