Jazzkolumne:Das Ende des Cool

Miles Davis prägte mit seinem Cool den Zeitgeist einer Epoche, die gerade zu Ende geht. Weil Jazz aber immer ein guter Gradmesser des gesellschaftlichen Zeitgeistes war, gibt es für eine neue Zeit auch neuen Jazz .

Von Andrian Kreye

Jazzkolumne: undefined

Neulich kam die Wiederveröffentlichung der Wiederveröffentlichung von Miles Davis' epochalem "Birth of the Cool"-Album bei Blue Note heraus. Was schon in Ordnung ist, weil Davis die Studio-Arbeit an dem Album vor ziemlich genau 70 Jahren begann. Kann man feiern. "The Complete Birth Of The Cool" ist aber vor allem eine gute Erinnerung daran, dass das Album sehr viel mehr war, als nur der Auftakt eines neuen Stils. Miles Davis prägte mit seinem Cool den Zeitgeist einer Epoche, die gerade zu Ende geht. Und weil Jazz immer ein guter Gradmesser nicht nur des musikalischen, sondern auch des gesellschaftlichen Zeitgeistes war, schlägt sich dieser Wandel auch in der Musik nieder.

Ganz neu ist das Ende des Zeitalters des Cool nicht. Vor knapp elf Jahren wurde Barack Obama gewählt, dessen Coolness fast so ausführlich dokumentiert wurde, wie der Wahnsinn seines Nachfolgers Trump. Und wie cool konnte Cool noch sein, wenn der mächtigste Mann der Welt cool war? Wobei Obama das Ende des Cool nicht auslöste, sondern nur besiegelte. Was als subversive Haltung der Jazzer mit Lester Young begann, der den Widerstand der Schwarzen als erster durch die Codes der Hipster abstrahierte, hatte 2008 eben den Marsch durch die Institutionen absolviert. Und keiner hatte sich auf die Codes des Cool in Musik, Sprache und Musik so verstanden, wie Davis.

Jazzkolumne: undefined

Die gesamte Geschichte dieses Zyklus ist gut erforscht. Die zerstörerischen Marktmechanismen mit der Erfindung des hyperindividualistischen "Rebel Consumers" hat Thomas Frank in seinem Buch "The Conquest Of Cool" schon 1997 analysiert. Das erklärt auch, warum das stilprägende Jazzlabel Blue Note Records den Modern Jazz zum Luxusprodukt verklärt. "Blue Note Review" nennt sich eine opulente Box, die in limitierter, nummerierter Auflage einmal im Jahr im Leinenschuber erscheint. In der zweiten Ausgabe "Spirit & Time" mit einem Schlagzeuger-Fokus gibt es für 200 Dollar (bestellbar in den USA) einen Sampler mit neuen Aufnahmen, vergriffene LPs von Art Blakey und Bobby Hutcherson, zwei Abzüge von Francis-Wolff-Fotos, einen Schal vom Designer John Varvatos und ein Plattenbürstchen mit Logo. So viel Fetischisierung für 200 Dollar mag der endgültige Ausverkauf des Cool sein. Aber trifft natürlich genau die Begehrlichkeiten der Zielgruppe.

Das Zeitalter des Post-Cool ist dabei keineswegs uncool. Die Kulturkritik spricht vom Zeitalter des Hot, weniger mit erotischem oder marktschreierischen Unterton, sondern als Antithese des Cool. Statt Codes gibt es klare Worte, statt Ironie Ernsthaftigkeit und statt dem zurückgenommenen Spiel, das mit Lester Young und Miles Davis begann und sicherlich weiter seine Gültigkeit behält, eine Besinnung auf Ernsthaftigkeit, Spiritualität und Ekstase im Jazz, die sich mit Höchstgeschwindigkeit verbreitet.

Kamasi Washington, der die Welle mit seiner West-Coast-Get-Down-Crew von Schul- und Jugendfreunden angestoßen hat, führte das neulich wieder auf Tour vor. Da gibt es einen Umschwung vom Blues auf den Gospel mit seiner rechtschaffenen Ekstase. Vielleicht sollte man auch kurz das Wort "woke" einführen, einen relativ neuen Begriff für das alles durchringende politische Bewusstsein der amerikanischen Linken. Das zieht sich bei vielen jungen Jazzern wie Washington, Miles Mosley und Ryan Porter (aus L.A.), Shabaka Hutchings, Theon Cross und Nubya Garcia (aus London) oder dem Onyx Collective (aus New York) durch ihre Arbeit. Das ist unverhohlen politische Musik. Und wenn sie abstrahiert, dann nicht hinter Hipster-Codes, sondern hinter der Spiritualität, wie der Pianist Brad Mehldau auf seinem ambitionierten neuen Fusion-Album "Finding Gabriel" (Nonesuch).

Auch der West Coast Get Down-Posaunist Ryan Porter bemüht sich aus seinem neuen Album "Force For Good" (World Galaxy) um die hehre Ekstase. Was ihm, wie so vielen live so mitreißenden Musikern, nur halb gelingt.

Jazzkolumne: undefined

Interessanterweise hat der Earth, Wind & Fire-Sänger und Percussionst Philip Bailey auf seinem grandiosen vom Jazzpianisten Robert Glasper produzierten Solo-Album "Love Will Find A Way" mit dem Stück "Sacred Sounds" (Verve) gemeinsam mit Washington einen der besten Momente dieses neuen Geistes einfangen. Wobei man vergessen hat, dass seine Gruppe vor dem Disco-Gospel-Ruhm mal aus demselben Umfeld kam, wie das Art Ensemble of Chicago. Und die waren schon "woke" und "hot", lange bevor sich der Zeitgeist darauf besann.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: