Süddeutsche Zeitung

Jazz:Fremdkörper Konzertflügel

Das Genre hat sich Cameron Graves selbst ausgedacht: Thrash Jazz. In seiner Heimat Kalifornien wird das Wortgebilde Assoziationen wecken.

Von Andrian Kreye

Wenn man in Kalifornien aufwächst, ist Thrash Metal der ideale Soundtrack für die Geschwindigkeitsräusche der ebenda groß gewordenen Sportarten Surfen, Skaten, Biken. Warum sollte das für einen konservatoriumsgeschulten Jazzpianisten wie Cameron Graves anders sein? Mal davon abgesehen, dass die Musik von Bands wie Metallica, Anthrax oder Sepultura mit ihren Beschleunigungen und Wendungen ähnliche handwerkliche Klippen darstellt wie Klaviersonaten von Beethoven oder Etüden von Ligeti. Deswegen also: Thrash Jazz. Graves hat sich das Genre-Portmanteau für seine Musik ausgedacht, die mit seinem Quartett Wirkungen erreicht, die den oben genannten Bands sehr ähneln. Womit er sich auf seinem zweiten Album "Seven" (Mack Avenue) in eine extreme Nische schiebt, weil so ein Konzertflügel für Metal-Fans ein Fremdkörper bleibt und Metal für Jazz-Fans wirklich eine Gewöhnungssache.

In Deutschland konnte man Graves in den letzten Jahren ein paar Mal live hören, weil er als eines der Gründungsmitglieder des "West Coast Get Down"-Kollektivs mit seinen Weggefährten auf Tour war. Noch besser als im Schlepptau des Saxofonisten Kamasi Washington kam Graves' Virtuosität in der Band des Kontrabassisten Miles Mosley zur Geltung. Da saß er dann in Lederweste mit Headbanging-Mähne am Flügel und perlte mit der Rechten Linien aus seinem Instrument, die selbst im größten Kraftakt noch eine hochkomplexe Emotionalität und musikalische Tiefe transportierten.

Respekt vor Metal und Progrock

Die Wunderkinderkammer aus dem südlichen Los Angeles ist vor allem wegen des Wegbereitertums des Saxofonisten Kamasi Washington bekannt. Mit dem spielte Graves schon im Studium. Der Schlagzeuger Billy Higgins, der mit Ornette Coleman und als Hausdrummer beim Blue-Note-Label Jazzgeschichte geschrieben hat, förderte das Quartett, in dem die damals noch naseweisen Jungs aus den Scherbenvierteln beeindruckend virtuose Musik spielten. Neben Washington und Graves waren das damals die Bruner-Brüder. Ronald war am Schlagzeug, Stephen, der als Thundercat Karriere machen sollte, am Bass. Berührungspunkte zwischen Jazz und dem ganz harten Rock gab es schon bald. Ronald spielte für die Suicidal Tendencies und für Stanley Clarkes Band, der auch Graves zu sich holte. Clarke hat selbst immer wieder mit Hardrock experimentiert. Und überhaupt. Genregrenzen. Was für eine kleinbürgerliche Kleingeistigkeit.

Viel Vorgeschichte, aber die gehört dazu, um das Ausnahmealbum "Seven" einzuordnen. Beispiele, wie sich Jazzmusiker den Rock vornehmen, um mal was echt Witziges zu machen oder sich einfach nur anzubiedern, gibt es viel zu viele. Aber Graves setzt sich mit dem Thrash Metal und dem Progrock mit allgrößtem Respekt auseinander. Da wird nix gecovert, nix parodiert. Und er rettet sich auch nicht in die Sicherheit eines Keyboards, das mit dem Triple-Drumming seines ehemaligen Stanley-Clarke-Band-Kollegen Mike Mitchell oder den Hochgeschwindigkeits-Verkantungen des Gitarristen Colin Cook sehr viel leichter mithalten könnte. Es ist aber nicht nur Kraftmeierei, wenn er im Soundbrausen dieser Band auf dem Flügel bleibt. Es ist die Eroberung neuer Möglichkeiten, auch auf einem so feinsinnigen Instrument ein Maximum an Brachialem zu erzeugen. Das ist viel zu interessant für die Nische.

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