Jazzlegende Rolf Kühn:Komplizierte Geliebte

Rolf Kühn

Rolf Kühn Thema: Rolf Kühn Credit: Arne Reimer Honorar: Ja Online: Ja

(Foto: Arne Reimer)

Die deutsche Jazzlegende Rolf Kühn wird 90 Jahre alt. Höchste Zeit für ein Gespräch über Selbstvertrauen, Republikflucht, eine Schimpftirade Billie Holidays, den strengen Mentor Benny Goodman - und die größte Enttäuschung seines Lebens.

Interview von Arne Reimer

Der Jazzklarinettist Rolf Kühn wurde 1929 in Köln geboren. 1950 wurde er Erster Saxofonist des Rias Tanzorchesters in Berlin. 1956 wanderte er in die USA aus und spielte dort mit Billie Holiday und mehrere Jahre im Orchester des Jazz-Superstars Benny Goodman. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland leitete er von 1962 an das NDR-Fernsehorchester und wurde zu einem der berühmtesten deutschen Jazzmusiker. Zum Geburtstag erscheint bei MPS eine neue Rolf-Kühn-Box mit sieben Schallplatten, darunter auch die unveröffentlichte Aufnahme eines Konzerts in Newport aus dem Jahr 1967.

SZ: Herr Kühn, woher kam im Deutschland der Nachkriegszeit eigentlich Ihr Interesse für Jazz?

Rolf Kühn: 1947 spielte ich Tanzmusik in einem Club in Leipzig, als eines Nachmittags plötzlich Jutta Hipp, die später ja eine bekannte Jazzpianistin werden sollte, auftauchte. In dieser Zeit, als alles noch in Trümmern lag, war sie wirklich eine skurrile Erscheinung. Eine Art Nina Hagen. Ihr Gesicht war sehr geschminkt, rote Haare bis zum Po, rotes Käppi und hohe Absatzschuhe, mindestens 15 Zentimeter. In der Pause sprach sie mich an: "Du spielst ja ganz nett, aber ich würde dir gerne mal eine richtig tolle Platte vorspielen. Komm doch Sonntagnachmittag vorbei." Sie wohnte bei ihren Eltern in Markkleeberg, einem Vorort von Leipzig, und ich hatte ja nicht nur Interesse an der Schallplatte. Aber nachdem sie die Musik aufgelegt hatte, interessierte ich mich nur noch dafür. Das war das erste Mal, dass ich Benny Goodman hörte! Lustigerweise wusste ich an diesem Sonntag von Jutta Hipp nur, dass sie Kunststudentin war. Dass sie auch Klavier spielte, erfuhr ich erst später, als sie mit Hans Koller und Albert Mangelsdorff auftrat.

Was hat sie Ihnen denn damals von Benny Goodman vorgespielt?

Die Platte war eine V-Disc mit dem Titel "Hallelujah". V stand für Victory, eine Aufnahme, die von Goodman für die amerikanischen Soldaten eingespielt worden war. Jutta Hipp schenkte sie mir, und ich habe dann noch mehr geübt, weil ich unbedingt auch so Klarinette spielen wollte. Goodman spielte sehr lebendigen, fantasievollen Swing. Ich habe den Titel, als ich ihn endlich beherrschte, in einem privaten Studio aufgenommen. Mich dann selbst zu hören war allerdings die größte Enttäuschung meines Lebens. Die Noten waren richtig, aber der Ausdruck, die Phrasierung fehlte. Von da an beschäftigte ich ernsthaft mit Improvisation.

Sie spielten direkt nach dem Krieg drei Jahre in Leipzig in der Bigband von Kurt Henkels. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Wir spielten Tanzmusik und Jazz und nahmen täglich auf. Ich hörte mich ständig selbst und konnte mich kontinuierlich verbessern. Aber wir wurden bald immer stärker staatlich kontrolliert und durften irgendwann keinen Jazz mehr spielen. Nach der Gründung der DDR 1949 wurde ja von den SED-Parteifunktionären vorgeschrieben, dass man zu 80 Prozent Musik von DDR-Komponisten spielen musste. Durch einen Job am Timmendorfer Strand habe ich die Ostzone dann 1949 verlassen können, kurz vor Gründung der DDR, daher galt ich auch nicht als republikflüchtig.

Ihren Bruder Joachim haben Sie später nach Westdeutschland geholt. Wie ist Ihnen das gelungen?

Über Wien! Dort veranstaltete Friedrich Gulda jährlich einen Wettbewerb, und ich bat ihn 1966, Joachim offiziell über das Kultusministerium einzuladen.

Sie suchten Ihre Freiheit später in den USA. Wie kam es zur Idee auszuwandern?

Während meiner sechs Jahre unter Werner Müller beim Rias kam der amerikanische Klarinettist Buddy DeFranco 1954 für ein Konzert in den Sportpalast nach Berlin. Ich kannte seine Ankunftszeit am Flughafen, aber mein Englisch war so schlecht, dass ich eine Übersetzerin mitnahm. Ich habe ihn dann in meinen VW gesetzt und ins Hotel gefahren. In seinem Konzert spielte er Soli von fast 15 Minuten, ein Chorus besser als der andere, unglaublich! Danach lud ich ihn ins Restaurant ein und um zwei Uhr nachts sagte er dann: "Jetzt will ich aber mal dich spielen hören." Also legte ich in meiner Wohnung ein paar Platten von mir auf, und er sagte begeistert: "Du musst nach Amerika kommen!"

Woher kam das Selbstvertrauen, dann auch wirklich aufzubrechen?

Mein Selbstvertrauen kam durch enormen Fleiß und die vielen Erfahrungen, die ich schon in Bands gemacht hatte. Ich war damals ja auch schon 27. Mein Vater war Akrobat im Zirkus, und ich habe als kleiner Junge mit ihm und meinem Opa hart trainiert, auch wenn die Turnhalle bei Schnee und Eis sehr kalt war. Da habe ich gelernt, was Disziplin bedeutet.

Sie waren schließlich sogar so gut, dass Benny Goodman Sie in seine Band holte.

Ja, aber es ging für mich in New York nicht sofort gut los. Die einzige Adresse, die ich hatte, war die von Jutta Hipp. Erst als ich zufällig am Broadway Friedrich Gulda traf, machte er mich mit dem Produzenten John Hammond bekannt, mit dem ich einige Jahre erfolgreich zusammenarbeitete. Mein Vorspiel für Benny Goodman war dann sehr sonderbar, denn er war mein großes Idol. Und plötzlich stand er vor mir, leicht ergraut, und lächelte, nachdem ich vorgespielt hatte. Ich blieb zwei Jahre bei ihm.

Was war Goodman für ein Typ?

Als Bandleader war er extrem streng. Er feuerte Musiker noch während der Probe, wenn sie ihm zu viele Fehler machten. Wir sind durch die ganze USA getourt. Nach acht Stunden im Bus mussten wir einen hässlichen hellblauen oder orangen Smoking anziehen und sofort auf die Bühne. Er hatte mich geholt, weil er neugierig war, was junge Musiker mit seinem Instrument so anstellten. Mehrmals lud er mich zu sich nach Hause ein. In seinem Musikzimmer lagen Hunderte Klarinettenblätter auf dem Boden. Manchmal hatte er sogar etwas Väterliches, wenn er mir in seiner Küche ein Käsebrot machte. Seine Frau und seine Töchter aber litten unter ihm. Beim Abendbrot wussten sie nicht, was sie mit ihm reden sollten, denn er war gedanklich nur bei der Klarinette.

Unter all den Legenden, mit denen Sie spielten, war auch Billie Holiday.

Ich wohnte zufällig im gleichen Haus wie Billie. Einmal kam ich von einem Gig um sieben Uhr morgens zurück und hatte meinen Hausschlüssel vergessen. Es war bitterkalt, also klingelte ich bei Billie, die mich beschimpfte, wie ich es nie erlebt hatte. Später entschuldigten wir uns gegenseitig. Sie tat mir leid, denn es ging ihr seelisch und körperlich nicht gut, oft war sie betrunken oder stand unter Drogen.

Obwohl alles sehr gut für Sie lief, haben Sie die USA 1961 verlassen.Warum?

New York ist ein hartes Pflaster mit sehr viel Druck, jeden Tag dieses Rattenrennen, das war auf Dauer nichts für mich.

Die Klarinette ist nicht unbedingt das populärste Instrument, warum sind Sie ihr dennoch so lange treu geblieben?

Ich hab' mich als kleiner Junge in ihren Klang verliebt und sie als Lebenspartnerin akzeptiert. Es ist eine komplizierte Geliebte, aber ich bin froh, dass sie noch da ist.

Üben Sie denn immer noch jeden Tag?

Jeden Tag! Ungefähr zwei Stunden.

Haben Sie Pläne für ein neues Album?

Die nächste Platte ist schon fertig im Kopf. Gerade mache ich mir Gedanken zur übernächsten Platte. Der Untertitel der neuen Box lautet ja "The best is yet to come".

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