Joel und Ethan Coen:"Hat die Inspiration schon jemals zugeschlagen?"

Die Coen-Brüder eröffnen mit ihrem Western "True Grit" die Berlinale. Ein Gespräch über brüderliche Einfälle, Herumsitzen, Oscar-Qualen und eine legendäre Aktfotosammlung.

Tobias Kniebe

Über Nacht sind sechzig Zentimeter Schnee gefallen, Manhattan kämpft sich an diesem Morgen zurück in die Normalität. Joel, der schnoddrige ältere Coen mit den dunklen Locken, und Ethan, der jüngere, sonnigere der beiden, tragen schwere Arbeitsstiefel. Sie haben eine Runde Schneeschippen und den Verkehr aus den Vororten überstanden. Ihr Büro liegt im Stadtviertel Tribeca in der Reade Street, nur ein paar Blocks entfernt von Robert De Niros Hauptquartier, recht geduckt in vermutlich dem kleinsten Haus der Gegend. Außer den Brüdern passt dort nur noch ein junger Assistent hinein.

Ethan Coen, Joel Coen

Joel Coen (rechts) ist der ältere Bruder. Ethan Coen (links) ist jünger und eine Spur menschenfreundlicher. Ethan gilt als der belesenere der beiden Coens, Joel manchmal als das visuelle Genie. Aber ganz ehrlich - wer weiß das schon?

(Foto: AP)

Jetzt sitzen sie, zurückgelehnt bis fast in die Horizontale, die Augen halb geschlossen, auf einem sehr breiten Sofa. Um dann doch, bei interessanten Themen, animiert nach vorn zu schnellen. Ihre Entspanntheit hat einen Grund: Die geradlinige Neuverfilmung des Westerns "True Grit", vor vierzig Jahren schon mal ein John-Wayne-Alterswerk, hat sich zum Überraschungshit mit 150 Millionen Dollar Kasseneinnahmen entwickelt. Ihre Darsteller Jeff Bridges und die vierzehnjährige Hailee Steinfeld sind für den Oscar nomiert, ebenso wie sie selbst in den Kategorien bester Film, beste Regie, beste Drehbuchadaption.

SZ: Warum eigentlich New York?

Ethan: Sie meinen, warum wir hier leben und arbeiten? Also, Joel hat hier studiert ... Ich habe nicht hier studiert. Hmm.

Joel: Hat sich wohl so ergeben. Wie das eben passiert, wenn man nie auf die Idee kommt umzuziehen. Wir konnten unseren ersten Film machen, ohne nach Los Angeles ziehen zu müssen. Von da an war es die Trägheit.

SZ: Trotzdem würde Sie niemand als New Yorker Filmemacher bezeichnen, wie Martin Scorsese oder Woody Allen.

Joel: Wir haben halt noch nie einen Film in New York gemacht.

Ethan: Jedenfalls keinen richtigen. Einmal hatten wir eine Art Fantasy-New York, was aber im Studio in North Carolina gedreht wurde. Und zuletzt haben wir in Brooklyn gedreht, taten aber so, als ob das Washington D.C. sei. Das war bei "Burn After Reading".

Joel: New York interessiert uns. Unser New-York-Film wird schon noch kommen.

SZ: Andererseits scheint es so, als würden Ihre Geschichten oft nach einer gewissen Weite verlangen: Der Himmel über Texas, die Schneewüste von "Fargo", jetzt in "True Grit" die Hügellandschaft von Arkansas, in der ein Gewehrschuss schon mal über 400 Yards geht...

Joel: Und nicht zu vergessen, Los Angeles! Irgendwie zieht es uns dort häufiger hin als in die engen Räume. Keine Ahnung, warum.

SZ: Man weiß, dass Sie jeden Tag zum Schreiben zusammenkommen und dabei strikte Bürozeiten einhalten ...

Ethan: Strikt würde ich das nicht nennen. Wir tauchen jeden Tag auf und sitzen herum, weiter geht die Disziplin dann doch nicht. Es ist keinesfalls sicher, dass wir am Ende des Tages irgendwas geschafft haben.

SZ: Was machen Sie dann?

Ethan: Herumsitzen. Die Wände anstarren.

Joel: Ans Telefon gehen. Mittagessen bestellen. Ein Nickerchen halten.

Ethan: Man kann erstaunlich viel Zeit und Energie in den Entscheidungsprozess stecken, was man zum Mittagessen bestellen will.

Joel: Yeah!

SZ: Haben Sie beim Betreten des Büros morgens manchmal das Gefühl: Heute wird die Inspiration zuschlagen?

Ethan: Wir sind uns da nicht sicher, ob die Inspiration überhaupt schon jemals zugeschlagen hat.

Joel: Oh yeah. Aber wie man so sagt: Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Ethan: Gott, wenn wir auf dieses Gefühl warten würden...

Joel: Tatsächlich finden unsere Geschichten irgendwie ihren eigenen, gemächlichen Rhythmus, in dem sie sich dann praktisch von selbst schreiben.

SZ: Hilft es denn, dabei zu zweit zu sein?

Ethan: Sagen wir so - wenn noch ein anderer Mensch im Raum ist, ist die Chance im Grunde doppelt so hoch, dass irgendjemand an irgendeinem Punkt auch mal einen Gedanken hat. Oder keinen Gedanken hat, aber trotzdem was sagt.

Joel: Im Ernst. So ist es.

SZ: Schwer zu glauben. Seit Ihrem großen Oscargewinner "No Country For Old Men" liefern Sie praktisch jedes Jahr einen starken Film ab. Wird das jetzt in dieser Geschwindigkeit weitergehen?

Joel: Wohl kaum. Vier Filme in vier Jahren ist doch ein etwas brutaler Rhythmus. Wenn man nicht gerade über siebzig ist und Woody Allen heißt.

Ethan: Wir hatten schon drei Drehbücher fertig, bevor wir mit "No Country" angefangen haben. Deshalb ging das. Die Zeit zwischen den Filmen, wo wir einfach nur die Wand anstarren, wurde dadurch stark abgekürzt.

SZ: Als John Wayne seinerzeit "True Grit" gedreht hat, war das ein ziemlich gradliniger Western über Vergeltung. Wie sind Sie an den Stoff herangegangen?

Ethan: Wenn man die Story genau betrachtet, ist es ein ziemlich gradliniger Western über Vergeltung. Unser Idee dazu war sehr simpel: Wir wollten dem Roman, der allem zugrunde liegt, möglichst treu bleiben. Wir lieben dieses Buch.

Joel: Wir wollten da exakt so rangehen wie Charles Portis, der Autor.

Ethan: Er hat all seinen Figuren diese altmodische, formelle, heute seltsam klingende Sprache gegeben. Und unheimlich viele Details dieser Zeit um 1870 eingefangen. Geschichten sind doch umso interessanter, je genauer sie eine ganz spezifische Zeit, einen ganz bestimmten Ort lebendig werden lassen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie es um den Humor in "True Grit" bestellt ist.

"Oscarnominierung? Fühlt sich seltsam an."

SZ: Dabei war Charles Portis einer der Väter des New Journalism, Ende der sechziger Jahre schrieb er eigentlich für Amerikas Blumenkinder.

Joel: Das ist wirklich unerwartet, wohl wahr. Aber interessant. Wobei - auch Tom Wolfe ist ja in seinem New Journalism von den Details besessen, wie die Leute reden, die Kultur der Zeit. Er kommentiert aber offener, satirischer.

Ethan: Charles Portis hat auch eine gewisse Komik in seinen Geschichten, aber trockener.

Joel: Trockener.

SZ: So trocken wie die Ironie der Coen-Brüder?

Ethan: Ich bin mir nicht sicher, ob wir in diesem Film überhaupt Ironie drin haben. Oder Komik.

Joel: Yeah. Unser Humor ist diesmal so trocken, dass er gar nicht vorhanden ist.

SZ: Derzeit müssen Sie sich an eine neue Rolle gewöhnen: Stammgäste bei den Oscars. Schon wieder zehn Nominierungen.

Joel: Ja. Fühlt sich seltsam an. (zu Ethan) Du bist letztes Jahr hingegangen, oder?

Ethan: Yeah.

Joel: Muss ich dann diesmal? So fühlt es sich ungefähr an: Wer muss diesmal hin? Ein sehr, sehr sonderbares Gefühl.

SZ: Ihr alter Buddy Roderick Jaynes, der den Film geschnitten hat, wurde nicht nominiert.

Ethan: Roderick wurde böse übergangen, yeah.

SZ: Er ist ein notorischer Stinkstiefel, der Sie gern als inkompetente und prätentiöse Stümper beschimpft. Was hält er von "True Grit"

Joel: Da bin ich mir jetzt nicht sicher, was er davon hält.

SZ: Hat er wenigstens das Gefühl, dass Sie als Filmemacher gewachsen sind in den letzten Jahren?

Ethan: Hehe. Nein, also dieses Gefühl hat er ganz bestimmt nicht.

SZ: Wie alt ist er denn jetzt?

Joel: Oh mein Gott, wie alt. Als wir mit ihm anfingen, war er um die achtzig. Er muss also schwer auf die hundert zugehen.

Ethan: Aber er arbeitet noch. Man darf nur sein Alter nicht erwähnen.

Joel: Zuletzt hat er meines Wissens den Film "Hot Tub Time Machine" geschnitten. Müsste man verifizieren.

SZ: Wird er die weltgrößte Kollektion mit Nacktfotos von Margaret Thatcher, die er besitzt, je veröffentlichen? Wir hätten da in Deutschland einen interessanten Verlag dafür, Taschen ...

Ethan: Oh yeah, Taschen. Diese riesigen Folianten... verkaufen die sich?

Joel: Müssen sie wohl! Ein gigantisches Coffeetable-Book mit Rodericks Thatcher-Fotos. Yeah, das wär's!

SZ: Leider existiert Jaynes nur in Ihrem Kopf - er ist das Pseudonym, das Sie in den Vorspann schreiben, wenn Sie Ihre Filme selbst schneiden. Einmal, bei "Fargo", wurde er aber wirklich für den Oscar nominiert - und sogar eingeladen.

Joel: Ja, wir hatten schon den Schauspieler Albert Finney überredet, der verkleidet in Jaynes' Identität schlüpfen wollte, um den Oscar entgegenzunehmen. Leider hat die Academy nicht mitgespielt und die Sache publik gemacht.

SZ: Warum haben Sie Finney nicht einfach heimlich eingeschmuggelt?

Ethan: Wissen Sie, wie oft man da seinen Ausweis zeigen muss, bevor man ins Kodak Theatre rein darf? Nein, das wäre leider nicht gegangen.

SZ: Ihr letzter Oscar, haben Sie erzählt, ist direkt in Ihre "Life is Strange"-Akte gewandert.

Ethan: Yeah.

SZ: Was wird noch in dieser Akte abgeheftet?

Joel: Da kommt nicht so oft was rein. Vielleicht, dass "True Grit" jetzt so ein riesiger Erfolg beim Publikum ist.

SZ: Und was ist mit den seltsamen Meldungen aus der Wirklichkeit? Wie der, die Sie seinerzeit zu "Fargo" inspiriert hat: "Mann in Connecticut wirft Frau in Gartenhäcksler"?

Joel: Solche Sachen kommen da nicht rein. Das würde zu voll.

Ethan: Das wären zu viele. Wir hätten das schon mit eigenen Augen sehen müssen. Wenigstens im Vorbeifahren.

Joel: Mindestens. Noch sicherer wäre die Aufnahme in die Akte, wenn Ethan selbst im Häcksler landen würde. Oder meinetwegen ich.

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