Jazzkolumne:Titan aus Texas

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Breites Kreuz, kantiges Gesicht, die Armmuskeln mit Tätowierungen übersät: James Francies, Jazzpianist, aus Texas. (Foto: Shervin Lainez/Blue Note/Universal)

Der Pianist und Keyboarder James Francies denkt in Großformaten und hat ein sehr eigenes Verhältnis zu seinem Instrument.

Von Andrian Kreye

Hin und wieder tauchen junge Musiker auf, mit denen die Älteren unbedingt spielen wollen, weil deren Energie und Ideen ihre eigene Musik noch einmal vollkommen verändern. Der Pianist und Keyboarder James Francies ist so einer. 25 Jahre alt, in Houston aufgewachsen und schon vom Auftritt so, wie man sich einen Titan aus Texas vorstellt. Breites Kreuz, kantiges Gesicht, die Armmuskeln mit Tätowierungen übersät. So wuchtig ist auch sein Spiel, mit dem er schon auf dem Flügel und erst recht auf den Keyboards großformatige Klänge erzeugen kann, die an cineastische Panorama-Schwenks erinnern. Und die jeden Mitmusiker mitziehen in diese Weite.

Es wirkt fast, als hätte Francies eine etwas andere Wahrnehmung seines Instruments als die meisten anderen. Linke und rechte Hand sind zwar auch bei ihm Harmoniegeber und Solist, aber sie scheinen an einem gemeinsamen großen Projekt zu arbeiten. Auf seinem neuen, zweiten Soloalbum "Purest Form" (Blue Note) hört man das beispielsweise in Nummern wie "Levitate" oder "713" sehr gut. Streng genommen sind das Klaviertrio-Stücke. Der Flügel wird nur leicht von Keyboardklängen unterstützt. Die rechte Hand spielt die Linien und Motive in einem solch wellenförmigen Fluss, dass sie fast wie im Puzzlespiel in die Harmonien greifen. Und weil Jeremy Duttons Schlagzeug diesen Fluss immer wieder mit "broken beats" aufbricht, mit jenen kantigen, überdrehten Rhythmen aus dem britischen Clubgenre, die seit einiger Zeit im Jazz eine neue Rhythmusdimension öffnen, kann das Stück hinten raus auch so selbstverständlich in ein Synthesizer-Fusion-Solo übergehen oder die Rhythmik immer wieder neu sortieren.

"Purest Form", das zweite Album von James Francies (Foto: Blue Note)

"Purest Form" ist ein grandioser Zweitschlag. Francies findet hier noch deutlicher seine eigene Sprache und seine eigenen Formen als auf seinem Debüt "Flight", das ihn vor drei Jahren beim Publikum etablierte. "Purest Form" geht mit dem Weg, ein Jazzalbum mit dem Ansatz eines Hip-Hop-Produzenten anzugehen, noch konsequenter um. Das Album mäandert sehr viel mehr durch die Stimmungen und Stile. Gesangsnummern mit klarem Halt im R'n'B der Gegenwart gehören da genauso dazu wie die Ausflüge in die überkandidelte Fusion der späten Siebzigerjahre. Ohne die eigene Linie zu verlieren. Und in welcher Liga ihn seine Plattenfirma Blue Note ansiedelt, zeigen die Gastauftritte der beiden Jungstars Immanuel Wilkins am Altsaxofon und Joel Ross am Vibrafon.

Zu Francies' gesamtheitlicher Wahrnehmung seines Instruments gehört aber auch eine Fähigkeit, die es vor allem in den Sechzigerjahren bei den großen Hammond-Organisten gab. Das ist die Gabe, mit Pedalen oder auch mit der linken Hand wie ein Bassist zu spielen. Die Basslinien, die Francies live und im Studio sowieso produziert, machen den Bass im Ensemble fast überflüssig. Oder ganz. Wie in den beiden Formationen, für die ihn zwei Stars zu sich holten.

Chris Potter "Sunrise Reprise" (Foto: Edition Membran)

Die eine ist das Trio des Saxofonisten Chris Potter. Der Mann, der Ideen auf Langstrecke wie ein Vulkan aus seinem Instrument sprudeln lassen kann, passt perfekt zu den Aufwallungen in Francies' Spiel. Auf seinem neuen Album "Sunrise Reprise" (Edition Membran) hebt Potter seine Zusammenarbeit mit Francies noch einmal auf eine neue Ebene. Er lässt den jungen Keyboarder dominieren.

Nun bietet sich das an. Zum ersten Mal holte er sich Francies vor zwei Jahren für sein Album "Circuits" ins Studio. Da experimentierte Chris Potter erstmals offensiv mit der oft so belächelten Fusion. Für einen Virtuosen ist diese Tour de Force durch Kaskaden von Rhythmus- und Harmoniewechseln eine grandiose Herausforderung. In Francies hat er den idealen Gegenpart gefunden. Gemeinsam schrauben sie sich in wahre Sturmfronten der Musikalität. Da ist schon einiges an handwerklicher Kraftmeierei dabei. Aber wer sich davon nicht abschrecken lässt und auch keine Scheu davor hat, den Staffellauf der Ideen zu verfolgen, wird großen Spaß an dem Album haben.

Pat Metheny "Side Eye NYC" (Foto: Modern Music/Universal)

Außer dem Star Chris Potter hat nun auch Superstar Pat Metheny den jungen Texaner entdeckt. Der hat sogar ein Konzeptensemble um ihn herum konstruiert. Side Eye nennt sich die Gruppe, die mehr ein Metheny-Francies-Duo mit einem Netzwerk kompatibler Schlagzeuger wie Marcus Gilmore oder Joe Dyson ist. Im September erscheint das erste Album "Side Eye NYC (V1.IV)" (Modern Recordings). Das Eröffnungsstück "It Starts When We Disappear" ist mit einer Länge von fast einer Viertelstunde das ideale Vehikel für Metheny und Francies, um zu zeigen, welchem Klangideal sie da auf der Spur sind. Live in New York aufgenommen ist das Album eine Aktualisierung von Metheny-Klassikern wie "Bright Size Life" und "Turnaround" mit ein paar neuen Kompositionen, die allesamt beweisen, dass Metheny hier sein neues Alter Ego gefunden hat.

Ähnlich wie mit seinem langjährigen Weggefährten und Keyboarder Lyle Mays, der im Februar vergangenen Jahres starb, ergänzt sich das Gefühl von Weite in Methenys Spiel und Kompositionen ideal mit Francies' Ansatz vom musikalischen Großformat. Das Album muss noch mal genauer durchleuchtet werden, aber eines ist sicher: Es ist sowohl für Metheny als auch für Francies ein Höhepunkt ihrer Diskografie. Metheny entfernt sich damit noch ein Stück weiter von seinem Image als harmoniesüchtiger Sonnyboy. Er klingt aber vor allem zeitgemäßer als sonst. Für Francies ist es der Schritt aus der Riege der "Young Lions" mit ihrer Hip-Hop-Sozialisierung in die erste Liga. Da gehört er auch hin.

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