Süddeutsche Zeitung

Jazz Summer Week:Durchschlagskraft

Er zählt zu den besten Drummern Deutschlands. Nun wird Guido May 50 - und feiert eine Woche lang in der Unterfahrt

Von Oliver Hochkeppel

Von den raren Wunderkindern einmal abgesehen, muss jeder, der ein namhafter professioneller Musiker werden will, extreme Leidenschaft mitbringen. Für manche, wie den Münchner Schlagzeuger Guido May, hält das Schicksal noch ein paar Extra-Aufgaben bereit. Wenn May jetzt an seinem 50. Geburtstag zurückblickt, kann er zwar stolz konstatieren, dass er zu den wenigen deutschen Drummern gehört, die international Rang und Namen haben. Doch der Weg dahin war steiniger als bei anderen. Zwei Krisen forderten ihm physisch wie psychisch alles ab.

Dabei fing alles ganz normal an. Als behüteter Apothekersohn wuchs May in Waging und Traunreut auf, mit Gymnasium und klassischem Klavierunterricht. Die Eltern nahmen den kleinen Guido mit ins nahe Burghausen, wenn dort wieder die Jazzwoche lief. Mit 15 sah er dort die Hardbop-Schlagzeuger-Legende Art Blakey: "Auf irgendwas habe ich schon immer herumgetrommelt. Aber das war überwältigend, eine physische Demonstration von Schlagzeug. Das wollte ich auch können." Er belegte Kurse in Burghausen, übte permanent. "Nächtelang habe ich mit der Taschenlampe unter der Bettdecke Drummer-Magazine gelesen."

Als klar war, dass es sich um mehr als eine jugendliche Spielerei handelte, ließen ihn die Eltern auf die Münchner Drummer's-Focus-Schlagzeugschule gehen. Von dort schwärmte er auf die Münchner Jam-Sessions aus, kam ins Landesjugend-Jazzorchester. Der Bassist Thomas Stabenow, die Brüder Martin und Patrick Scales, Peter O'Mara, die Organistin Barbara Dennerlein, der ewige Talentscout Klaus Doldinger, der Bassist Wolfgang Schmid für seine Band The Kick, die hiesigen Bigbands von Al Porcino und Dusko Goykovich, zuletzt auch ein Christian Elsässer oder der deutsch-kamerunische Perkussionist Biboul Darouiche mit Soleil Bantu - sie alle setzten auf das treibende Timekeeping, das immer knackende, gerne funkige, immer instinktive Spiel von May. Schließlich klopften auch internationale Größen wie Mose Allison, Georgie Fame, Bireli Lagrene, Larry Coryell, die noch junge und unbekannte Diana Krall oder zuletzt ein Craig Handy an. Vor allem aber wurden die James-Brown-Statthalter Pee Wee Ellis und Fred Wesley auf ihn aufmerksam, nahmen ihn mit ins Studio wie auf Tournee. "Chancen nutzen war immer meine Sache", sagt May, "es lief sehr oft so: Ein Drummer ist ausgefallen oder es lief nicht so gut mit ihm, dann wurde ich über eine Empfehlung vermittelt. Meine Stärke ist, dass ich dann nie Angst habe, immer die Energie meiner Mitspieler aufnehmen und auf den Punkt abliefern kann, was sie sich vom Schlagzeug wünschten. Es gibt viele Schlagzeuger, die sehr gut sind, aber das nicht können", sagt May.

Es lag aber weniger daran, dass May die Szene in diesen frühen Aufstiegsjahren regelrecht polarisierte. Sein unausgeglichenes, mitunter kindisches Verhalten, begleitet von Erschöpfungszuständen, Gewichtsproblemen und am Ende sogar Halluzinationen klärte sich erst im Herbst 1993 auf, als er 25 war. Ein "Makroprolaktinom" genannter Hirntumor war geschätzte zehn Jahre lang rund um seine Hypophyse auf Rekordgröße gewachsen, hatte sich in diverse Hirnkanäle ausgebreitet, alle möglichen Stoffwechselkreisläufe durcheinander gebracht. Erstaunlicherweise hat sich an der Ablehnung durch manche Kollegen nichts geändert, seit der tägliche Medikamenten-Cocktail den Tumor austrocknet und ihm seine Leben und seine Persönlichkeit zurückgab: "Viele haben ein Problem damit, wenn sich jemand verändert. Selbst wenn es zum Besseren ist", sagt er.

Auch privat war sein Leben in den vergangenen Jahren nicht unkompliziert. Beruflich freilich lief es gut - bis er vor einem Jahr beim Joggen ausrutschte und sich die Schulter brach. Vor der komplizierten Operation war durchaus ungewiss, ob er je wieder professionell Schlagzeug spielen würde. "Man wird mit grundsätzlichen Fragen konfrontiert: Was will ich eigentlich wirklich? Und was bleibt, wenn man einmal nicht mehr spielen kann?", erinnert sich May. So hat sich der Schlagzeuger, der immer "einfach nur spielen" wollte, mit der Ausschöpfung seines Potenzials beschäftigt. Erstmals hat er "Endorsements", also Ausrüsterverträge abgeschlossen. Außerdem gibt er sein Wissen weiter, in Lehrvideos, bei Workshops oder Meisterklassen. Und schließlich kümmert er sich um die musikalischen Freundschaften. Die bestehenden, aber auch solche, die ihm noch vorschweben. Davon zeugt die "Jazz Summer Week" von Dienstag, 21. August, an in der Unterfahrt, die er zu seinem 50. Geburtstag zusammengestellt hat.

Einen alten Traum erfüllt sich May am ersten Abend mit der Einladung von Pete York. Gehört er doch zu der Generation von Schlagzeugern, die in den Neunzigerjahren von Yorks Fernsehsendung "Super Drumming" geprägt wurden. Erstmals spielt May jetzt live an der Seite des unglaublich vielseitigen britischen Kollegen. Dass dabei der Groove abgeht, dafür bürgen außerdem Bassist Wolfgang Schmid, Saxofonist Libor Sima und Orgel-Professor Andi Kissenbeck an der Hammond. Eine alte Herzensangelegenheit präsentiert May am Mittwochabend mit der vom Bassisten und Produzenten Christian von Kaphengst, dem Gitarristen Bruno Müller und ihm selbst 2000 gegründeten Band Café du Sport. In der Unterfahrt stoßen die langjährigen Weggefährten Florian Truebsbach am Saxofon und Christian Elsässer am Klavier dazu. In die Zukunft kann man am Donnerstag schauen: Mit Paul Brändle an der Gitarre und André Schwager an der Orgel folgt May der Tradition klassischer Hammondtrios - mit dem oft obligatorischen Gast, den hier der Trompeter Julian Wasserfuhr gibt.

Die Abende am finalen Wochenende gehören Guido Mays wichtigstem internationalen Projekt: der Groove Extravaganza mit Pee Wee Ellis, dem Altisten James Morton, dem Annie-Lennox- oder Incognito-Gitarristen Tony Remy, dem Sting- oder Jeff-Beck-Pianisten Jason Rebello und dem langjährigen Freund und Passport-Bassisten Patrick Scales. Funk as Funk can!

Guido May: 50th Birthday Bash Summer Week, Dienstag bis Samstag, 21. bis 25. August, Unterfahrt, Einsteinstraße 42

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Quelle:
SZ vom 18.08.2018
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