Jazz:Mitbestimmung per App

Jazz: Und wer ist jetzt dran? Das Publikum bestimmt bei "Tin Men and the Telephone" mit, wer das nächste Solo spielen soll.

Und wer ist jetzt dran? Das Publikum bestimmt bei "Tin Men and the Telephone" mit, wer das nächste Solo spielen soll.

(Foto: Tin Men and the Telephone)

Die Konzerte des Amsterdamer Trios "Tin Men And The Telephone" sind interaktiv. Wer will, kann sich in der Unterfahrt mit dem Smartphone sogar in die Kompositionen einmischen

Von Oliver Hochkeppel

Um den Konzertgenuss zu steigern, ist die bislang beste Smartphone-Funktion immer noch - der "Off Button". Ansonsten wird so mancher Auftritt durch lästige Klingeltöne - gerne an den besonders ruhigen Stellen - gestört, und in Popkonzerten sieht man mitunter die Bühne durch das Meer aus nach oben gereckten Smartphones nicht mehr. Selbst Popstars, die in Hallen spielen, bitten inzwischen darum, das Handy wegzustecken, zuletzt ließ der Rockmusiker Jack White sie sogar am Einlass konfiszieren. Andererseits gibt es kein anderes Gerät, das so extensiv und von allen genutzt wird und derart den Stand unserer Zeit symbolisiert.

Manche dem Zeitgeist zugetane Künstler haben deshalb aus der Not eine Tugend gemacht und die Handy-Präsenz aktiv in ihr Programm einbezogen. Coldplay zum Beispiel ließen sich von Brian Eno eine App schreiben, die eine passende Begleitmelodie wiedergibt, wenn die Band den Song "Hypnotized" spielt. Es dürfte allerdings bislang nur eine Gruppe geben, die eine App zum integralen Bestandteil der Show gemacht hat: Tin Men And The Telephone aus Amsterdam.

In München kennt man das Jazztrio mit Tony Roe an den Tasten, Pat Cleaver am Bass und Jamie Peet am Schlagzeug, seit sie 2014 im Finale des BMW-Welt-Jazz-Awards standen, der "Sense of Humour" als Motto hatte. Schon damals konnte jeder im Publikum, der ihre App geladen hatte, interaktiv ins Konzert eingreifen, beispielsweise das Instrument auswählen, dass das nächste Solo spielen sollte. Der Schwerpunkt lag allerdings noch auf witzigen Videos, aus Fußball-Kommentatoren-Zitaten oder dem Muhen von Kühen zusammengesampelten Stücken oder einem eigens für den Finalauftritt gedrehten kuriosen Zeitraffer-Clip über die Anreise aus Amsterdam.

Beim aktuellen Programm "World Domination" haben die drei die Sache deutlich verfeinert und erweitert. Die von Mark Marijnissen designte App "Tinmendo" zeigt nun jeden Beitrag der Eingeloggten und erlaubt, von Tony Roe am Laptop gesteuert, direkten Einfluss auf die Abfolge des Abends, bis hin zum Mitkomponieren von Stücken. Was natürlich nur klappt, weil die drei Musiker exzellente Improvisatoren sind, für die es keine Stil- und Genregrenzen gibt. Ihr High-Tech-Multimedia-Musiktheater-Spektakel ist verrückt, spannend, innovativ, sehr lustig und auch noch politisch engagiert. Denn ein zentrales Element ist ein "Schweinerennen" der Populisten, Autokraten und Diktatoren von Trump und Le Pen bis Erdoğan, bei dem das Publikum bestimmt, wer musikalisch abgewatscht wird.

Für den Auftritt von Tin Men And The Telephone am Freitag in der Unterfahrt gilt also: unbedingt Smartphone oder Tablet mitnehmen, am besten schon vorher die App "Tinmendo" laden (unter tinmenandthetelephone.com) und in der Unterfahrt den Gastzugang zum Wlan erfragen. Wer nicht smartphont, hat hier nur halb so viel Spaß.

Tin Men And The Telephone, Freitag, 18. Mai, 21 Uhr, Unterfahrt, Einsteinstraße 42

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