Jazzkolumne:Wo "Acid Jazz" nicht nur ein Label ist

Emma-Jean Thackray

Drogen haben ihr Leben verändert - sagt: Emma-Jean Thackray.

(Foto: Movementt)

Emma-Jean Thackray verarbeitet auf ihrem Debüt einen veritablen Drogen-Trip. Und Brandee Younger lotet die Möglichkeiten der Harfe weiter aus.

Von Andrian Kreye

Es ist schon eine Weile her, dass jemand damit prahlte, ein Werk sei das Ergebnis eines Drogenrausches. Lief ja oft nicht gut mit den Drogen, weswegen sie schon lange kein Distinktionsmerkmal der Subkulturen mehr sind. Es wäre deshalb vielleicht auch egal, dass die englische Trompeterin Emma-Jean Thackray auf ihrem Debütalbum "Yellow" (Movementt) einen psychedelischen Rausch verarbeitet, der - wie sie sagt - ein Erlebnis war, das ihr Leben veränderte. Oder zumindest ihren Blick auf die Welt. Die Platte könnte eh gut für sich selbst stehen. Sie ist mit ihrer musikalischen Dichte und Tiefe eine der aktuell gelungensten Veröffentlichungen der Londoner Jazzszene. Es steckt viel von Thackrays eigener Geschichte in der Musik, die ihr musikalisches Leben in Yorkshire, wo sie aufwuchs, als erste Trompeterin einer Brass Band begann.

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Die Wucht dieser traditionellen britischen Blasorchester ist sehr viel frenetischer als die einer alpenländischen Blaskapelle und erinnert eher an New Orleans und Serbien. Sie ist auch sehr viel archaischer als die Big-Band-Musik, die sie später am Londoner Trinity College studierte. Darauf schichtet sie dann Afro-Beat, Disco, Grime, elektronische Experimente und Spiritual Jazz. Dass man als Zuhörer manchmal jäh aus einem Flow gerissen wird, in dem man sich gerade wohlfühlt, hat eben mit den eingangs erwähnten psychedelischen Erlebnissen zu tun, die den Begriff "Acid Jazz" doch noch einmal ganz neu mit Leben füllen.

Wobei Thackray sich mit ihrer psychedelischen Eskapade deutlich auf ein historisches Kapitel der Kulturgeschichte bezieht. Nun gibt es neben der bildenden Kunst und Filmen von Quentin Tarantino nur wenige Kunstformen, die mit so viel Geschichtsbewusstsein arbeiten wie der Jazz. Immer schon. Es sind aber nicht nur die Formen, es sind vor allem die Haltungen, die diese Generation in ihrer Musik verankert. Der politische Zorn des Black Power, die Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln, die spirituelle Sinnsuche des Wassermannzeitalters. Und da kommt die Psychedelik ins Spiel, die auch in der Therapie gerade wieder eine Renaissance erlebt. Weil sie im Denken ein Gefühl erzeugen kann, dass man Teil eines sehr viel größeren Ganzen ist, das im Spiritual Jazz der späten Sechziger- und frühen Siebzigerjahre eine große Rolle spielte.

Wenn Thackray das nun in ein zeitgenössisches Klangbild packt mit all der Elektronik und einem Feuerwerk des Groove, dockt sie ganz klar an eine weitverbreitete Sicht der Gegenwart an, in der die Probleme dieses Planeten und der Gesellschaften nur mit einem gewaltigen kollektiven Heilungsprozess bewältigt werden können. Wenn sie mit ihrer Musik und ihren Texten also Einigkeit, Haltung und ein gewisses kosmisches Bewusstsein einklagt, sind das nicht nur Zitate aus einer Zeit, in der sich Jazz und Spiritualität zur Speerspitze der Emanzipationsbewegungen gesellten. Es ist das Echo einer sehr zeitgemäßen Stimmung.

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Um die Coltranes kommt da niemand herum. Vor allem Alice kennt man als Patin einer Spiritualität, die musikalisch für Höhenflüge sorgt. Und ähnlich, wie ihr Mann John der Sockel für alle Tenorsaxofonisten wurde, die nach ihm kamen, prägte sie das zugegeben im Jazz sehr viel exotischere Instrument Harfe. Brandee Younger ist hier die neue Virtuosin. Nach ihrem minimalistischen Duo-Album mit dem Bassisten Dezron Douglas aus dem vergangenen Jahr, gibt sie ihren Einstand auf dem Impulse-Label mit dem üppig produzierten "Somewhere Different". Nicht nur, dass sie sich gegen massive Hip-Hop-Beats durchsetzen kann, weil sie die nun mal naturgegebene Zartheit ihres Instruments mit dem Strahlen der Arpeggio- und Glissando-Läufe kompensiert. Sie ist auch so virtuos, dass sie den sehr eigenen Fluss, den eine Harfe erzeugt, zum dominanten Rhythmuselement des Albums macht. Wie breit die Genres gestreut sind, zeigt wie so oft die Gästeliste, auf der Basslegende Ron Carter neben dem Schlagzeuger Marcus Gilmore und der Tank-and-the-Bangas-Sängerin Tarriona Ball steht.

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So brillant wie Thackray und Younger mit den historischen Bezügen umgehen, so deutlich wird doch, dass solche Zitatspiele alleine nicht weit reichen. Der Multiinstrumentalist und Produzent Adrian Younge wird in Amerika schon lange als Retro-Wunderkind gehandelt. Gemeinsam mit dem A-Tribe-Called-Quest-DJ Ali Shaheed Muhammad betreibt er seit vier Jahren in Los Angeles das Label Jazz Is Dead, auf dem die beiden eine beeindruckende Menge Alben voller Retrozitate aus den Superhipsterjazzjahren veröffentlichen. Seit einiger Zeit engagieren sie auch immer eine Legende aus den Siebzigerjahren, entweder aus dem politischen Jazz oder aus den Hochzeiten des Bossa-Pop. Roy Ayers und Gary Bartz waren schon zu Gast, Marcos Valle und João Donato auch. Man weiß entsprechend immer, was die beiden eigentlich vorhatten. Allerdings ist die nun achte Folge der Reihe mit Brian Jackson, dem ehemaligen Weggefährten des Politlyrikers Gil Scott-Heron, exemplarisch für die Schwächen eines Projekts, das vor allem aus dem historischen Hipstergespür für Retro Cool und kaum aus der Musikalität kommt. Es bleibt ein mattes Echo.

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