Hörspiel "Jenseits von Eden":Wir Kinder von Kain

Er sei ein gnadenloser Menschen-Erzähler, lobt die Regisseurin Christiane Ohaus den Schriftsteller John Steinbeck. Und genauso hat sie dessen Saga "Jenseits von Eden" als fulminantes neunstündiges Hörspiel inszeniert.

Von Florian Welle

Es ist das Schicksal mancher Bücher, dass ihre Verfilmungen berühmter werden als sie selbst und fortan die Rezeption prägen. John Steinbecks 1952 erschienener Roman "Jenseits von Eden" gehört dazu. Wer heute den Titel hört, dürfte zuerst an Elia Kazans Kinoadaption von 1955 denken. Nicht zuletzt wegen James Dean, der in der Rolle des innerlich zerrissenen, mit seinem Zwillingsbruder Aron um die Liebe des Vaters kämpfenden Cal Trask zum Star wurde. Was wohl den wenigsten dabei bewusst ist: Der Film spielt im Jahr 1917, beschränkt sich also lediglich auf das letzte Viertel des gewichtigen Romans.

Steinbecks Epos von Gut und Böse vor der Blaupause der biblischen Kain-und-Abel-Erzählung nimmt seinen Ausgang zu Zeiten des amerikanischen Bürgerkriegs und erstreckt sich über drei Generationen. Schon Cals und Arons Vater Adam rang als Kind mit seinem Halbbruder Charles um väterliche Anerkennung. Im Hause Trask wurde seit jeher zurückgewiesen, gekränkt, gehasst, gerächt und vor allem auch gelogen. Das Übel pflanzte sich fort. Wie sollte es auch anders sein, da "wir alle von Kain abstammen". Und doch ist Steinbeck Moralist durch und durch und glaubt fest daran, dass der Mensch sich trotz aller Anlagen aus freien Stücken gegen das Böse und für das Gute entscheiden kann.

Wie ein Schibboleth, ein Code, taucht an zentralen Stellen des größtenteils im kalifornischen Salinas-Tal spielenden Romans deshalb das hebräische Wort "Timschal" auf: "Du kannst ..." Als Steinbeck 1962 der Nobelpreis verliehen wurde, sagte er in seiner Dankesrede nicht ohne Pathos: "Wer nicht leidenschaftlich an die Fähigkeit des Menschen glaubt, sich zu vervollkommnen, hat sich nicht der Literatur ergeben und gehört nicht zu ihr."

Wie ein roter Faden zieht sich das Motiv der Augen als Spiegel der Seele durch das Hörspiel

Im Hörverlag ist nun "Jenseits von Eden" als achtteiliges Hörspiel erschienen. Die Produktion des NDR von 2020 in der Regie von Christiane Ohaus nimmt sich mehr als neun Stunden Zeit, die dramatische Geschichte der Trask-Familie und in einem Parallelstrang die der Hamiltons auszuerzählen und ihrer Vielschichtigkeit gerecht zu werden. Natürlich musste auch hier noch gekürzt werden, aber dies geschah so wohldurchdacht, dass man nichts vom Geist der Vorlage vermisst und andererseits Akzente gesetzt wurden.

Wie ein roter Faden zieht sich das Motiv der Augen als Spiegel der Seele durch das Hörspiel, das einen Sog entfaltet, dem man sich kaum entziehen kann. Zahllos die Stellen, an denen zur Charakterisierung der Personen die Augen hervorgehoben werden. Sie können "kalt", "leer", "stumpf", "hart" und selten einmal "vernünftig" sein. Damit eng verknüpft ist ein weiteres Motiv, das Ohaus so wichtig war, dass sie bei ihm auf Streichungen verzichtete: das des Sich-Verstellens, der Schauspielerei. Entweder um sich selbst zu schützen, wie der Sinoamerikaner Lee, der mehr Philosoph und Lebensberater als Koch und Diener von Adam Trask ist. Seine hohe Bildung versteckt er vor seiner von rassistischen Vorurteilen geprägten Umgebung hinter der Maske des Einfältigen.

Oder um eigene Ziele zu erreichen. Meisterin darin ist Adams Ehefrau Cathy Ames, die von klein auf ihren Liebreiz einsetzt, um Menschen zu manipulieren. Wenn sie diese nicht gleich aus dem Weg räumt. Und so scheint sie auf den ersten Blick die Inkarnation des Teufels in Engelsgestalt zu sein, der es mit einem Lächeln im Gesicht ein Leichtes ist, dem liebesblinden Adam erst Hörner aufzusetzen und ihn dann zu verlassen und Bordellbesitzerin zu werden. Weshalb der zweite weise Mann des Romans neben Lee, der Farmer Sam Hamilton, auch nicht müde wird, Adam zu beschwören, doch genauer "hinzuschauen".

Steinbecks Saga ist auch eine über das Verhängnis des Über- und Wegsehens. Für sie gilt, was über die Erzählung von Kain und Abel gesagt wird, sie sei "eine "symbolische Geschichte der menschlichen Seele". Im Booklet bescheinigt Christiane Ohaus dem Autor, "ein gnadenloser Menschen-Erzähler" zu sein.

Die Frauen sind in dieser Geschichte wesentlich stärker als die Männer

Dort berichtet die Regisseurin auch, dass sie im Studio selten so lebhafte Diskussionen mit einem Sprecherensemble hatte. Man hört es dem Ergebnis an. Steinbecks zwiespältige Charaktere werden in ihrer psychologischen Tiefe ausgelotet. Man könnte jeden hervorheben aus der mehr als vierzigköpfigen Riege, die von Ulrich Noethen als allwissendem Erzähler, einer Alter-Ego-Figur des Autors, durch einen abgeklärten Ton zusammengehalten wird: von Thomas Loibl als verblendetem Adam über Felix von Manteuffel als gutmütigem Sam Hamilton bis zu Nils Kahnwald, der in der Rolle des waidwunden Cal zu hören ist.

Die Frauen in "Jenseits von Eden" sind wesentlich stärker als die Männer. Sie wollen unabhängig sein, koste es, was es wolle. Natürlich denkt man dabei zuerst an Cathy, die von Maja Schöne gesprochen wird. Mühelos wechselt sie von verschlagen süßlich zu hasserfüllt kalt. Gegen Ende zeigt ihre Cathy dann noch überraschend eine Seite von sich, die ihr Handeln ansatzweise verständlich macht. Eine noch modernere Frauenfigur ist Abra, Freundin erst von Aron, dann von Cal. Im Gegensatz zu Cathy, die sich bereits als Kind aus ihrer Mangelexistenz in ein Märchenwunderland gerettet hat, genügt das Abra schon bald nicht mehr. Sie macht sich als eine der wenigen im Steinbeck'schen Kosmos nichts vor und kann daher sagen, sie sei frei. Gesprochen wird sie von der fabelhaften Rosa Thormeyer.

Christiane Ohaus ist eine Schauspieler-Regisseurin. Daneben legt sie viel Wert auf die akustische Ebene. Die Komplexität der Vorlage fängt sie ein, indem sie klassische Szenen inklusive quasirealistischer Soundeffekte, wie dem Pfeifen einer Dampflok, neben eindringliche Kammerspielmomente stellt. Oder sie inszeniert mit Genuss kolportagehaften Horror wie die schmerzvolle Geburt der Zwillinge Cal und Aron. Die Musik stammt von der Amerikanerin Stephanie Nilles, die vor allem mit Klavier, Klarinette und Geige die Geschichte dramatisch-dunkel einfärbt. Zusätzlich hat sie für jeden der acht Teile einen Song komponiert, zumeist schauerlich schöne Moritaten wie die vom "Gallows Tree", dem Galgenbaum.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: