Süddeutsche Zeitung

Jazz:Ansteckende Spielfreude

Helmut Nieberle prägt als Gitarrist und Lehrer die Regensburger Musikszene. Nun gibt es zwei neue CDs von ihm

Von Claus Lochbihler, Regensburg

Manchmal gibt es den Gitarrenlehrer, bevor es Schüler gibt. Zum Beispiel in Regensburg im Jahr 1980: Richard Wiedamann, Doyen der aufsprießenden Jazzszene in der Donaustadt, Leiter einer privaten, bald städtischen Musikschule, lädt Helmut Nieberle zu einer Session ein. Nieberle spielt, Wiedamann hört - und macht ein Angebot: Wenn er als Gitarrenlehrer arbeiten möchte, könne Nieberle sofort nach Regensburg kommen. Schüler gebe es zwar noch keine, aber die würden sich schon finden.

Fast 40 Jahre später sitzt Helmut Nieberle - Jahrgang 1956, ergraute Prinz-Eisenherz-Frisur, gepflegter Bart und eine Stimme, die manchmal sanft schwäbelt - an einem runden Tisch. Acht Gitarren verteilen sich über das hohe Zimmer in der Regensburger Altstadt, die meisten davon nicht sechs-, sondern siebensaitig, Nieberles Spezialität. An den Wänden hängen Ukulelen, schräg gegenüber das markant rote Cover von Nieberles erstem "Cordes Sauvages"-Album von 1983. In der Mitte dieses Musiksalons ein runder Tisch, über den so viele Gitarrentöne geflogen sind wie über keinen zweiten, zumindest in Regensburg. Hier gibt Nieberle seine Kunst weiter. Wie viele Schüler es über die vielen Jahre schon waren? Der Gitarrist hat nicht mitgezählt, aber "etwas mehr als ein paar Hundert dürften es schon gewesen sein".

Dass Regensburg nicht nur Dom-, Donau- und Museums-, sondern auch Jazz- und vor allem Jazzgitarrenstadt ist, hat ganz wesentlich mit Helmut Nieberle zu tun, dem Schüler, Fans und Musiker den Spitznamen "Nieb" oder "der Nieb" verliehen haben. Beinahe so, als vertrage ein Musiker, der über die Jahre zu einer Institution und Inspiration des Regensburger Musiklebens geworden ist, keinen schwäbischen Diminutiv. Nieberle-Schüler unterrichten heute Jazz, Jazzgitarre und -arrangement an den Hochschulen in Würzburg (Stefan Degner), Köln und Detmold (David Plate) sowie Nürnberg (Paulo Morello). Oft war es Nieberle, der sie dazu ermunterte, den Jazz und die Gitarre zum Beruf zu machen. Sein neuestes Wunderkind: Etienne Wittich, 15 Jahre alt, mittlerweile Jungstudent in Nürnberg. "Der spielt den Bebop rauf und runter, dass dir nichts mehr einfällt", sagt Nieberle. Aber genauso zufrieden ist er über Schüler, die nicht professionell, aber schön spielen.

Unterrichtet habe er schon immer gern, erzählt Nieberle. "Schon damals in Kaufbeuren, als ich selber noch gar nicht richtig spielen konnte." Seine Methode beschreibt er als Song-orientiert. Es gehe nicht darum, dass ein Schüler alle Akkorde in 25 Umkehrungen kenne. "Sondern darum, schöne Songs auf der Gitarre zu spielen." Wichtig ist ihm, dass sich die Schüler ein Repertoire erarbeiten und nicht nur solieren, sondern auch begleiten können. "Nach all den Jahren weiß ich genau, wo ich bei den Leuten ansetzen muss, wie die ticken, was die brauchen." Manchmal nur einen Duopartner, den Nieberle aus seinem Schülerstamm vermittelt. Oder ein paar Einzelstunden, bevor der Schüler selber weiß, wie es weitergeht. Mit Youtube seien die Möglichkeiten, sich weiterzubilden, schier unbegrenzt. Nieberle selbst hörte seine Vorbilder auf Platten: "Da hat man sich für 22 Mark ein Album von Barney Kessel gekauft und das hat man dann am Plattenspieler rauf und runter gehört. Und immer wieder versucht, genau die Rille zu finden, wo das Solo startet."

Mit Youtube und Spotify hat allerdings auch zu tun, dass sich CDs für einen Jazzmusiker wie Nieberle kaum noch rechnen. Nieberle nimmt sie trotzdem auf, vor allem als Dokumentation für sich selber. Vor Kurzem hat er sein 30. und 31. Album vorgelegt. Auf dem einen ("Tomorrow And Today") brilliert er als Begleiter der Sängerin Jean Gies, auf dem anderen, "Swing Is Here To Stay" (beide CDs bei "Bobtale Records" erschienen), zeichnet er ein musikalisches Selbstporträt.

Zu entdecken gibt es den Komponisten Helmut Nieberle - 14 der 16 Songs sind aus seiner Feder -, der jedes Jahr mindestens einen Walzer ("Le Flaneur") schreibt - "und manchmal auch zwei". Der für Songs, die er sich als melodiöse Jazzstandards vorstellt ("Rainy Afternoon") zuerst einen Songtext schreibt, weil er mit Text einen viel besseren Song komponieren kann - "und dann lass ich den Text wieder weg". Der sich alle paar Jahre ein neues Genre erschließt, weil er zwar Jazzgitarrist ist, aber deswegen noch lange kein Jazz- oder Gitarrenpurist ("Chorinho A Moda Da Casa"). Und der den Jazz als ein Medium der Freundschaft pflegt und deswegen Freunden - etwa dem US-Gitarristen Howard Alden ("The Jazzguitar Player") oder Manfred Rehm vom Birdland-Club in Neuburg ("Valse A Chef") - Songs widmet. Nieberle jongliert mit den Genres, kombiniert sie und übersetzt den alten Standard "Pennies From Heaven" in "Bitcoins From Hell". Bei seinem Lieblingsfisch bedankt er sich musik-kulinarisch mit "Skarpina", beim Lieblingsfilm mit 42 Sekunden "Monsieur Hulot". Mit von der swingenden Partie: Sven Faller am Bass und Schlagzeuger Scotty Gottwald. Und an der Gitarre Paulo Morello. Einer, der mal als Nieberle-Schüler angefangen hat. Wie könnte es anders sein.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2019
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