Jeff Koons in Versailles:Viel Lärm um ein Soufflé

Nichts als ein störender Fleck in den Räumen des Sonnenkönigs: Die kitschigen Werke des amerikanischen Künstlers Jeff Koons werden in Versailles ausgestellt.

Johannes Willms

Den Bürger zu verstören, ihn derart zu provozieren, dass er sich wider seine Gewohnheit lauthals empört, ist ein altes, aber immer noch wirksames Rezept, um etwas als Kunst durchzusetzen, dem geläufige ästhetische Wahrnehmung diese Anerkennung versagt. Emblematisch dafür ist das Urinal, das von Marcel Duchamp zur "Fontaine", zum Springbrunnen also und damit zum Kunstwerk erklärt wurde. Der Einfall hatte so viel Witz, dass er die seinerzeitige Erregung nicht nur unbeschädigt überdauerte, "Fontaine" gilt heute vielmehr als eines der wichtigsten Werke der modernen Kunst.

Jeff Koons in Versailles: Kopfüber im Schloss: "Lobster" von Jeff Koons in den Räumen des Sonnenkönigs.

Kopfüber im Schloss: "Lobster" von Jeff Koons in den Räumen des Sonnenkönigs.

(Foto: Foto: dpa)

Dem plastischen Werk des Amerikaners Jeff Koons eignet manches, allein es bleibt trotz aller Anstrengung völlig witzlos. Deshalb drängt sich der Verdacht auf, dass die Ursache der Verstörung, die von ihm ausgeht, ebendessen geradezu monumentale Witzlosigkeit ist. Der dem Kunstmarkt eigentümliche Horror Vacui hat diesen manifesten Mangel jedoch zu einer avantgardistischen Tugend erhoben und das Werk des Jeff Koons flugs mit dem Etikett des "Post-Pop" geadelt.

Solche Nomenklatur immunisiert gegen Infragestellung, während der Beweis für die revisionsfeste Richtigkeit dieser Behauptung mittels der astronomischen Preise erbracht wird, die Artefakte von Koons auf dem Markt erzielen: Wer zweistellige Millionenbeträge dafür berappt, so der Zirkelschluss, kann nicht irren, also ist Jeff Koons eben doch ein großer Künstler.

Da der Kunstbetrieb, um in Betrieb zu bleiben und sein Betriebstempo zu steigern, nichts so sehr braucht wie den Betrieb, müssen fortwährend allerlei "Events" erfunden werden, die den ihm schädlichen Eindruck der Verlangsamung oder gar des Stillstands vermeiden. Dieser Zwang gebar den absurd anmutenden Einfall, insgesamt 17, teilweise großdimensionierte Skulpturen von Jeff Koons, die zwischen 1986 und 2008 entstanden und die folglich einen repräsentativen Querschnitt seines Schaffens verheißen, in den einstigen königlichen Prachtgemächern sowie im Park des Schlosses von Versailles auszustellen.

Tatsächlich dürfte aber gerade diese Absurdität den Anstoß gegeben haben, die monumentale Witzlosigkeit dieser Werke mit den mit Wand- und Deckengemälden, Spiegeln, vergoldeten Stuckarbeiten und Boiserien verschwenderisch ausgeschmückten Räumen in der Absicht zu konfrontieren, ihnen durch Dialektik in der Wahrnehmung das zu verschaffen, was ihnen abgeht: Witz.

Trotz aller Aufgeregtheit, die schon Tage vor Eröffnung der Ausstellung nicht nur die französische Presse zum Moussieren brachte, die mit Photomontagen einen Eindruck der Ausstellung zu simulieren suchte, erweist sich der kontroverse "Event" als ein Soufflé, das von Anfang an in sich zusammengestürzt ist. Koons' riesig dimensionierter "Balloon Dog" (Magenta) etwa, der mitten im Salon d'Hercule vis-à-vis von Paolo Veroneses "Gastmahl bei Simon" aufgestellt ist und der programmatisch den Ausstellungsparcours eröffnet, versagt sich der ihm angesonnenen dramaturgischen Funktion eines Blickfangs.

Monumentale Witzlosigkeit

Ungeachtet seiner massiven Materialität verweigert sich ihm die Wahrnehmung einfach deshalb, weil die bezweckte Konfrontation nicht durch Provokation eingelöst wird. In dieses für den Kunstanspruch fatale Schicksal, schlicht übersehen zu werden, teilen sich auch die in den weiteren Prachträumen gezeigten Exponate. Einige von ihnen verschwinden sogar wie auf einem Suchbild in der dekorativen Überfülle, in die sie hier gestellt sind.

Das gilt ironischerweise auch für die in Marmor gehauene Porträtbüste des Jeff Koons auf mächtigem Sockel, die, wo auch sonst, im Salon d'Apollon aufgestellt ist und der die Bildnisse in Ganzfigur von Louis XIV. und Louis XVI., die sie an den Wänden flankieren, alle Aufmerksamkeit streitig machen.

Darin verrät sich aber auch, dass dem Schaffen von Koons die Kraft zur Selbstbehauptung abgeht, dass der Anspruch seiner Kunst auf Autonomie in der Aussage eine bloß wohlwollende Vermutung ist, die am repräsentativen Zierrat der königlichen Interieurs zuschanden geht. Exemplarisch dafür ist "Moon (Light Blue)", eine bläulich schimmernde konvex gebogene Scheibe aus verchromten Stahl, die an einer der beiden Schmalseiten des aufwendig restaurierten Spiegelsaals aufgestellt ist: In der Fluchtung des langgestreckten Saals ist sie nichts als ein störender Fleck, eine Unreinheit in der Harmonie dieser vom Licht durchfluteten Galerie.

Gigantische Marketingmaschine

Das war nicht zu erwarten gewesen, werden damit doch gleichermaßen die Befürchtungen der Kritiker wie die Erwartungen der Macher dieser Ausstellung enttäuscht: Die Plastiken Jeff Koons entfalten in Versailles keinen Dialog, sondern verharren in einem Schweigen, bei dem einen der Verdacht anwandelt, dass sie nichts zu sagen haben. Das Geheimnis, das sie damit verraten, ist ihr Widerspruch zwischen materialem Aufwand und innerer Leere: Im einstigen Palast der französischen Könige steht der Künstler-Kaiser Jeff Koons nackt da. Selten hatte eine Ausstellung eine derart erhellende Wirkung.

Die wird man umso mehr begrüßen, als die Ausstellung nichts anderes als eine gigantische Marketingmasche zu sein scheint. Der frühere Kulturminister und jetzige Président de l'Établissement public de Versailles, Jean-Jacques Aillagon, war zuvor Chef des Palazzo Grassi in Venedig, in dem der Milliardär François Pinault einen Teil seiner Kunstsammlung ausstellt. Aus dieser stammen allein sechs der in Versailles gezeigten Koons-Objekte. Außerdem stiftet Pinault rund die Hälfte der über zwei Millionen Euro betragenden Kosten dieser Ausstellung, die von Elena Geuna, einer Angestellten Pinaults, zusammen mit Laurent Le Bon vom Centre Pompidou kuratiert wird.

Mit anderen Worten: Pinaults Großzügigkeit ist keineswegs selbstlos, sondern spekuliert mit dieser Ausstellung ganz offensichtlich auf eine Steigerung des Prestiges wie des Marktwerts seiner Sammlung. Das ist legitim, weshalb der eigentliche Skandal der ist, dass die französische Kulturpolitik keinen Anstand nahm, diese Spekulation dadurch zu unterstützen, dass sie ihr das Schloss von Versailles zur Verfügung stellte, an dem seit 1837 die Giebelinschrift prangt: "A toutes les gloires de la France".

"Jeff Koons Versailles" ist im Schloss von Versailles bis zum 14. Dezember zu sehen. Der Katalog kostet 45 Euro.

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