Dem Jazz ging es noch nie richtig gut, aber auch nie richtig schlecht. Seine Geschichte ist geprägt von einem Auf und Ab des Respekts, den ihm die Gesellschaft entgegengebracht hat. Wer den Entschluss fasst, sich hauptberuflich mit Jazz zu beschäftigen, weiß, worauf er sich einlässt. Ein Leben in Wohlstand ist nahezu ausgeschlossen und die Chance in Würde alt zu werden eher gering. Warum entwickelt sich diese Musik aber stetig weiter und strahlt offensichtlich eine so starke Faszination aus?
Es sind im Wesentlichen zwei Faktoren, die dem Jazz immer wieder neues Interesse zuführen. Zum einen ist es der Wunsch seiner Hörer, sich von anderen zu unterscheiden. Es ist zum Beispiel immer nur einer aus einer Schulklasse, der Jazz hört - bestenfalls. Auch wenn die Grenze zum Pop fließend ist, und der Jazz mehrheitsfähige Produkte wie Keith Jarretts "Köln Concert" anbieten kann, ist die Intention der Macher in der Regel künstlerisch motiviert. Die Bemühung ein Publikum zu erreichen, kommt erst an zweiter Stelle.
Den anderen, viel nachhaltigeren Grund liefert aber die Musik selbst. Keiner anderen darstellenden Kunst gelingt es so wie dem Jazz, aus dem Stand heraus einmalige, nicht wiederholbare künstlerische Leistungen zu schaffen. Diese Musik, die vor über hundert Jahren von freiwilligen und unfreiwilligen Migranten aus Europa und West-Afrika im Süden der USA erfunden worden ist, bringt die besten Voraussetzungen mit, Neues und Fremdes in sich aufzunehmen. Es gibt geradezu einen Durst nach permanenter Erneuerung, der diese Musik gegen jede Form von Intoleranz resistent macht. So erleben Musiker und Zuhörer im Mikrokosmos Jazz ein Generationen übergreifendes Gemeinschaftsgefühl einer besseren, gerechteren Welt.
Um diesem Ideal als Künstler zu entsprechen, bedarf es einer außergewöhnlichen Begabung, einer perfekten Beherrschung des Instruments und des permanenten Trainings. So sind Jazzmusiker darauf angewiesen, möglichst oft, sowohl mit ihrer "working band" als auch in ständig wechselnden Besetzungen vor Publikum aufzutreten. Nur durch das live Spielen können sie ihre künstlerischen Ergebnisse verbessern. Leider steht dieser Leistungsbereitschaft der Künstlerschaft ein eher defensives Interesse unserer Gesellschaft gegenüber.
Kaum Geld im "System Jazz"
Während in der klassischen Musik die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage mit öffentlichen Subventionen geschlossen wird und die Pop-Musik als Angebot-/Nachfrage-System funktioniert, verfügt der Jazz weder über die eine noch die andere Finanzierungsquelle. Mit anderen Worten: Es ist so wenig Geld im "System Jazz", dass damit noch nicht einmal ein kleiner Kreis von Musikern und Funktionären seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. So sind es die Musiker selbst, die den Jazz durch ihren Honorarverzicht subventionieren und ihm damit ein Überleben sichern.
Noch schlimmer steht es um die Produktivkräfte um die Musiker herum. Hier existiert in der Bundesrepublik eine zufällige Anordnung von selbsternannten Jazzexperten, von denen einige sogar die wenig hilfreiche These vertreten, dass nur ein leidender Jazzmusiker ein guter Jazzmusiker ist. So untermauern sie mit ihrem Tun nicht selten die Erkenntnis, dass "gut gemeint" das Gegenteil von "gut" sein kann.
Neben den Jazz-Redakteuren der ARD-Hörfunkanstalten, die ausnahmslos auf hohem Niveau für die Vermittlung dieser Musik wirken, gibt es allenfalls eine Handvoll Personen, die als Veranstalter oder Kuratoren vom Jazz als Kunstform leben können. Bei den Tonträger-Produzenten sieht es kaum besser aus. Und mir ist kein Journalist bekannt, der ausschließlich vom Schreiben über Jazz leben könnte. Wie aber soll eine Kunstform ihre positive Wirkung entfalten, wenn es an der Infrastruktur fehlt?
Von einer solch schlechten Finanzausstattung ist jedoch nicht nur der Jazz, davon sind fast alle zweckfreien, zeitgenössischen Kunstformen betroffen. Hier lässt die öffentliche Hand in der Bundesrepublik eine unverständlich große Lücke. Tatsächlich besteht keine Balance zwischen der Förderung unseres kulturellen Erbes und der Förderung neuer Kunstformen. So stehen den 84 Opernhäusern in Deutschland gerade einmal vier kommunal unterstützte Spielstätten gegenüber, die überwiegend Jazz und Improvisierte Musik veranstalten können.
Damit ist die Forderung nach einer besseren finanziellen Ausstattung für den Jazz auch nicht ein bloßes Schielen nach öffentlichen Subventionen, sondern berührt die grundsätzliche Frage, wo und warum die öffentliche Hand korrigierend in Markt-Prozesse eingreift, und wo und warum sie es unterlässt. Sollte der Tag kommen, an dem mehr Geld in das System Jazz fließt, bleibt eine weitere Frage unbeantwortet: Wer entscheidet, was guter Jazz ist, was also gefördert werden soll, und was nicht? Die Tatsache, dass jemand ein Instrument beherrscht und gerne vor Publikum auftritt, rechtfertigt noch lange nicht den Anspruch, dafür auch öffentlich alimentiert zu werden.
Hier greift nur ein sehr komplizierter Mechanismus, der Jahre benötigt, um funktionieren zu können. Wie es geht, haben uns die skandinavischen Länder, und hier vor allen Dingen Norwegen, vorgemacht. Mit ihrem Vermittlungsprojekt "Kulturelle Skolesekken" (Kultur-Rucksack), mit dem Kinder und Jugendliche regelmäßig über die Schulzeit verteilt von professionellen Künstlern mit allen Formen künstlerischen Schaffens spielerisch in Berührung gebracht werden, ist ein Publikum herangewachsen, das gelernt hat, künstlerische Codes zu entschlüsseln und zu unterscheiden, was gute Kunst und was sehr gute Kunst ist.
Dies hat inzwischen auch die Politik in Deutschland erkannt und beginnt zu reagieren. Ebenfalls positiv ist, dass immer mehr Musiker ihren Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe und Akzeptanz formulieren. In den USA haben immer mehr Musiker erkannt, dass Jazz eigentlich der ideale Soundtrack der Occupy-Bewegung ist. Und auch hier in Deutschland formiert sich eine neue Generation von Jazzmusikern, die pragmatisch und frei von Ressentiments sind.
Diese Musiker, von denen die besten auf Augenhöhe mit der Weltspitze agieren, könnten zu einem entscheidenden Faktor für eine Neubewertung des Jazz in Deutschland werden. Und diese Musiker werden all den Städten, die ein Opernhaus betreiben, zu Recht die Frage stellen, ab wann sie bereit sind, sich auch für die Entwicklung des Jazz und der Improvisierten Musik einzusetzen.
Der Autor ist künstlerischer Leiter des Moers-Festival und Programmchef im Kölner "Stadtgarten".