Süddeutsche Zeitung

Jazz:Intuition und Neugier

Ein berauschender Abend: das Julian Lage Trio in der Unterfahrt

Von Ralf Dombrowski

Es ist erstaunlich, wie sehr sich Musiker verändern können. Vor wenigen Wochen erst war der Bassist Jorge Roeder mit Shai Maestro in München und empfahl sich an der Seite des Pianisten als volltönender, aber auch gestalterisch dezenter Begleiter, der vor allem einen Gruppensound fundamentierte. Ganz anders im Trio des Gitarristen Julian Lage. Hier wird er zum impulsgebenden Bestandteil kollektiver Energie, die auf der Basis eines fortwährenden kommunikativen Austauschs sich zu musikalischen Höhenflügen potenziert. Es ist das Team, was zählt, und dazu gehört auch der Schlagzeuger Eric Doob. Er ist keiner von den Beckenstreichlern, sondern bevorzugt einen kraftvollen, trommelgeprägten Ton, bleibt aber in der Lage, mit dieser tendenziell rockigen Klangvorstellung das leise Dynamikspektrum differenziert abzubilden.

Damit hat Julian Lage Partner, die es ihm ermöglichen, seine bisherigen Stilfestlegungen aufzubrechen. Denn der 28-jährige Musiker aus der Bay Area von San Francisco hatte sich während seines ersten Profi-Jahrzehnts auf die Eleganz des modernen Mainstreams mit einer Prise Folk in den Wurzeln spezialisiert. Er war einer der Youngster im edlen Zwirn, dessen gestalterische Geschmackssicherheit gleich Größen wie Gary Burton oder Pat Metheny dazu veranlasst haben, ihn unter ihre Fittiche zu nehmen. Inzwischen ist ihm ein Bart gewachsen und quasi parallel dazu hat er seine halbakustische Manzer Custom in den Koffer gepackt und nimmt stattdessen die herbe, rockerprobte Telecaster zur Hand, wenn auch aus der Perspektive des Puristen.

Julian Lage verzichtet dabei auf die kosmetische Behandlung des Instrumentalklangs und verlässt sich ausschließlich auf das, was er kann und was die Kombination mit der Röhrenästhetik seines Fender Reverbs möglich macht. Gerade in dieser Reduktion besteht eine der Grundlagen seiner Meisterschaft. Denn Lage beherrscht das Spektrum von der feinen, balladenhaften Melodienbildung, den zarten, gedämpften, filigranen Mustern bis hin zur verzerrten, ekstatischen Toneruption. Und es fällt auf, wie beiläufig er wichtige Stilerrungenschaften vorangegangener Persönlichkeiten in das eigene Ausdruckssystem integriert. Von John Abercrombie übernimmt er eine solistische Vorliebe für Single-Note-Linien, bei John Scofield hat er sich klanglich inspirieren lassen und knüpft an dessen Spaß am spröden Sound an. Jim Hall steht als Vorbild für Phrasierung und Harmonisierung Pate, Bill Frisell als Modell für country-folkige Färbungen, Alan Holdsworth als Vordenker von Ausflügen in die Abstraktion.

Über die Ahnengalerien hinaus findet Lage einen eigenständigen Weg, seinen Platz im Stilgefüge zu definieren. Man hört ihm die zur Triebfeder gewordene Intuition an, seine Neugier, selbst innerhalb einer Figur ständig Neues auszuprobieren. Das macht die Musik so grundlegend frisch und den Abend zu einem Konzert des Jahres.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2016
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