Jean-Luc Godard zum 80.:Klappe auf

Der Mann nervt manchmal wie die Hölle - aber das Toben seiner Geistesblitzgewitter muss auch heute noch lieben, wer an das wahre Kino glaubt. Eine Hommage zum 80. Geburtstag des Film- und Lebenskünstlers Jean-Luc Godard.

Tobias Kniebe

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(Foto: Miguel Medina/AFP)

Der Mann nervt manchmal wie die Hölle - aber das Toben seiner Geistesblitzgewitter muss auch heute noch lieben, wer an das wahre Kino glaubt. Eine Hommage zum 80. Geburtstag des Film- und Lebenskünstlers Jean-Luc Godard. In Bildern. Der Mann nervt manchmal wie die Hölle. So kann, so muss eigentlich jede Hommage beginnen, die Jean-Luc Godard auch nur halbwegs ernst nimmt. Aufrichtigkeit, gerade im unpassendsten Moment, gehört zu den zwei oder drei Dingen, die man von ihm lernen kann. Sein Film "Nouvelle Vague" zum Beispiel, schon der Titel ein Hohn, vor zwanzig Jahren auf den knallharten Holzsitzen des Münchner Theatinerkinos - das sind noch immer die längsten neunzig Minuten meiner persönlichen Histoire du Cinéma. Und immer wieder gibt es diese Exerzitien in seinen Filmen, für die man ihn aus tiefster Seele verfluchen möchte. Text: Tobias Kniebe/ SZ vom 2.12.2010/Bildauswahl: sueddeutsche.de/kar

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(Foto: Getty Images)

Aber er will ja auch nerven. Er will sich mit den wenigen Zuschauern, die ihm geblieben sind, in seiner Entdeckungsfreude, im Toben seiner Geistesblitzgewitter, aber genauso im Leiden vereint wissen. Nichts schweißt besser zusammen. Es fordert Opfer, den Traum von einem anderen als dem bestehenden Kino niemals aufzugeben. Sich dabei nicht selbst zu betrügen, sich nicht vor falsche Alternativen stellen zu lassen. Sein neuester Film Socialisme, im Mai in Cannes vorgestellt, ist bisher weder für das deutsche Kino noch für den deutschen DVD-Markt angekündigt. Wahrscheinlich wird er gar nicht erscheinen - wie so viele der letzten Godards.

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(Foto: dpa)

Mythisierung und Marginalisierung zugleich - das gibt es selten so krass im Doppelpack. Das auszuhalten und dabei gelassen zu bleiben, ohne jede Bitterkeit und ohne Selbstmitleid, aber immer noch messerscharf im Kopf - das ist, auch heute an seinem achtzigsten Geburtstag, die Lebenskunst des Jean-Luc Godard. Zu jenen, die seine Filme nicht mehr anschauen, die nur die ewigen Top Ten seiner Hammerzitate ausbeuten, um ihre Existenzen oder Seminararbeiten aufzupeppen, die vielleicht nur noch ein Poster von Sean Seberg im Herald Tribune-Shirt kennen, die ihm heutzutage womöglich einen Ehrenpreis oder Ehrenoscar aufdrücken wollen, auf dass ein Hauch seiner Souveränität zu ihnen herüberwehe - zu denen möchte man jedenfalls nicht gehören. Die spüren ja nicht einmal mehr die Wucht seiner Verachtung. Etwa wenn er seiner Oscarverleihung fernbleibt und fragt: "Würden Sie den weiten Weg für ein bisschen Metall auf sich nehmen?"

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Also muss man da durch, auch durch das Spätwerk. Gelegentlich unter Schmerzen, aber doch immer wieder, wie im Fall seiner Histoire(s) du cinéma, mit gewaltigem Gewinn. Mehr als neunzig filmische Arbeiten gibt es von ihm. Und es sieht nicht so aus, als ob er bald aufhören würde. Wobei es zum Faszinosum Godard gehört, dass er am Anfang ja sogar auf der simpelsten Ebene funktioniert. Schon wie sein Kino, mit dem Blick von Jean Paul Belmondo in A bout de souffle (Bild), die Augen aufschlägt: schräg unter der tiefgezogenen Hutkrempe hervor, die Kippe im Mundwinkel, das Panzerarmband am Handgelenk. Und wie dann das Mädchen, Typ Highschool-Schönheit, einfach stehengelassen wird, für unvorstellbar viel größere Abenteuer. "Lebe gefahrvoll bis zum Schluss" verlangt ein Filmplakat, dass einmal wie zufällig hinter diesem ersten großen Godard-Helden hängt - und es gibt einen Teil unseres Herzens, der ist da bis heute dabei.

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(Foto: Getty Images)

Es gibt auch einen Teil von Jean-Luc Godard, der da bis heute dabei ist. Oder sollte man sagen: darin gefangen? Wie kein anderer Filmemacher vor oder nach ihm wird er vom Bewusstsein der Filmgeschichte angetrieben; wie kein anderer hat er das Gemachte, das Nicht-Gedachte, das Verlogene am Film ins Licht der Erkenntnis gezerrt. Schon Vivre sa vie, Le Mépris oder Week-end wahren nur noch den Schein des narrativen Kinos, während sie heimlich und zunehmend unheimlich an seiner Zerstörung arbeiten. Wie sonst niemand hat Godardbeharrlich die Fabrikation von Traumbildern analysiert, die Künstlichkeit jeder Imageproduktion offengelegt. Wenn es also einen Regisseur auf der Welt gibt, der dieses Spiel selbst nicht mitspielen müsste, dann er. Szene aus dem Rolling-Stones-Film Sympathy for the Devil.

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(Foto: Getty Images)

Und doch spürt er scheinbar dieses bis heute nicht stillbare, durch keine Altersmilde gedämpfte Verlangen, der böse Bube zu sein, der sein intellektuelles Panzerarmband nie ablegen wird: gefahrvoll bis zum Schluss. Ein Großbürgersöhnchen aus einer reichen Bankiersfamilie, 1930 in Paris geboren, die Großeltern Vichy-Kollaborateure in der Nazizeit. Die Mutter bekam ein Schlösschen in der Schweiz als Brautgeschenk. Erst Franzose, dann Schweizer, 1953 für tausend Franken eingebürgert. Heute in ständiger Identitätskrise im Städtchen Rolle im Kanton Waadt, weil ihn ja doch eigentlich nichts mit der Schweiz verbindet. Man versteht, dass man dagegen kämpfen muss, dass es da auch mal eine streng marxistische Phase gab, wo Filme nur noch im Kollektiv entstanden. Und immer die größte Klappe, bis aus dem Enfant terrible ein Grandpère terrible geworden ist. Das Foto zeigt eine Szene aus Außer Atem.

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(Foto: Getty Images)

Am Ende hat sein Freund Truffaut deshalb mit ihm gebrochen. Er könne, schrieb er ihm in den siebziger Jahren, die Pose nicht mehr ertragen. Selbst wenn Godard seinen jüdischen Produzenten anrufe und einen "dreckigen Juden" nenne, sei das nur Pose. Das Image muss stimmen - alles andere sind Kollateralschäden. Gute Randnotiz übrigens zu der alten, gerade wieder aktuellen, immer wieder reichlich naiven Debatte, ob Godard tatsächlich Antisemit sei. Besser als Truffaut kann da nun wirklich keiner erklären, was Sache ist. Truffaut allerdings, das gehört zu diesem Schisma unbedingt dazu, war natürlich selbst ein Poser vor dem Herrn. Und gemeinsam haben sie, als junge Filmkritiker bei den Cahiers du cinéma in den fünfziger Jahren, den Regisseur als Oberposer ja auch eigentlich erst erfunden. Das hieß dann Autorentheorie. Und doch: Man braucht sich ja nur einmal umzuschauen, um zu sehen, wie dringend einer wie Godard noch heute gebracht wird. Weil der Film ja doch ein Medium ist, das immer wieder hoffnungslos in die Dummheit zurückfällt. Als ob es nicht schon tausend Kämpfe gegeben hätte, ihm etwas mehr Geist, mehr Selbstreflektion, mehr Raffinesse abzuringen. Szene aus dem Rolling-Stones-Film Sympathy for the Devil.

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(Foto: dpa)

Die Masse an Schrott, die es immer schon gab, ist dabei nicht das Problem. Oder dass die schamlose Manipulation der Zuschauer nur so selten noch ein Element von Lust enthält. Das Problem ist, dass dieses rein Gefühlige, das den Mainstream des Kinos und auch seine erfolgreichen Macher umhüllt, sich wieder zunehmend aggressiv gebärdet: Es herrscht ein Terror des Sich-Identifizieren-Müssens, eine Wut, selbst die größten Geschichten in das eigene, streng begrenzte Weltbild zu pressen, sogar ein Hass auf jene, die einfach nur etwas anderes machen wollen. Es muss jemanden geben, der dem ein fundamentales Nein entgegensetzt. Und der in diesem Nein, über alle Versöhnungsgesten und Eingemeindungsversuche hinweg, unbeirrbar geblieben ist. Und wenn es nur das wäre, was Godard in seinen nun achtzig Lebensjahren geleistet hätte - schon damit wäre ihm die Unsterblichkeit sicher. Er hat aber sogar noch Anna Karina im Humphrey-Bogart-Trenchcoat gefilmt und die niedliche Art, wie sie einen Detektiv spielt und doch einen Revolver kaum anfassen will; oder Anne Wiazemsky im gelben Sommerkleid, wie sie von einem streng marxistischen Fernsehteam durch einen lichtdurchfluteten Frühlingswald verfolgt wird und auf die komplexesten revolutionären Fragen immer nur "Yes" and "No" antwortet. Und tausend andere, wunderschöne Dinge mehr - und deshalb darf dieser Geburtstag jetzt auch einfach ein heiterer Festtag sein. Szene aus dem Remake des Godard-Films Außer Atem mit Richard Gere.

© SZ vom 2.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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