Jelinek: "Dramatikerin des Jahres":Einäugige Elster

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Der Würgeengel schlägt zu: Elfriede Jelinek wurde bereits zum dritten Mal zur Dramatikerin des Jahres gekürt - ein Beweis für mangelnden Nachwuchs?

Christopher Schmidt

Enttäuscht, verständnislos, ja erbittert hatten viele aus der Theaterwelt die Entscheidung des diesjährigen Theatertreffens aufgenommen, Elfriede Jelineks Stück "Rechnitz (Der Würgeengel)" nicht als eine der zehn bemerkenswertesten Inszenierungen des Jahres nach Berlin einzuladen. Mit Genugtuung dürften es all jene Unzufriedenen zur Kenntnis nehmen, dass Elfriede Jelinek nun mit ebendiesem Stück Remedur erfährt und von der Preisjury der Mülheimer Theatertage zur Dramatikerin des Jahres gewählt worden ist.

Die Einäugige unter den Blinden: Elfriede Jelinek wurde mit dreizehn Stücken nach Mühlheim eingeladen und dort zur Dramatikerin des Jahres gewählt. (Foto: Foto: ddp)

Doch Wiedergutmachung hat die Nobelpreisträgerin aus Österreich wahrlich nicht nötig, schließlich erhält sie den mit 15 000 Euro dotierten Preis bereits zum dritten Mal und war insgesamt mit dreizehn Stücken nach Mülheim eingeladen.

Dass die Inszenierung an den Münchner Kammerspielen jene Lügen strafe, die Jelineks Textteppiche für unspielbar halten, wie es in der Begründung heißt, ist denn auch eher ein Kompliment an den Regisseur Jossi Wieler, der das Stück zur Uraufführung gebracht hat. Und zugleich wenig schmeichelhaft für die Verfasser der übrigen 129 Stücke, die im vergangenen Jahr im deutschsprachigen Raum uraufgeführt worden sind und von denen sieben für würdig befunden wurden, nach Mülheim gebeten zu werden.

Diese glorreichen Sieben stammen allesamt aus der Feder bekannter und bereits viel gespielter Theaterautoren. Während jedoch Sibylle Berg mit "Die goldenen letzten Jahre", Oliver Bukowskis "Die kritische Masse", Lutz Hübners "Geisterfahrer" und "Privatleben" von Ulrike Syha leer ausgingen, konnte Roland Schimmelpfennig zumindest einen der fünf Juroren von seinem Stück "Hier und Jetzt" überzeugen. Und der Publikumspreis geht an René Pollesch für seine Turbo-Farce "Fantasma".

Die Frage, ob es am Nachwuchs liegt oder an der Jury, dass in Mülheim das Establishment die Lorbeeren davon getragen hat, bleibt mal wieder ebenso unbeantwortet wie jene, inwieweit hier tatsächlich Stücke ausgezeichnet werden und nicht künstlerische Synergien zwischen Autoren und kongenialen Regisseuren. Im schlechtesten Falle wäre Elfriede Jelinek die Einäugige unter den Blinden - für eine mit seherischen Fähigkeiten begabte Kassandra wie sie eine etwas unbefriedigende Perspektive. Und zugleich eine Elster wider Willen, da sie einen Preis erhält, den sie eigentlich mit der Regie teilen müsste. midt

© SZ vom 4.6.2009/bey - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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