Mit ihren Sonnenbrillen, Afrofrisuren und fundierten Kenntnissen progressiver Philosophie waren die Mitglieder der amerikanischen Schwarzenbewegung Black Panther Party immer eine ideale Vorlage für Guerillaromantik. Der zu Recht vielfach preisgekrönte und oscarnominierte Politthriller "Judas and the Black Messiah" (von 1. Juli an im Kino) beschreibt diese Welt ziemlich realistisch. Denn trotz der maoistischen Parolen hatten die Ziele der Panthers Ende der Sechzigerjahre auch einen eher sozialdemokratischen Kern. Die zentralen Punkte des Parteiprogramms waren Bildung, Ernährung, Gesundheit und Wohnraum. Nur das Auftreten und die Mittel der politischen Arbeit waren - oft gezwungenermaßen - radikal. Es gibt Musik, die das widerspiegelt. Jazz vor allem.
Im Soundtrack arbeiten der Filmkomponist Mark Isham und der Jazzmusiker Craig Harris mit dem Titelsong des Albums "The Inflated Tear", das der Saxofonist Roland Kirk im revolutionären Jahr 1968 veröffentlichte. Das zieht sich als Leitmotiv in erstaunlich gelungenen symphonischen Arrangements durch den ganzen Film. Kirk war zwar ein Außenseiter. Er trug gerne mal ein Barett wie die Panthers, spielte mehrere Saxofone und Flöten gleichzeitig und schrieb Stücke mit sozialkritischen Titeln wie "Volunteered Slavery" oder "Blacknuss". Musikalisch war er aber kein Radikaler. Er coverte gerne Filmmusik und Schlager, was man seinen eigenen Stücken anhörte. Auch "The Inflated Tear" ist vom Kaliber Ohrwurm.
Das macht im Kontext die Geschichte des Labels Black Jazz so interessant, dessen Katalog gerade vom Liebhaberlabel Real Gone Music Stück für Stück wieder aufgelegt wird. Der Pianist Gene Russell gründete die Firma 1969 in Oakland, jenem Städtchen auf der anderen Seite der Bucht von San Francisco, das an der Westküste einen ähnlichen Status als inoffizielle Hauptstadt des schwarzen Amerika hatte wie Harlem im Osten. Und wo Bobby Seale und Huey P. Newton drei Jahre zuvor die Black Panther Party gegründet hatten.
Russells erklärtes Ziel war es, ein Label für afroamerikanische Musikerinnen und Musiker zu betreiben, die Musik für ein afroamerikanisches Publikum spielten. Das war musikalisch oft braver als die Avantgarde, die vom Bildungsbürgertum gefeiert wurde. Das "Powerhouse"-Album des Organisten Chester Thompson, der später sein Geld bei Tower of Power und Santana verdiente, klang beispielsweise wie viele dieser Orgelgruppen, die damals in den Bars der Schwarzenviertel zur Unterhaltung und zum Tanz aufspielten. Ein wenig muskulöser vielleicht mit den zwei Bläsern Al Hall an der Posaune und Rudolph Johnson am Saxofon. Es groovt auch wirklich ausnehmend gut, doch das einzig Radikale war die Panther-Pose Thompsons auf dem Cover.
Überhaupt war die Corporate Identity recht kämpferisch. Einheitliche Cover, die aussahen wie politische Broschüren, ein Logo mit zwei verschränkten schwarzen Händen, das auch auf einem Banner funktioniert hätte, dazu Bilder der Musikerinnen und Musiker, die das neue Selbstbewusstsein ausstrahlten, als ginge es nicht um Jazz, sondern um den Kampf. Der Gitarrist Calvin Keys sieht auf dem Foto von "Shawn-Neeq" mit seiner schweren elektrischen Gitarre aus wie ein Revolutionär. Er spielt aber dann doch nur exzellenten Jazzrock und eine eher sommerliche Version von Thelonious Monks "Criss-Cross". Dass Plakat und Soundtrack-Cover des "Judas"-Filmes so deutlich an die Black-Jazz-Platten erinnern, kann allerdings kein Zufall sein.
Sicher gab es auch politische Musik. Die Gruppe The Awakening aus Chicago präsentierte sich als Kollektiv und schrieb Stücke wie "March On" und "When Will it Ever End". Das bleibt alles im Groove, liefert noch einmal politische Fußnoten zum Modal Jazz. Und auch der Pianist Doug Carn, der mit "Infant Eyes" die allererste Platte des Labels herausbrachte, stand für einen Black Nationalism, der hinter den Ostinati-Basslinien und dem eher spirituellen Gesang seiner Frau Jean Carn nur zu deutlich aufblitzte. Gerade auf diesen Platten, die keine Erwartungshaltungen eines letztlich doch weitgehend weißen Jazzpublikums bedienen mussten, zeigte sich der fast schon bürgerliche Kern der Bewegung. Für die schwarzen Nationalisten zwischen Oakland, Chicago und Harlem war es eben sehr viel souveräner, Jazz als die klassische Musik ihrer Kultur zu verstehen, als sich auf eine Avantgarde einzulassen, die in der Basis keinen Halt finden würde.
Vier Jahre lang gab es das Label, dann zerstritt sich Russell mit dem Geldgeber Dick Schory. Der war ein weißer Schlagwerker, Arrangeur und Dirigent, der seine Karriere im Space Age Pop begonnen hatte, jener hyperkitschigen Orchestermusik, die als Hintergrundmusik in Cocktailbars und Steak-Restaurants für gute Laune sorgen sollte. Der Streit zwischen Schory und Russells Erben dauert bis heute an. Was blieb, sind zwanzig Alben, die den vermeintlichen Widerspruch zwischen Kampfgeist und bürgerlichen Träumen von damals in der Musik deutlicher machen, also so manche historische Betrachtung.