"Jedermanns" neue Buhlschaft:Geliebter Sünder

Und wie ist sie nun, die neue Buhlschaft? Sophie von Kessel verzaubert die berühmteste Kurzrolle der Theatergeschichte mit erstaunlichen Fähigkeiten.

Egbert Tholl

Natürlich wollen jetzt wieder alle wissen, wie sie denn nun ist, die neue Buhlschaft. Aber so schnell geht's nicht. Denn um zu begreifen, was Sophie von Kessel in dieser berühmtesten Kurzrolle der Theatergeschichte macht, muss man erst ein wenig herumrätseln, was der "Jedermann", dieser Anachronismus, der er schon bei seiner Salzburger Erstaufführung im Jahre 1920 war, eigentlich ist.

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Wärme: Sophie von Kessel macht den Jedermann vom lärmenden Sinnbild zu einem Menschen.

(Foto: Foto: dpa)

Die holzschnittartige und dauergereimte Heiligkeit des Textes von Hugo von Hofmannsthal versperrt den Blick darauf, dass bereits zur Gründung der Salzburger Festspiele hier visionär ihre profane Realität beschrieben wurde. Am Gelde hängt doch alles, und der "Jedermann" spült es Jahr für Jahr in die Kasse, was vollkommen legitim ist. Denn weiters ist fürs Seelenheil der Zuschauer gesorgt, die, eher der Titelfigur denn dem Schuldknecht gleich, froh darüber sein können, dass auch ein Reicher ins Himmelreich kommt; er muss ja nur ein Vaterunser beten. Der Jedermann ist nicht einmal ein großer Strizzi. Er hat halt Geld, wie die Zuschauer auch, sonst wären sie nicht da.

Das allein erklärt das Faszinosum nicht. Es wäre letztlich tröstlich, annehmen zu können, dass es hier doch um Glauben geht, dass dieses Sommer-Purgatorium für berühmte Schauspieler auch eines für die Zuschauer ist, dass sie im lautlosen Dröhnen der gleißenden Sonne niedergeschmettert sein wollen vom lateinischen Spruch an der Domfassade: "Dies ist das Haus des Herrn, in welchem sein Name angerufen wird." Und wenn es nicht so ist, dann dient der "Jedermann" doch wenigstens dazu, jedes andere Stück, das bei den Festspielen aufgeführt wird, zeitgemäßer erscheinen zu lassen, als es vielleicht ist.

So war es lange. Seit 2002 aber ist es ein bisschen anders. Da öffnete Christian Stückl dieses inszenatorische Museum zumindest so weit für die Gegenwart, dass durch einen Spalt der knarzenden Pforte das Irdische ein wenig hereinschauen konnte.

Vor einem Jahr schob er den Spalt noch weiter auf, eliminierte die Figur des Glaubens und verteilte deren Text auf Gott, Teufel und Gute Werke. Stückls Regie schmolz die Inszenierungstradition um, denn das Verschwinden einer der zentralen Allegorien ist mehr als das Streichen einer Figur. Dadurch, dass Jedermanns Seelenheil vor Gott und Teufel allein durch die Verbildlichung seiner Werke vertreten wird, schiebt Stückl das Stück sanft in Richtung Ökumene.

Natürlich reicht dem Sünder am Ende allein sein Glaube; doch für den muss er schon selbst etwas tun, Bußfertigkeit allein genügt nicht. Ein Hauch Protestantismus mischt sich in den katholischen Ablass.

Verführerisch wie ein Strichjunge

All das war freilich schon im vorigen Jahr so. Da schwand die Macht der Kirche, und Gott musste als stigmatisierter Sandler höchstselbst um jedes seiner Schäfchen kämpfen. Deftig geht es allerweil zu: Der Teufel (Sven-Eric Bechtolf) outriert wie eine Jahrmarktssensation, der Mammon (Gabriel Raab) ist so verführerisch wie ein Strichjunge, die Bühne öffnet sich mit Krach, Rauch und Feuer. Doch wäre Peter Simonischek nicht vollends damit beschäftigt, den virilen Kraftlackl und ewig potenten Geldsack mimen zu wollen - schon in der Figur des Jedermanns könnte nicht nur in winzigen Nuancen das aufscheinen, was Stückl mit der Vermenschlichung dieses Mysterienspiels wollte. Was das ist, zeigt nun Sophie von Kessel.

Diese Buhlschaft ist kein schamloses Weibsbild, kein leichtfertiges Liebchen, sondern eine große Liebende. Reizend, nicht aufreizend, zärtlich statt kokett.

Kessel deutet die Stereotypen ihrer Rolle mit kluger Ironie an, krabbelt wohl auch ein bisschen auf dem Tisch herum, aber diese selbstbewusste Frau interessiert das eigentlich nicht. Sie steht zu ihrem Mann, zu dem Leben mit ihm, auf eine entwaffnend selbstverständliche Art. Sie besitzt zauberhaften, lächelnden Charme, verweigert sich der Fleischbeschau, züchtig fast in ihrem leuchtend blauen Kleid, von dezenter Erotik, die jedoch nie kühl ist, sondern voller Wärme. Kein blondes Gift, sondern vielleicht eine Arznei. Denn durch sie wird Jedermann vom lärmenden Sinnbild zu einem Menschen.

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