Theater:Aus anderen Sphären

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Der Nachfolger: Jens Harzer wurde zum neuen Träger des Iffland-Rings bestimmt und damit zum "bedeutendsten und würdigsten" deutschsprachigen Theaterkünstler ernannt. (Foto: Armin Smailovic)
  • Der Schauspieler Jens Harzer ist der neue Träger des Iffland-Rings.
  • Bruno Ganz hatte ihn testamentarisch zu seinem Nachfolger erkoren.

Von Christine Dössel

Es ist eine gute und würdige Entscheidung, und so mancher Theaterkenner hatte insgeheim darauf getippt: Der deutsche Schauspieler Jens Harzer, Jahrgang 1972, ist der neue Träger des Iffland-Rings, jenes ehrenvollen Schmuckstücks, das von Träger zu Träger testamentarisch weitergegeben wird und den "jeweils bedeutendsten und würdigsten" deutschsprachigen Theaterkünstler ehrt. Es ist eine der renommiertesten Auszeichnungen, die ein Schauspieler bekommen kann. Zuletzt war 22 Jahre lang der Schweizer Bruno Ganz der Herr des Ringes, fraglos einer der genialsten der Zunft. Seit seinem Tod am 15. Februar war das Rätselraten groß, wem unter seinen Kollegen er die berühmte Auszeichnung vermachen würde - oder ob er vielleicht sogar die Tradition sprengen und die Auszeichnung erstmals an eine Frau vergeben würde. Seit der Goethezeit wird der Iffland-Ring, ein Fingerring aus Eisen, ausschließlich von Mann zu Mann weitergegeben. Er geht zurück auf den einst berühmten Schauspieler, Dramatiker und Theaterdirektor August Wilhelm Iffland (gestorben 1814), der ihn laut Legende von Goethe selbst erhalten haben soll. Der Eisenring trägt einen großen, blauvioletten Halbedelstein, den Ifflands Konterfei ziert, umgeben von 28 kleinen Diamanten.

Jeder neu gekürte Träger, so verlangt es die Regel, muss binnen drei Monaten nach Erhalt des Kleinods einen Nachfolger benennen. Dessen Namen verrät er aber nicht, sondern er schreibt ihn auf einen Zettel, der in einem verschlossenen Umschlag beim österreichischen Kunstministerium hinterlegt wird. Bei strengster Geheimhaltung. Erst nach dem Tod des Ringträgers wird der Umschlag geöffnet und der Erbe des Iffland-Rings bekannt gegeben - total altmodisch, dieses Ritual, ja, aber trotzdem oder gerade deshalb eine herrliche Tradition.

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Von Christine Dössel

Im Fall von Bruno Ganz hat die Bekanntgabe des Nachfolgers ungewöhnlich lange gedauert. Erst am Mittwoch dieser Woche war Ganz' Beisetzung in Zürich (SZ berichtete). Am Freitag nun endlich machte Österreichs Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) den Spekulationen um den neuen Iffland-Ringträger ein Ende und verkündete den im Kuvert hinterlegten Namen: Jens Harzer. Eine von Ganz verfasste Begründung verlas Blümel nicht - vielleicht gab es keine? -, rühmte Harzer aber für sein "facettenreiches Schaffen".

Die Münchner konnten Harzers extraordinäres Talent schon in seinen jungen Jahren erleben

Facettenreich ist Harzers Schaffen allemal. Sowohl als Theater- wie als Filmschauspieler, als Hörspielsprecher wie überhaupt als Sprachkünstler ist der 47-Jährige eine Ausnahmeerscheinung. Einer der ganz großen, fein- und tiefsinnigen Menschendarsteller und Textdurchdringer; seit 2009 Ensemblemitglied - und Star - am Hamburger Thalia Theater. Die Münchner konnten Harzers extraordinäres Talent schon in seinen jungen Jahren erleben. Der Wiesbadener, geboren am 14. März 1972, machte seine Ausbildung an der Münchner Otto-Falckenberg-Schule, wo er sehr schnell von dem Intendanten Dieter Dorn entdeckt und 1993 an die Kammerspiele engagiert wurde. 16 Jahre lang arbeitete Harzer "in eiserner Treue", wie er einmal sagte, bei und mit Dorn, erst an den damals noch ganz und gar vom Literaturtheater Dornscher Prägung dominierten Kammerspielen, dann am Bayerischen Staatsschauspiel. Er war Dorns Liebling, Dorns Hoffnung, Dorns Jungprotagonist, in seiner "Sprachversessenheit" ganz eng verbunden mit seinem großen Regie- und Lehrmeister, mit dem es später aber auch zum Zerwürfnis kam. Zum Liebesbruch.

Es war an den Münchner Kammerspielen, wo Harzer erstmals auf Bruno Ganz traf und die beiden sogar miteinander auf der Bühne standen: 1996 bei der Uraufführung von Botho Strauß' damals höchst umstrittenem, da mit dessen "Anschwellendem Bocksgesang" in rechtskonservativen Zusammenhang gebrachtem Stück "Ithaka": Ganz als zorneswütig aus dem Krieg zurückkehrender, sich an den prassenden Freiern am Hofe rächender Odysseus; und der junge Harzer als Telemach, sein Sohn. Von da an betrachtete sich Harzer tatsächlich in gewisser Weise als Ganz' Sohn: als schauspielerischer Ziehsohn eines Mannes, der wie kein anderer aus Sprache Welt zu gestalten verstand und ihm darin Vorbild war.

So war es denn auch Harzer, der am Mittwoch bei der Beisetzung von Bruno Ganz die Trauerrede verlas, die Botho Strauß - der persönlich verhindert war - für den verstorbenen Künstlerfreund geschrieben hatte. Ganz habe nicht zur Kategorie der verblüffenden Verwandlungskünstler gezählt, hieß es darin, sondern zu jener der unbestechlichen Stilisten. Er habe eine "männliche Grazie" besessen. Das gilt auch für den wesentlich jüngeren, seit seinem Weggang von Dorn durchaus auch für moderne Regiehandschriften aufgeschlossenen Harzer, der alles andere ist als ein Testosterondarsteller.

Etwas Zartgespinstiges, Feines, Jetztzeitloses umgibt all seine Figuren. Wie aus anderen Sphären kommend wirken sie manchmal, seltsame Heilige mit einem höheren Sinn, schlenkernd, tänzelnd, flirrend. Ob als Caliban im "Sturm", als Marquis Posa in "Don Carlos", als Peer Gynt, Cyrano de Bergerac oder als Tod bei den Salzburger Festspielen - Jens Harzer zu sehen ist immer ein Ereignis. Unvergessen sein eigenbrötlerisch kauziger Arzt Astrow, den er 2008 unter der meisterhaften Regie von Jürgen Gosch in Tschechows "Onkel Wanja" spielte, neben Ulrich Matthes als Wanja. Gemeinsam wurden sie damals zu den "Schauspielern des Jahres" gewählt.

Seine wohl ruhmvollste Rolle war der Erzähler in Handkes "Immer noch Sturm"

Über den von ihm so verehrten Bruno Ganz sagte Jens Harzer einmal: "Er vermag die eigene Sprache gegen die Welt zu halten, als könne man so die Verweildauer der Wörter und Sekunden erhöhen... Er vollzieht die Arbeit des Dichters nach." Harzer hat damit auch sich selbst beschrieben, sein bewunderungswürdiges Vermögen, Sprache zu denken, zu formen, zu singen und sie zum Klingen zu bringen. Seine in dieser Hinsicht wohl ruhmvollste Rolle war die des Ich-Erzählers in Peter Handkes Stück "Immer noch Sturm", uraufgeführt 2011 bei den Salzburger Festspielen von dem - wie sein Kollege Gosch - viel zu früh verstorbenen Dimiter Gotscheff. Eine Meilensteininszenierung. Handkes Familiengeschichte, die Geschichte der Kärntner Slowenen, aufbereitet zu einem vielschichtigen, historisch schillernden Sprachkunstwerk im Dauerblätterregen auf Katrin Bracks Bühne. Jens Harzer trug diesen fast fünfstündigen Abend wie Atlas die Welt - leidend und leichtgängig, beides zugleich, virtuos in jeder Hinsicht, ironisch Untertöne auslotend, Worte auskostend, in die dunklen Tiefen von Sätzen hinablauschend. Er kann das wie kein anderer. Mit diesem immer etwas schrägen oder irren Harzer-Singsang, gepaart mit einem verpeilten Schmunzeln, einer lässigen Handwischbewegung. Er wurde dafür 2011 wieder Schauspieler des Jahres.

Ein Schauspielerfest ist auch Kleists "Penthesilea" in der Regie von Johan Simons, herausgekommen voriges Jahr bei den Salzburger Festspielen und nun am Schauspielhaus Bochum im Programm: eine Version des Stückes für nur zwei Premiumschauspieler, Jens Harzer und Sandra Hüller. Johan Simons nennt die beiden "interpretierende Schauspieler" - und meint damit die Klugheit, Selbständigkeit und Souveränität, mit der diese Hochbegnadeten einen so komplexen Text zu großer Kunst machen. Schauspielkunst. Menschenkunst. Hüller als Amazone, Harzer als Achill, so durchtrainiert, wie man ihn zuvor noch nie gesehen hat. Beide sich umtänzelnd, herausfordernd, gegenseitig auslöschend.

Mit Sandra Hüller hat Jens Harzer schon in Hans-Christian Schmids Film "Requiem" zusammen gespielt, da war er ein gespenstischer Pfarrer, der einen Exorzismus betrieb. In der Serie "Babylon Berlin" spielte er zuletzt den Arzt und totgeglaubten Bruder des Kommissars Gereon Rath. Seine Sprachkunst bewundern kann man auch in dem sehr empfehlenswerten 22-stündigen SWR-Hörspiel "Ulysses" nach James Joyce von 2012. Wie Harzer da den Stephen Dedalus spricht, ist große Iffland-Ring-Meisterklasse.

© SZ vom 23.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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