Jazzkolumne:Mit großem A

Lesezeit: 3 Min.

Blue Lab Beats führen zwischen melancholischen Schlurfgrooves und euphorischem Afrobeat vor, wie das London der Gegenwart klingt. (Foto: Ferocious Talent)

Was darf die Kunst? Na alles. Neue Alben von Robert Glasper, Terrace Martin und Blue Lab Beats sind eher Hip-Hop als Jazz, aber das ist nur eine Frage der Haltung

Von Andrian Kreye

Die Veröffentlichung von Robert Glaspers "Black Radio III" (Concord) wäre ein guter Zeitpunkt, um mal wieder daran zu erinnern, dass er vor ziemlich genau zehn Jahren zum ersten Teil seines Langzweitwerkes dazu aufrief, den Jazz zu erneuern, und seither nur noch selten Jazz gespielt hat. Auch "Black Radio III" ist zunächst mal eine Mischung aus R'n'B, Hip-Hop und Pop mit Gästen aus ebenjenen Genres wie Common und H.E.R., Lalah Hathaway und Jennifer Hudson. Glasper ist auch keineswegs der einzige Jazzmusiker, der sich aus den klassischen Formen gelöst hat. Wobei er damals ja auch deutlich sagte, dass er zu einer Generation gehört, die über die digitalen Kanäle die gesamte Musikgeschichte mit ein paar Mausklicks abrufen kann. Hip-Hop sei nun mal Teil seines eigenen Lebens, Bebop nur die Vorgeschichte.

Cover Robert Glasper "Black Radio III". (Foto: Label)

Das ist ein Riesenunterschied zur Fusion der Vergangenheit. Als sich die Jazzmusiker in den Siebzigerjahren aufmachten, mit Rock, Soul und Easy Listening neue Mischformen zu schaffen, war da noch viel Kalkül dabei. Nicht zuletzt beim Pionier Miles Davis. Zwei Jahrzehnte lang war Modern Jazz die Musik der Jugend und der Soundtrack seiner Zeit gewesen. Das ging mit Rock und Soul zu Ende. So einige Versuche, sich dem neuen Zeitgeist anzuhängen, gingen dann auch schief oder hielten sich zumindest nicht besonders. Das lag vor allem am eher brachialen Rhythmusgefühl der neuen Genres, in denen sich die Jazzer hörbar unwohl fühlten.

Dieses Mal ist es genau umgekehrt. Der Jazz hatte seit den Achtzigerjahren viel Zeit in Nischen irgendwo zwischen Klassik und Avantgarde verbracht, bevor der Rapper Kendrick Lamar vor sieben Jahren sein Meilensteinalbum "To Pimp a Butterfly" herausbrachte, das als Wendepunkt vom Kaliber "Bitches Brew" in die Musikgeschichte eingehen wird. So wie Miles Davis damals 1970 den Jazz elektrifizierte, brachten Lamar und sein Produzent Terrace Martin die interessantesten Köpfe aus Hip-Hop und Jazz zusammen. Auch Glasper spielte auf dem Album. Vieles in dieser Musik hat nichts mehr mit den Formen und Klängen zu tun, sondern mit der Haltung. So spielt Robert Glasper auch auf seinem neuen Album wieder eine Musik, die beim ersten Hinhören zwar wie Hip-Hop und R'n'B klingt. Die Haltung und Herangehensweise kommt aber aus dem Jazz. Deswegen ist das Album von der Lässigkeit und Offenheit einer Rhythmusgruppe durchzogen, die in den Maschinenparks der Studios egal welcher Größe selten sind. Die einzige Frage, die bleibt wäre also, ob das denn gute Musik ist, die Glasper und seine Zeitgenossen da produzieren.

Man kann das als ja mit kleinem J stehenlassen. Mal wieder. Denn man muss dem Hip-Hop zugestehen, dass er, was Rhythmen betrifft, das kreativste Feld seit dem Aufbruch des Modern Jazz ist. Von den Texten mal ganz abgesehen. Da bleiben Glasper und seine Zeitgenossen manchmal etwas konservativ.

Cover Robert Terrace Martin "Drones". (Foto: Label)

Der Keyboarder, Saxofonist und Produzent Terrace Martin traut sich da auf seinem neuen Album "Drones" (Sounds of Crenshaw) mehr. Der nimmt die Wärme und das Cruising-Gefühl des kalifornischen Old School Hip-Hop mit einem ganz ähnlichen Jazz-Zugang auseinander. Wobei er neben Glasper Leute wie Kendrick Lamar, Snoop Dogg, Leon Bridges und Kamasi Wasington dazu holt, was dem Album dann eine deutlich härtere Hip-Hop-Linie gibt, als Glaspers "Black Radio 3".

Cover Robert Blue Lab Beats "Motherland Journey". (Foto: Label)

Noch eine Schleife mehr dreht in London derzeit das Duo Blue Lab Beats, das gerade sein wunderbares Debütalbum "Motherland Journey" (Blue Note) herausgebracht hat. MKOK und Mr DM sind schon länger als Produzentenduo in Studios dieser Welt an der Arbeit. Und weil sie sich diesem Jazzansatz nun wiederum handwerklich aus dem Maschinenpark annähern, verstehen sie sich auf das buchstäbliche Fusionieren ganz hervorragend. Da gibt es diese melancholischen Schlurfgrooves aus dem Old School der amerikanischen Ostküste. Das ist A Tribe Called Quest und De La Soul sehr viel näher, als die sonst so allgegenwärtigen Vorbilder Herbie Hancock und Weather Report. Man hört ihrem Album aber auch an, dass London Afrika sehr viel näher ist als Amerika. Afrobeat-Superstar Ghetto Boy aus Accra zählt da zu den Gästen, eine Archivaufnahme von Fela Kuti blitzt auf. Da sind die Schnittmengen sehr viel größer. Was bleibt ist ein Album, das Begriffe wie World Music und Afrofusion zu verklemmten Versuchen reduziert, eine Musik zu beschreiben, die sehr lässig aus einer nicht nur musikalischen, sondern auch geografischen Offenheit strahlt.

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Alles kein Jazz? Genau. Da ist die Musik schon sehr viel weiter, als die Debatte, die gerade wieder um die Grammys herum entbrannt ist, welche Musiker in welchen Genres nominiert werden dürfen. Auslöser Jon Batiste und Curtis Jones, die mit improvisierten Stücken für Klassik-Grammys nominiert sind. Und die einzige Antwort auf die Frage, was Kunst darf, nur sein kann: Na alles, Leute. Mit ganz großem A.

Eine Playlist mit Ausschnitten aus den Jazz-Alben der Kolumnen und Texte aus den SZ-Feuilletons im Januar und Februar findet sich auf Spotify hier .

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