Joachim Gauck im Interview:"Eine gewisse Sorglosigkeit"

Joachim Gauck über die Diskrepanz zwischen dem Aufklärungseifer der Medien und dem Schweigen über Stasi-Verstrickungen im eigenen Haus.

Constanze von Bullion

Seit bekannt ist, dass zwei Redakteure der Berliner Zeitung als Inoffizielle Mitarbeiter des DDR-Geheimdienstes gearbeitet haben, gibt es im Verlag eine Debatte über journalistische Glaubwürdigkeit und persönliche Verantwortung. Eine große Mehrheit der Redakteure will nun ihre Stasi-Akten beantragen und veröffentlichen, um Klarheit über die Vergangenheit zu schaffen. Ein überfälliger Versuch der Aufklärung, findet der Gründer der Stasi-Akten-Behörde, der frühere Pfarrer Joachim Gauck, 68.

Joachim Gauck im Interview: Gaucks Name ist wie kein anderer mit der Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit verknüpft.

Gaucks Name ist wie kein anderer mit der Aufarbeitung der Stasi-Vergangenheit verknüpft.

(Foto: Foto: dpa)

SZ: Herr Gauck, Stasi-Fälle bei der Berliner Zeitung, was halten Sie davon?

Joachim Gauck: Er zeigt, wie groß nach wie vor die Sensibilität ist, wenn Menschen in einflussreichen Positionen insgeheim mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet haben.

SZ: Viele Leser der Berliner Zeitung sind jetzt enttäuscht. Sie haben erwartet, dass eine Zeitung, die offensiv Stasi-Fälle enthüllt, auch die eigene Geschichte kritisch durchleuchtet. War das naiv?

Gauck: Auch die Berliner Zeitung hat das phasenweise getan. Aber es gibt schon eine interessante Diskrepanz zwischen dem Aufklärungseifer der Medien, wenn es um die politischen und privaten Verstrickungen von Prominenten geht - und dem sehr beredten Schweigen, wenn es darum ging, im eigenen Hause Klarheit herzustellen. In der ganzen Breite der Zeitungs- und Fernsehlandschaft hat in den Jahren nach 1989 eine gewisse Sorglosigkeit gewaltet. Erst wenn andere Medien das Thema öffentlich gemacht haben, entstand Verlegenheit.

SZ: Erich Böhme, der nach der Wende Herausgeber der Berliner Zeitung war, hat damals seinen Redakteuren erklärt, ihre politische Vergangenheit interessiere ihn nicht, er wolle nur eine gute Zeitung machen. Er hat sich eine Flut gewünscht, die alle Stasi-Akten wegspült.

Gauck: Ja. Solche reaktionären Standpunkte sind mir vertraut. Da ich schon ein Älterer bin, kenne ich diesen Standpunkt von einer bestimmten Publizistik nach dem Kriege. Die fanden auch, es sei am besten, wenn man die bewährten Kräfte weiterbeschäftigt und Diktatur Diktatur sein ließe. Das kann man machen, wenn man sich besonders gut in die Interessen der Täter und ihrer Unterstützer hineinversetzt. Wenn man einen Perspektivwechsel vollzieht und sich von den Interessen der Opfer einer Diktatur leiten lässt, kann man einen solchen Standpunkt als reaktionär bezeichnen, um kein schlimmeres Wort zu benutzen.

SZ: Viele denken aber ähnlich wie Erich Böhme.

Gauck: Das mag sein. Oft ist es einfach nur gedankenlos oder geschäftsorientiert. Aber auch das erinnert mich wieder an die Zeit nach dem Kriege. Man wird doch auch nicht allen, die ehemalige Nazi-Richter oder -redakteure wiederbeschäftigt haben, unterstellen wollen, dass sie das Dritte Reich wiederbeleben wollten. Es ging ihnen um die Geschäfte. Und es ist zu fragen, ob in Zeiten nach dem revolutionären Umbruch in der DDR diejenigen weiter in wichtigen, meinungsbildenden Positionen wirken müssen, die es schon vorher getan haben.

SZ: Wen meinen Sie?

Gauck: Ich erinnere mich an den Fall eines Chefredakteurs in Potsdam, bei dem es sehr deutliche Hinweise auf eine IM-Tätigkeit gab. Es wurde aber keine Entscheidung gefällt. Dem Eigentümer der Zeitung erschien die Aktenlage nicht schwergewichtig genug. Der Laden lief ja. Irgendwann fanden sich dann im vorvernichteten Material die IM-Akten, dann war der Redakteur weg. Die Glaubwürdigkeit des Blattes hat das wohl kaum gefördert.

SZ: Wie soll sich ein Journalist denn idealerweise outen?

Gauck: Es gibt da kein Ideal, aber es macht schon einen Unterschied, ob man lügt, ob man den Kopf in den Sand steckt oder ob man sich mit seiner eigenen Geschichte auseinandersetzt. Wir haben Menschen erlebt, die die Fakten leugnen. Dann solche, die sie verniedlichen, so nach dem Motto: Ich habe doch niemandem geschadet. Und wir haben Menschen gesehen, denen es hochnotpeinlich war. Sie haben sich bemüht, mit den Opfern zu sprechen, noch bevor die Sache ruchbar wurde. Sie haben erkannt: Ich kann es allein nicht in Ordnung bringen, aber die Wahrheit hilft vielleicht. Letztere waren in der Minderheit.

SZ: Hätte der Journalist Thomas Leinkauf von der Berliner Zeitung sich denn der ganzen Redaktion erklären sollen?

Gauck: Das würde ich niemandem zur Pflicht machen. Wenn er tatsächlich seinem Chef gegenüber reinen Tisch gemacht hat, dann spricht das für ihn. Nur weiß ich nicht, ob das stimmt. Als nächstes stellt sich dann die Frage: Was haben diese Chefs geantwortet? Oft waren es Wessis, die in einer Mischung aus falsch verstandener Vornehmheit und Ignoranz gar nichts unternommen haben. Die sagten sich: Wir haben nicht in der Situation gesteckt. Andere haben sich dazu verstiegen zu sagen, sie wären selbst IM geworden. Da fasst man sich an den Kopf.

SZ: Warum hat es in einer Berufsgruppe, die nichts anderes tut als anderer Leute Biografien zu durchforsten, nicht mehr Rechercheeifer gegeben?

Gauck: Es freut mich, dass auch mal aus den Medien heraus solche selbstkritischen Stimmen kommen. Ich kann nur jeden beglückwünschen, der es zum Thema macht, dass oft auch Journalisten Teil einer Gesellschaft sind, die es nicht so genau wissen will. Da fehlt es an Aufklärungsbereitschaft der Aufklärer.

SZ: Finden Sie, die ehemaligen Stasi-Zuträger müssten gefeuert werden?

Gauck: Im Gegensatz zu dem Ruf, der mir vorauseilt, bin ich da nicht festgelegt. Es ist für mich sehr wichtig, wie die Menschen heute zu ihrer Tätigkeit von damals stehen und wie glaubwürdig sie eine Umkehr vollzogen haben. Ich finde aber auch, dass nicht jeder, der früher begünstigt war - und ein IM war begünstigt - weiter begünstigt werden muss. Er muss mit einer solchen Biografie nicht das Ende seiner Berufstätigkeit akzeptieren. Aber Umwege auf seiner Karrierebahn schon. Das ist nur gerecht.

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