Jazzkolumne:Die Heilkraft des Universums

Esperanza Spalding - "12 Little Spells"

Esperanza Spalding: Spiritualität ist im Jazz eben keine luxusgelangweilte Sinnsuche, sondern eine Tiefenschürfung in den Schwungkräften der Katharsis.

(Foto: Shore Fire)

Wer die Abneigung gegen Achtsamkeitsfirlefanz kurz wegsteckt, bekommt hier Jazz-Therapiestunden von: Esperanza Spalding, Amanda Whiting, Brandee Younger und Angel Bat Dawid.

Von Andrian Kreye

Die neue Webseite der Bassistin Esperanza Spalding heißt übersetzt Songschreiberinnenapothekenlabor (songwrightsapothecarylab.com). Dort bietet sie die ersten drei Songs ihres neuen Projekts wie Therapiestunden an. Man kann sie sogar im Set mit Keramik-Utensilien kaufen. Wobei man seinen Widerwillen gegen Esoterik und Achtsamkeitsfirlefanz kurz wegstecken sollte. Spalding setzt schließlich eine Tradition fort. Der Satz "Musik ist die Heilkraft des Universums" stammt immerhin von einem der radikalsten Radikalen in der Geschichte des Jazz - Albert Ayler, der sein letztes Studioalbum so betitelte. 1969 war das, im Jahr nach den Ermordungen von Martin Luther King und Robert Kennedy. Das Jahr, in dem das FBI Jagd auf Bürgerrechtler machte. So hört sich Esperanza Spalding nach dem Black-Lives-Matter- und Seuchenjahr 2020 schon mal ganz anders an. Weil die Spiritualität im Jazz damals wie heute keine luxusgelangweilte Sinnsuche, sondern eine Tiefenschürfung in den Schwungkräften der Katharsis ist.

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Musikalisch schließt sie an Alice Coltrane an. Die schuf nach dem Tod ihres Mannes John ein Opus von einem guten Dutzend Alben, das die rabiaten Befreiungsschläge in kosmische Aufwallungen überführte. Ähnlich wie Pharoah Sanders und Floating Points mit ihrem neulich erschienenen Überraschungshit "Promises" produziert Spalding so weniger "Sheets of Sounds" als Klangschleier, die von Harmonien zusammengehalten werden und nicht von Rhythmen. Und weil sie das über weite Strecken mit ihrer strahlenden Stimme, mit einem Chor und gemeinsam mit Leuten wie dem Hip-Hop-Produzenten Phoelix, dem Schlagzeuger Justin Tyson und dem Saxofon-Titan Wayne Shorter tut, entsteht da eine Sogwirkung, die so etwas wie universelle Gültigkeit hat.

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Alice Coltrane erlebt im Kielwasser des neuen Spiritual Jazz sowieso gerade eine Renaissance. Nicht zuletzt, weil es Nachwuchs auf ihrem Zweitinstrument, der Harfe, gibt, die im Jazz eines der schwierigsten Instrumente bleibt. Außer Coltranes kosmischen Glissandi und dem Groove-Zupfen von Dorothy Ashby kam da seit den späten Sechzigerjahren nicht allzu viel nach. Was die englische Harfenistin Amanda Whiting so interessant macht, die vergangenes Jahr als überraschend brillante Sparringspartnerin des Saxofonisten und Flötisten Chip Wickham auf dessen Album "Blue and Red" auftauchte. Auf ihrem ersten vollen Album für ein richtiges Label "After Dark" (Jazzman) findet sie im Trio (mit ein paar Gastbeiträgen von Wickham an der Flöte) Wege, ihr so notorisch ätherisches Instrument in Jazz-Grooves zu erden.

Musikalisch und auch mit ihrer Karriere schon etwas weiter ist die New Yorker Harfenistin Brandee Younger. Die spielte viel mit Alice und John Coltranes Sohn Ravi und arbeitet im Studio für Popstars und Rapper. Und wagt sich auf ihrem neuen, inzwischen siebten Album "Force Majeure" (International Anthem) mit dem Bassisten Dezron Douglas in ein reines Duo. Das funktioniert gerade deswegen so gut, weil sich Harfe und Kontrabass im Klangbild wunderbar ergänzen. Das Album entstand aus den Pandemie-Streams der beiden und wirkt ähnlich spontan. Sie spielen vor allem Coverversionen. Von Pharoah Sanders, John und Alice Coltrane, den Stylistics, Kate Bush und Sting. Alles sehr hip in seinem Minimalismus und der ganz unironischen Beschäftigung mit Songs, die sich mehr als bewährt haben.

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Die Beschäftigung mit dem Komponieren ist fast schon ein neuer roter Faden. Jihye Lee veröffentlicht mit "Daring Mind" (Pias) beispielsweise schon ihr zweites Orchester-Album als Komponistin. In ihrer Heimat Südkorea hatte sie schon eine Karriere als Indie-Sängerin hinter sich, bevor sie vor zehn Jahren nach Boston zog, um an der Berklee School Jazz-Komposition zu studieren. Kurz darauf bekam sie schon den Duke Ellington Award verliehen. Warum sie so gefeiert wird, erschließt sich auf dem Album rasch. Es schöpft den Klangkörper der Big Band mit allen Mitteln des Modern Jazz aus, ohne sich auf Gefälligkeiten einzulassen. Wie Blech- und Holzbläser, Klavier und Rhythmus ineinander verschränkt werden, ist in sich so stimmig, dass einem erst spät auffällt, wie wenig Raum für Improvisation bleibt.

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Bei einer ganzen Kolumne voll Wohlklang sollte man allerdings nicht vergessen, dass der Jazz immer noch Ventil für Wut und Verzweiflung sein kann. Die Klarinettistin und Sängerin Angel Bat Dawid macht gar keinen Hehl aus ihrer politischen Haltung. Die Songtitel sprechen für sich: "What shall I tell my children who are black", "We hereby declare the African look", "HELL". Was auf ihrem Album "Oracle" noch in klare Grooves und Klangbilder gebettet war, bricht sich auf ihrem neuen Album "Live" (International Anthem) mit einer Wucht Bahn, die keine Komfortzonen freilässt. Aufgenommen auf dem Jazzfest Berlin 2019 mit ihrer Band Tha Brotherhood ist es der Beleg dafür, dass freier Jazz Emotionen nicht nur abstrahieren, sondern in aller Rohheit so verstärken kann, wie man es sonst aus dem Soul oder dem Punk kennt.

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