Süddeutsche Zeitung

Jazz in Deutschland:Mindestgage für Musiker?

2000 Dollar für ein Visum, um in den USA zu spielen: Deutsche Jazz-Musiker haben es schwer, mit der internationalen Konkurrenz mitzuhalten. Deshalb fordern sie in einem offenen Brief verbesserte Arbeitsbedingungen. Nicht alle Vorschläge, die sie darin äußern, erscheinen aber sinnvoll.

Karl Lippegaus

Wie sang schon Jack Teagarden 1933? "I Gotta Right to Sing the Blues" - Ich habe ein Recht darauf den Blues zu singen. "Kann es sein, dass Jazzmusiker zu viel jammern?", stand neulich in einem Blog. Nein, es war lange still im deutschen Jazz, aber jetzt regt sich vor allem bei jungen Künstlern Protest. Noch nie gab es so viele gut ausgebildete Musiker, die im internationalen Vergleich mithalten können, doch die Infrastruktur bedarf einer Runderneuerung. In Berlins Clubszene spielen Gruppen für 50 Euro Gage, lassen den Hut herumgehen oder gehen leer aus. Es fehlt an Spielstätten, Proberäumen und bezahlbaren Studios.

"Die Generation, die zwischen uns und den jungen Leuten lag, hat alles wie Dornröschen verschlafen", sagt der Saxofonist Peter Brötzmann aus Wuppertal. Anfang der siebziger Jahre gehörte er mit Albert Mangelsdorff zu den Gründern der Union deutscher Jazzmusiker. "Wir haben wenigstens den Anschluss an die gesetzliche Krankenversicherung geschafft, für uns gab es ja nichts. Leider wurde die UDJ danach eine kleine bürokratische Vereinsangelegenheit."

In einem temperamentvollen offenen Brief an die Kulturbeauftragten von SPD, Linken und Grünen hat er kürzlich darauf hingewiesen, dass sich "die Spielsituation für avantgardistische Musik" seit den achtziger Jahren kontinuierlich verschlechtert habe. Über zweitausend Musiker unterschrieben zuletzt eine Petition an den neuen Berliner Senat. Die in Berlin lebende Pianistin Julia Hülsmann gehört mit dem Saxofonisten Felix Falk zu den Initiatoren eines "JazzMusikerAufrufs", der seit Dezember über Facebook auf die Misere hinweist und regionale Initiativen zusammen mit der reformierten UDJ bündeln will. Auch in Köln, Mannheim und Darmstadt regt sich wachsender Jazzer-Protest.

"Von allen Seiten wurde klar, dass Jazzmusiker keine Lust mehr haben, still vor sich hin zu leiden", sagt Hülsmann. Eine wichtige Einladung zu einem Festival nach Seattle scheiterte für ihr Trio daran, dass eine Arbeitserlaubnis 2000 Dollar gekostet hätte. Auch Peter Brötzmann sieht in seinem Brief hier ein merkwürdiges Ungleichgewicht. Eine ähnliche Hürde gebe es für amerikanische Musiker in Europa nicht.

Kunst in einem kapitalistischen System

Bei Gesprächen mit Kollegen während der Jazzahead-Messe 2011 in Bremen, so Julia Hülsmann, hätte jeder gesagt: "Wir müssen was tun!" Zwar gebe es die Bundeskonferenz Jazz und ein German Jazz Meeting, das deutschen Jazz einem internationalen Publikum nahe bringen soll. Aber Felix Falk sagt: "Die BK-Jazz hat als Zusammenschluss von den ganz verschiedenen Playern im Jazz - Labels, Veranstalter, Musiker, Medien - nichts mit dem JazzMusikerAufruf zu tun. Sie war bislang nur die einzige Initiative auf Bundesebene. Jetzt geht es ganz konkret um die Musiker."

Zu den Unterzeichnern des Aufrufs gehört auch Gunter Hampel, der seit einem halben Jahrhundert auch als Jazz-Pädagoge aktiv ist. "Mich beeindruckte, dass er forderte: 'Wir müssen versuchen, das Publikum wieder zu gewinnen'", sagt Julia Hülsmann, "was er selbst schon bei seinem Musikunterricht für Kinder versucht. Man muss früh anfangen, Kindern eine Idee davon zu vermitteln, was Jazz ist. Dass sie sofort erfahren, wer Charlie Parker war, ist nicht so wichtig, wie die Freiheit im Ausdruck zu erleben und den kreativen Umgang damit."

Im JazzMusikerAufruf steht die Forderung nach einer Mindestgage, die Höhe ist noch unbestimmt. Bei diesem Thema muss Brötzmann, der bereits Solidarität signalisiert hat, allerdings lachen: "Wir leben in einer kapitalistischen Welt. Und da geht es nun mal um Marktwert. Wir sind früher auch für 50 Mark zu einem Gig nach Berlin gefahren und kamen ohne einen Pfennig zurück. Wer in diesem Business bestehen will, muss investieren: nicht nur in Zeit und körperlicher Präsenz, auch finanziell." Er finanzierte sich seine ersten Alben mit einer Arbeit als Werbegrafiker. "Sich nur abzusichern - da kommt keine Musik zustande." Spielstätten mit kompetenten Betreibern zu fordern, die technisch auf dem neuesten Stand sind, hält aber auch er für dringend nötig.

Ein echtes Problem sei das überalterte Jazzpublikum in Deutschland - anders als in Russland, Polen, USA oder Japan. "Meine Freunde machen ja schon Witze, dass ich wieder alle Opas im Saal persönlich kenne." Die Altersarmut bei Jazzmusikern, die sich überall fatal auswirke, spürt Brötzmann besonders bei seinen Reisen in die USA und dort speziell bei den Afroamerikanern. Wer im Straßengraben gelandet sei, dem müsse geholfen werden.

Julia Hülsmann und Felix Falk vom JazzMusikerAufruf sind der Ansicht, dass schon viel früher etwas getan werden muss. Deshalb würden jetzt die Musiker selbst ihre Stimme erheben. Es gebe schließlich eine spannende Jazzszene in Deutschland, was ein wichtiger Ausgangspunkt für die Initiative sei: Jazzmusik aus Deutschland, die es wert ist, gehört zu werden. "Ich bin mir sicher, dass es ein Publikum für Jazz gibt", sagt die Pianistin, "ich glaube nur, dass zu wenige von dieser Musik wissen. Und das kann man mit verschiedenen Mitteln ändern."

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Quelle:
SZ vom 3.1.2012/mahu
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