Jazzkolumne:Sommerbrisen

Die interessantesten neuen Jazz-Alben. Diesmal mit neuer Musik von Ed Motta und Joe Armon-Jones - und der Antwort auf die Frage, warum Klassik-Stars immer wieder am Jazz scheitern.

Von Andrian Kreye

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Es gibt ein paar Genres, die funktionieren im Sommer besser. Neben dem Bossa Nova ist das jene Mischung aus Blue Eyed Soul und Jazzrock, wie sie in den Siebzigerjahren Steely Dan, Gino Vannelli oder die Doobie Brothers in ihrer Michael-McDonald-Phase produzierten, und die heute ironisch "Yacht Rock" genannt wird. Die beherrscht heute kaum einer so gut wie der brasilianische Sänger und Pianist Ed Motta, was man vor allem auf seinen letzten beiden Alben "AOR" und "Perpetual Gateways" (Must Have Jazz) nachhören kann. Neulich trat er im Nachtclub des Hotels Bayerischer Hof in München auf. Weil er mit seiner phänomenalen Band eine musikalische Dichte und eine emotionale Tiefe erzeugte, begriff man sofort, warum der Yacht Rock natürlich im Jazz ankert. Mottas Gespür für bittersüße Harmonien, die er mit seinem Fender Rhodes Piano ordentlich unter Druck setzt, ist dabei selbst für einen Musiker aus dem Mutterland des Bossa Nova erstaunlich. Außerdem soll er eine der großartigsten Plattensammlungen aller Zeiten besitzen. Aus der hat er nun die fünfte Folge der ultimativen Yacht-Rock-Samplerserie zusammengestellt. So finden sich auf "Too Slow To Disco Brazil Compiled By Ed Motta" (How Do You Are?) neunzehn Stücke brasilianischer Bands und Stars, die Jazz und Soul mindestens so sommerbrisenhaft auf einen zugänglichen Nenner bringen wie die Pioniere aus dem Norden.

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London bleibt ansonsten die derzeit interessanteste Jazzstadt. Vom Saxofonisten Shabaka Hutchings und seiner furiosen Band Sons of Kemet war in dieser Zeitung schon die Rede. Auch vom Sampler "We Out Here" (Brownswood), auf dem Hutchings eine sehr schlüssige Momentaufnahme der jungen Londoner Szene zusammengestellt hat, zu der auch der Keyboarder Joe Armon-Jones gehört. Der hat gerade sein Debütalbum "Starting Today" (Brownswood) veröffentlicht. Mit den modulierten E-Pianos und den raffinierten Club-Rhythmen würde das auch als Rohmaterial für intellektuellen Hip-Hop taugen. Wenn dann aber die Souljazz-Gesangslinien und Bläsersätze einsetzen, katapultiert er das Album immer wieder aus den Club-Bahnen in den ekstatischen Jazz.

Impresario des neuen Londoner Schubs bleibt der DJ Gilles Peterson mit seinem Brownswood-Label. Dort erschien Ende April das neue Album des Tokioter DJs Toshio Matsuura "Loveplaydance: 8 Scenes from the Floor", der schon seit 25 Jahren mit Peterson zusammenarbeitet. Peterson hat mit einigen Schlüsselmusikern wie der Trompeterin Yazz Ahmed, der Saxofonistin Nubya Garcia und dem Schlagzeuger Tom Skinner eine wunderbar behutsame Musik geschaffen, die den Spiritual Jazz mit den Mitteln jener Electronica erneuert, die sonst im Chill-out versuppen. Und dort erscheint Ende des Monats auch das Album des Keyboarders Kamaal Williams alias Henry Wu "The Return", das an die Jazzfunk-Brillanz seiner Band Yussef Kamaal anschließen wird.

Auch gut: Azar Lawrence "Elementals" (High Note): Wird seinem Ruf als legitimer Coltrane-Erbe einmal mehr mit einem mächtigen Ton gerecht, der jenseits der Spiritual-Jazz-Stücke auch konventionellen Hard-Bop-Arrangements Neues abgewinnt.

Dave Liebman "Fire" (Jazzline): Man vergisst leicht, dass der Saxofonist als einer der produktivsten und ideenreichsten Miles-Davis-Weggefährten noch am Werk ist, der auf seinem neuen Album einmal mehr definiert, wie frei Musik sein kann.

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Gunter Hampels "Bounce" ( Intuition): Frei improvisierte Musik beherrscht sonst kaum einer wie Gunter Hampel, der mit dem Saxofonisten Johannes Schleiermacher, dem Schlagzeuger Bernd Oezsevim und der Sängerin Cavana Lee-Hampel eine junge Gruppe gefunden hat, die so fokussiert und mitreißend zusammenspielt wie einst seine Galaxy Dream Band.

Joey Alexander "Eclipse" (Motema): Die Wunderkindgeschichte des 14-jährigen Pianisten aus Bali wird penetrant vermarktet, aber wenn man sein viertes Album anhört, versteht man, warum Herbie Hancock und Wynton Marsalis in ihm die Zukunft hören.

Braucht keiner: Thomas Quasthoff: "Nice 'N' Easy" (Okeh): Musikalisches Slumming eines Klassikstars, der wie viele seiner Zunft an Phrasierung und Timbre des Jazz scheitert. Die grandiosen Arrangements der NDR Big Band machen es eigentlich nur noch schlimmer, da deutlicher. Und auf der neuen Nigel-Kennedy-Platte "Kennedy Meets Gershwin" (Warner) ist es leider ebenso Nur mit betulicher Kaffeehausband. Erbarmen!

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