Jeff Koons über Vertrauen:"Die Venus von Willendorf war das Vorbild"

1990 erlangte Jeff Koons auf der Biennale in Venedig mit der Porn-Ästhetik-Serie "Made in Heaven" internationale Aufmerksamkeit. Seitdem zählt er zu den einflussreichsten Künstlern der mittleren Generation.

Eva Karcher

Ein strahlender Frühlingsmorgen in Bregenz. Jeff Koons ist erkältet. Er fröstelt und schlägt den Kragen seines Mantels hoch. Der Schnupfen lässt seine matte Stimme noch wattiger klingen. Wir setzen uns auf die Stühle vor dem Café des Kunsthauses, er lächelt sein sphinxhaft unnahbares Jeff-Koons-Lächeln und blinzelt in die Sonne. Können wir nach innen gehen, bittet er leise, das Licht an diesem Morgen sei zuviel für seinen schmerzenden Kopf. Zwei Aspirin später und zwei Stockwerke höher, im Dunkel zwischen zwei Bücherregalen, ist er auf einmal hellwach.

Jeff Koons über Vertrauen: Ilona Staller, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen "Cicciolina"

Ilona Staller, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen "Cicciolina"

(Foto: Foto: AP)

SZ: Mister Koons, welche Rolle spielt Sexualität in Ihrer Arbeit?

Jeff Koons: Sehen Sie, Sex ist eines der Themen oder besser, einer der Tricks, die ich als Instrument einsetze, um zu kommunizieren. Es geht dabei allerdings um eine kollektive Erfahrung, nicht um meine subjektive Sexualität. Ich will mich auf keinen Fall in meiner eigenen Körperlichkeit verlieren.

SZ: Aber taten Sie nicht genau das, als Sie und Ihre damalige Lebensgefährtin Ilona Staller alias Cicciolina, 1989 für die Werkgruppe "Made in Heaven" als Pornostars posierten?

Jeff Koons: Nein. In dieser Serie übernahmen wir gewissermaßen stellvertretend die Rollen von Adam und Eva. Die Bilder handeln von der Ursünde. Inspiriert hat mich eines meiner Lieblingsgemälde, "Die Vertreibung aus dem Paradies" von Masaccio...

SZ: ...dem großen italienischen Künstler der Frührenaissance...

Jeff Koons: Es veranschaulicht ebenfalls diese kulturelle Schuld, die es Menschen manchmal schwermacht, die eigenen Wünsche zu verwirklichen. Als ich "Made in Heaven" vorbereitete, konnte ich nächtelang nicht schlafen. Ich befand mich in einem schlimmen moralischen Konflikt. Erst als ich mich mit meiner Angst und meinen Schamgefühlen auseinandersetzte, war ich fähig, die Serie zu machen. Eigentlich soll sie den Betrachter ermutigen, seine eigenen Schuldgefühle anzunehmen, statt sich von ihnen behindern zu lassen.

SZ: War die Made in Heaven-Performance mit Cicciolina ein Befreiungsakt?

Jeff Koons: Vor allem lernte ich dadurch mehr über mich. Kunst gibt mir bis heute einen Begriff von mir selbst. Der Kern ist immer derselbe: Lerne, dir selbst und deiner eigenen Geschichte zu vertrauen. Das will ich auch dem Betrachter meiner Arbeiten vermitteln. Er soll seine eigene Lebenslust spüren.

SZ: Was meinen Sie damit?

Jeff Koons: Als ich Anfang der neunziger Jahre nach Europa kam, verliebte ich mich in die Epochen des Barock und des Rokoko. Weil beide Stile so großartig mit Gegensätzen umgehen, mit Symmetrie und Asymmetrie, Leben und Tod. Sie haben Formen gefunden, Ewigkeit auf der einen Seite durch das Geistige und auf der anderen durch Fortpflanzung sichtbar zu machen. Das ist doch der Punkt: das Ewige durch das Biologische zu erreichen. Dem Barock und dem Rokoko gelang es, die spirituelle und die körperliche Seite zu vereinigen. Und ich habe dasselbe mit "Made in Heaven" versucht.

SZ: Wie lernten Sie eigentlich Ilona Staller kennen?

Jeff Koons: Eines Tages sah ich ein Foto von ihr im Magazin Stern, auf dem sie ein Fischnetzkleid trug. Damals beschäftigte ich mich gerade damit, wie man nackte Haut malt. Als ich dann wenig später an Tankstellen auf der italienischen Autobahn Männermagazine mit erotischen Aufnahmen von Cicciolina entdeckte, war ich nicht nur von ihrer Schönheit fasziniert, sondern auch von den Phantasien europäischer Softpornos, die sich stark vom US-Format unterschieden. Plötzlich hatte ich die Idee, mich selbst in eines der Bilder mit diesem Pornostar hineinzucollagieren und daraus eine Art Hollywood-Poster zu machen. Ich wollte ein Ready-made herstellen, das die Ästhetik der Vorlagen imitierte. So würde ich am besten an der amerikanischen Starkultur teilhaben können, dachte ich und außerdem beim Publikum die größte Aufmerksamkeit erreichen. Also kontaktierte ich Ilona, und als wir uns trafen, verliebten wir uns ineinander.

SZ: Leider hatte die Love-Story kein Happyend.

Jeff Koons: Ja, so ist das im Leben manchmal. Am Anfang schien unsere Ehe ideal. Mit Ilona lebte ich meine Philosophie, dass jede Vergangenheit perfekt ist und es keine Schuld gibt. Aber für sie wurde es zunehmend schwierig, ihre eigene Identität von der zu trennen, die sie zusammen mit mir hatte. Das konnte nicht gutgehen, irgendwann gab es für uns als Paar keine Zukunft mehr.

SZ: Sie ließen sich 1992 scheiden, wenig später entführte Ilona Staller Ihren gemeinsamen Sohn Ludwig und ging nach Italien zurück.

Jeff Koons: Die Situation ist nach wie vor sehr traurig. Mein Sohn ist amerikanischer Staatsbürger, aber bis heute kann er Italien nicht verlassen. Ich kämpfe immer noch darum, ihn zu mir zurückzuholen, bisher vergeblich.

SZ: Wo lebt Ihr Sohn, und wie alt ist er?

Jeff Koons: Vierzehn Jahre, er lebt in Rom. Damals hätte ich den Glauben an die Menschheit fast verloren. Ich machte eine Horrorzeit durch. Gewisse Leute kämpften mit übelsten Tricks gegen mich. Ich fühlte mich wie ein Hund, der sich in den Schwanz beißt. Nur meine Arbeit hat mir geholfen, diesen Albtraum zu überstehen. Kurz bevor Ludwig - er war gerade ein Jahr alt, stellen Sie sich das vor! - New York verließ, besuchte er mich noch einmal in meinem Studio. Damals berührte er die Arbeit "Sacred Heart", mit der ich gerade begonnen hatte. Aus ihr entwickelte ich die Celebration-Serie, die ich meinem Sohn gewidmet habe. Mit Bildern, auf denen eben dieses Herz, eine Geschenkschleife, Tulpen oder Spielzeuge zu sehen sind, wollte ich ihn aus der Ferne wissen lassen, dass ich immer für ihn da bin.

SZ: Funktionieren diese Werke nicht gleichzeitig als Fetische eines verlorenen kindlichen Paradieses?

Jeff Koons: Für mich sind sie eher Archetypen, Urbilder der Menschheit wie die Venus von Willendorf, diese fünfundzwanzigtausend Jahre alte Plastik. Durch sie habe ich begriffen, wie wichtig es ist, historisches Wissen zu bewahren. Ich liebe sie auch wegen ihrer Fülle. Für mich ist sie das Symbol von Fruchtbarkeit schlechthin. Wenn man meine 1986 entstandene Skulptur "Rabbit" neben sie stellt, könnte man sehen, wie sehr sie sich in Proportionen und Rundungen ähneln. Die Venus von Willendorf war das Vorbild!

SZ: Gibt es noch andere Idole der Weiblichkeit, denen Sie huldigen?

Jeff Koons: Zum Beispiel Pamela Anderson. Ich malte sie als zeitgenössische Version der Mona Lisa. Für mich ist sie eine Venus unserer Gegenwart, genau wie Gretchen Mol, die im Film ,,The notorious Betty Page'' die Rolle des Pin-up-Girls Betty Page gespielt hat. Sie wissen, wer Betty Page war?

SZ: Ein Sexsymbol der fünfziger Jahre?

Jeff Koons: Ja, eine sehr schöne Frau mit üppigem Busen, keine Blondine, sondern schwarzhaarig. Gretchen Mols Porträt als Betty Page habe ich auf eines meiner aufblasbaren Objekte montiert.

SZ: Was bedeutet Sex heute für Sie im Vergleich zu früher?

"Die Venus von Willendorf war das Vorbild"

Jeff Koons: Er ist vielleicht noch angenehmer. Weil er viel umfassender geworden ist. Es ist ein Gefühl, als ob ich mit dem Universum verschmelze.

SZ: Viele Ihrer Arbeiten haben stark spiegelnde Oberflächen. Spielen Sie auf unseren Narzissmus an?

Jeff Koons: Nein. Für mich sind Spiegel interessant, weil sie dem Betrachter seine physische Existenz in einem bestimmten Moment stärker bewusstmachen. Plötzlich reflektiert er sich und die Welt auf eine andere als die vertraute Art und Weise. Aber es gibt noch einen anderen Grund. Sehen Sie sich zum Beispiel meinen Balloon-Dog an. In seiner hochpolierten Oberfläche spiegelt sich die Umgebung, er wirkt wie ein harmloses Schmusetier, aber sein Inneres ist dunkel. In Wirklichkeit ist er ein Trojanisches Pferd. Nicht die Oberfläche, sondern das, was sich unter ihr verbirgt, ist entscheidend. Um etwas Optimistisches ausstrahlen zu können, muss man sich mit dem Gegenteil auseinandersetzen. Je mehr Gegensätze ein Werk in sich vereinigt, desto besser imitiert es das Leben.

SZ: Sind Spiegel also perfekte Oberflächen?

Jeff Koons: Perfekt? Ich weiß nicht. Die ideale Oberfläche für mich ist die Schnittstelle, an der sich Innen und Außen treffen. An der sie gewissermaßen zusammenfallen. Sie kennen meine Arbeit "Jim Beam - J.B. Turner Train" aus der Serie "Luxury and Degradation" von 1986?

SZ: Ja.

Jeff Koons: Nun, eines Tages sah ich in einem Schaufenster einen mit Jim Beam gefüllten Miniatur-Glaszug. In den sechziger Jahren nahmen die Leute ihren eigenen Alkohol in solchen Behältern mit auf Reisen. Daraus könnte ich ein tolles Ready-made herstellen, dachte ich. Also ließ ich das Ding aus rostfreiem Stahl abgießen, füllte den Zug mit Bourbon und versiegelte ihn mit einer originalen Steuerbanderole. Für mich war der Whisky die Seele und die Banderole die Nahtstelle zwischen Außen und Innen. Eben eine ideale Oberfläche.

SZ: Bei Oberfläche denkt man auch an Verführung. Ist Verführung ein Element Ihrer Arbeiten?

Jeff Koons: Nein. Ich will nicht verführen. Das würde voraussetzen, dass ich mir anmaße, zu manipulieren und zu kontrollieren. Die Frage ist aber nicht, will ich dienen oder bedient werden. Es geht vielmehr um die gegenseitige Verpflichtung, einander zu achten, um diese Art von Gleichgewicht. Ich habe schon immer Verantwortung gegenüber meinem Publikum empfunden, genau wie gegenüber der Gesellschaft. Ich glaube, Moral beginnt damit, die Rechte anderer zu respektieren.

SZ: Sehen Sie sich als politischen Künstler?

Jeff Koons: Ja. Meine Arbeit handelt von Unterlegenheit und Überlegenheit. Von Ermächtigung. In der Kunst musst du dich Tag für Tag für eine bestimmte Form entscheiden. So lernst du die verschiedensten Facetten deiner Angst kennen und damit auch, sie zu überwinden. Deine Angst verwandelt sich in eine Geste. Und plötzlich hat man keine Angst mehr vor dieser Geste. Jeder kann es entdecken, direkt unter der Oberfläche, sein zweites Gesicht, sein Selbstvertrauen, die Freiheit einer Geste. Das ist Macht.

SZ: Haben die meisten Menschen vor ihren eigenen Gesten Angst?

Jeff Koons: Ja, weil sie zu viele Skrupel haben, ob es die richtige oder die falsche Geste ist. Sie komplizieren aus Unsicherheit, und am Ende fühlen sie sich zu gar keiner Geste mehr fähig. Das ist Ohnmacht.

SZ: Einige Ihrer Werke sind Kultobjekte geworden. Kann man es strategisch planen, eine Ikone zu produzieren?

Jeff Koons: Ganz sicher nicht. Man will einfach das Beste machen und dabei so ehrlich wie möglich sein. Ich kann am Anfang niemals sagen, wie das Ergebnis aussehen wird, weil ich gar nicht genau weiß, wie diese oder jene Idee eigentlich entsteht.

SZ: Erzählen Sie uns über Ihre Kindheit.

Jeff Koons: Ich hatte das große Glück, Eltern zu haben, die mich immer vorbehaltlos unterstützt haben. Als sie merkten, dass ich schon als Kleinkind an Kunst interessiert war, haben sie mich auf jede Weise gefördert. Mit sieben Jahren bekam ich den ersten Kunstunterricht. Meine Lehrerin war achtzig und eine hinreißende Dame, bei ihr lernte ich, wie man mit Zeichnen bestimmte Illusionen erzeugt. Auch mein Vater war für meine künstlerische Entwicklung wichtig. Als Innenarchitekt dekorierte er alle zwei Wochen sein Möbelgeschäft um. Klassizistischer Stil wechselte mit Bauhaus oder Fifties-Modernismus. So begriff ich früh, wie wechselnde Farben und Formen Sinnesempfindungen beeinflussen können.

SZ: Ihre eigenen Kinder wachsen ja noch unmittelbarer mit Kunst auf.

Jeff Koons: Stimmt, zumal meine Frau Justine Wheeler ebenfalls Künstlerin ist. Aber vor allem versuchen wir, ihnen Geborgenheit zu geben. Sie sollen so viele verschiedene Erfahrungen wie möglich machen. Wir gehen nicht nur in Museen, sondern auch in den Zoo und in unserem Haus auf dem Land lassen wir die Kids so viel herumtoben, wie sie mögen.

SZ: Sie haben neben Ludwig noch drei jüngere Söhne. Ist einer kunstbegabt?

Jeff Koons: Sean Kyah. Er ist fünf und zeichnet ständig, vor allem Sachen, die er bei mir im Studio sieht.

SZ: Was zum Beispiel?

Jeff Koons: Zuletzt ein himmelblaues, in zwei Hälften zersprungenes Riesenei und eine pinkfarbene pralle Blume, eine Balloon Flower, beide aus Hochchrom-Edelstahl. Und ein neues Bild von Elvis als Hulk, das grüne Monster aus den Marvel Comics.

SZ: Und was machen die beiden anderen?

Jeff Koons: Kurt ist drei und besonders musikalisch. Jetzt wünscht er sich eine Trompete. Bei Blake, dem kleinsten, weiß man es noch nicht genau, er ist gerade ein Jahr alt. Übrigens habe ich noch eine erwachsene Tochter, Shannon, sie ist 31 und Redakteurin. Ich finde, es gibt nichts Wertvolleres, als Kinder zu haben.

SZ: In Ihren ersten Jahren als Künstler haben Sie nebenbei an der Wall Street gearbeitet. Wie kamen Sie zu diesem aparten Nebenjob?

Jeff Koons: Ich war immer ein guter Verkäufer. Schon als Kind ging ich von Haustür zu Haustür und verkaufte Geschenkpapier, Schleifen, Schokolade und Bonbons. Ich bestellte die Packungen bei einem Versandhaus zu einem Dollar pro Stück und gab sie dann für zwei Dollar weiter. Das war, denke ich, die Basis, andere zu akzeptieren. Denn ich wusste ja nie, wer mir öffnete, ob er freundlich war, wie seine Wohnung aussah oder ob er einen scharfen Hund hatte. Es war mein erstes Gesellschaftsspiel. So lernte ich auch, auf mich selbst aufzupassen. An der Wall Street habe ich dann Aktien und Bonds verkauft. Ich wollte einfach Geld verdienen, um vom Galeriebetrieb unabhängig zu sein. Es war ein Mittel zum Zweck, mehr nicht. Denn ich wollte nie etwas anderes sein als Künstler.

SZ: Weshalb eigentlich?

Jeff Koons: Weil es keine bessere Möglichkeit gibt, positive Dialoge in Gang zu setzen. Ich will Menschen helfen, ihre Selbstzweifel zu verlieren, sie ermutigen und ihnen das Gefühl von Kraft geben. Sie sollen sich durch meine Bilder besser fühlen - ein bisschen so, als ob sie geküsst würden.

Jeff Koons wurde 1955 in York, Pennsylvania geboren. Von 1972 bis 1976 studierte er an den Akademien in Baltimore und Chicago. Internationale Aufmerksamkeit gewann er 1990 auf der Biennale Venedig mit der Porn-Ästhetik-Serie "Made in Heaven". Seitdem zählt Koons zusammen mit Damien Hirst und Martin Kippenberger zu den einflussreichsten Künstlern der mittleren Generation. Mit Objektskulpturen, die oft aussehen wie Riesenspielzeuge, verwandelt er Kunst in Fetische für millionenschwere Glamourkonsumenten und beweist sich so als Andy Warhols begabtester Erbe. Noch bis zum 13. Mai zeigt das Kunsthaus Bregenz Arbeiten von Jeff Koons in der Ausstellung ,,Re-Object, Marcel Duchamp, Damien Hist, Jeff Koons, Gerhard Merz'' (www.kunsthaus-bregenz.at).

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