Süddeutsche Zeitung

Jazz:Liebste Dinge

Lesezeit: 2 min

Jazz als Trost: Brad Mehldau gab das vorerst letzte Konzert, das in der Elbphilharmonie stattfindet, die frühestens Ende Mai wieder bespielt werden soll. Er verließ sich an diesem Abend weitgehend auf die tröstliche Wirkung des "Great American Songbook".

Von Jan Paersch

Dinge, welche die meisten Menschen unter Quarantäne vielleicht nicht gleich vermissen werden: Regentropfen auf Rosen, Katzenschnurrhaare, cremefarbene Ponys. Und ganz sicher nicht: Türklingeln. Weiß ja keiner, wer darauf schon seine Viren verteilt haben mag. Maria von Trapp zählt alle diese liebsten Dinge in Liedform auf, als sie während eines Gewitters sieben Kinder aufzuheitern versucht, festgehalten im wundervoll kitschigen Musical-Film "The Sound of Music". Das Lied ist natürlich "My Favorite Things", gesungen von Julie Andrews. Durch den gänzlich unsentimentalen John Coltrane wurde es zum Jazzstandard.

Brad Mehldau hat dieses Stück viele Male gespielt. Zuletzt brachte der Pianist eine fulminant gewittrige Version auf seiner Box "10 Years Solo Live" heraus. Und nun wird der Rodgers-and-Hammerstein-Klassiker für einige Zeit der letzte Song bleiben, der in der Hamburger Elbphilharmonie erklungen ist, am 12. März gegen 21:20 Uhr. Von "neun Wochen Pause" spricht Intendant Christoph Lieben-Seutter in seiner Einführung des Brad Mehldau Trios. Offiziell herrscht in Hamburg nur bis Ende April Kulturverbot, doch plant man im Opernhaus offenbar erst ab Ende Mai wieder. Mehldau jedenfalls betritt die Bühne, dem Anlass angemessen, ganz in schwarz. Äußerlich ist ihm nichts anzumerken, auch in seinen Anmoderationen streift er die aktuelle Situation nur kurz, doch seine Songauswahl spricht Bände. Der US-Amerikaner spielt in den knapp achtzig Minuten, während denen ihm die treuen Mitmusiker Larry Grenadier am Bass und Jeff Ballard am Schlagzeug beiseite stehen, kaum Eigenes.

Es ist das unzerstörbare Repertoire des Great American Songbooks, auf das sich der Pianist in schweren Zeiten verlässt: Filmsongs wie "I Concentrate on You" und "When I Fall in Love", dazu Sonny Rollins' "Airegin". Viele Balladen, perfekt, aber zurückhaltend interpretiert. Die Soli fallen knapp aus, die typischen Mehldau-Meditationen erscheinen nur in gezügelter Form.

Bis das Trio für die Zugaben erscheint. "Fairytales can come true" croonte Frank Sinatra einst in "Young at Heart". Brad Mehldau spielt den Song nur selten live, doch nun wirft er alles hinein, und so feinfühlig und bluesig, wie er das tut, möchte man wirklich glauben, dass uns allen ein Wunder bevorsteht. Die Hamburger sind begeistert, und als Ballard, Grenadier und Mehldau schließlich "My Favorite Things" beginnen, wissen alle, was es ist, dass sie unter der Kultur-Quarantäne vermissen werden: die heilende Kraft von Blues und Jazz, und dieses besondere Zusammengehörigkeitsgefühl, das nur bei intensiven Live-Konzerten entsteht. Doch zunächst bleibt nur die Erinnerung. Wie sang es Julie Andrews: "When I'm feeling sad/I simply remember my favorite things/And then I don't feel so bad".

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4845047
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 16.03.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.