Jay Z und Beyoncé auf Tour:Wie die Clintons

Jay Z, Beyoncé

Mit solchen Sachen haucht man der Ehe neuen Pfiff ein: Jay Z und Beyoncé auf ihrer gemeinsamen Tour.

(Foto: AP)

Sie will noch was, er hat schon: Jay Z und Beyoncé vollbringen auf ihrer Tour Kunststücke an Überparteilichkeit. Damit könnten die beiden mächtigen Musiker in den USA Wahlen gewinnen.

Von Peter Richter, East Rutherford

Im Stau vor dem Lincoln Tunnel wird im amerikanischen Talk Radio folgende Frage verhandelt: Who's got a dumb face and bedroom eyes? Wer hat ein dummes Gesicht und gleichzeitig einen Schlafzimmerblick? In Führung liegen Jay Leno, der Talkshow-Moderator, und Vin Diesel, der, na ja, Schauspieler; es werden im Halbminutentakt von den Anrufern neue Prominente ins Spiel gebracht, wirklich jeder, der Rang und Namen hat in den USA. Nur ein Name fällt nicht: der von Jay Z, dem Rapper. Warum eigentlich nicht? Angst? Und zwar vor Beyoncé, der Sängerin?

Was, wenn Jay Z und Beyoncé in Wirklichkeit Barack und Michelle Obama wären? Was, wenn Jay Z und Beyoncé in Wirklichkeit die Obamas SIND: das Top Power Couple, das mächtigste Ehepaar der Welt, so steht es geschrieben, wo immer man hinguckt. Und von dem Titelbild des diesjährigen Time Magazines über die einflussreichsten Menschen der Welt schaute Frau Beyoncé Carter-Knowles und nicht etwa America's First Gemüsegärtnerin oder gar deren Mann, der grau gewordene Zauderer von Washington, DC.

Vielleicht sind Jay Z und Beyoncé aber auch eher die Clintons, also noch machthungriger und vor allem reicher. Von einer Ehekrise ist außerdem die Rede, von einem Seitensprung (er), Handgreiflichkeiten im Fahrstuhl (ihre Schwester), heldenhaftem Kampf um die Rettung von Familie und Projekt (sie). Aber auch solche Geschichten haben unbedingt präsidentielles Format. Die beiden arbeiten selbstverständlich daran, das hinzukriegen. Sie fährt jetzt zur Sicherheit einfach mit auf seine Dienstreisen und er auf ihre, Ergebnis: gemeinsame Tour. Ein Eheberater ist angeblich auch immer dabei. Und wir, versteht sich.

We the Bridge-and-Tunnel People: Wir kommen mehrheitlich aus Brooklyn, durchaus auch aus den ungemütlicheren Teilen davon, wir sind über die Brücken gerollt, haben Manhattan lahmgelegt, damit da auch mal was los ist, und drücken uns jetzt durch die Röhren nach Jersey, rein in dieses schöne, reiche Land mit seinen Autobahnkreuzen, Fabriken, Industriekanälen und dem nagelneuen Metlife Stadium in East Rutherford, wo normalerweise die Giants oder die Jets spielen, immer im Wechsel, und nur heute ist es praktisch so, als wären beide gleichzeitig da, denn heute gehört der Riesenladen ganz alleine dem größten Giganten des Hip-Hop und der mächtigsten Luftdüse des R&B.

Auf dem Parkplatz bauen wir erst einmal den Hochleistungsgrill auf und legen Würste drauf, Bier und Knabberzeug ist im Kofferraum, die offenstehenden Autotüren zittern unter den Beats aus den eingebauten Lautsprechern. Sehr gut zu essen und zu trinken gibt es auch auf jedem der drei umlaufenden Ringe des Stadions. In dem Reich, das die Familie Carter-Knowles regiert, muss keiner Durst oder Hunger leiden. Cheese-Steaks, Hot Dogs, Italian Sausages, Steak Sandwiches für 15 Dollar, die extraüppig besoßte Ladung Nachos für zehn, zuckerbunte Frozen Drinks oder Biere von Bud light bis Holsten für zwölf: Es wird so unter anderem auch sichergestellt, dass Mädchen, die sich das reinschaufeln, nie die Figur von Beyoncé haben werden, und Jungen, die das zahlen müssen, nie das Bankkonto von Jay Z. Abstand halten ist nämlich nicht nur in der U-Bahn wichtig, sondern auch für die Aura.

"This is not real life"

Außerdem wird hier im Vorfeld, praktisch als Ouvertüre, der ganze Materialismus von Paarbeziehungen greifbar, von dem Beyoncés Werk schon handelte, als die noch in der Görenband Destiny's Child Spottgesänge auf Jungs trällerte, die sich ein Mädchen wie sie am Ende finanziell leider doch nicht leisten können ("Bills, Bills, Bills"). Nur die Allergrößten rührten je so direkt an den wirklichen Geheimnissen der Liebe. "And everything she wants costs money" sang zum Beispiel mal Morrissey, aber das war zu Zeiten, als dessen Poeme noch von erinnerbaren Melodien umflort wurden, also leider nicht auf seiner aktuellen Platte.

So eine Eintrittskarte zu Jay Z und Beyoncé muss man sich zum Beispiel auch erst einmal leisten können und wollen. Karten für die Bereiche, wo zumindest theoretisch die Chance besteht, eine ausgestreckte Hand von einem der beiden Künstler im singenden Vorbeilaufen abgeklatscht zu bekommen, kosteten zuletzt um die 8000 Dollar. Für bisschen was unter 150 kann man da nicht mehr verlangen als die drittletzte Reihe im gesamten Stadion. Aber das sind natürlich trotzdem tolle Plätze, schön luftig, und was man sehen muss, wird ohnehin auf großen Bildschirmen übertragen. So ein Konzert ist dann ein bisschen wie Fernsehen ohne die Möglichkeit umzuschalten. Währenddessen um einen herum: Bulimie ohne die Möglichkeit zu erbrechen. (Die Schlangen vor den Toiletten sind leider zu lang.) Vorne auf der Leinwand zum Glück aber folgender Hinweis: "This is not real life."

So sitzen wir, von den Fresstabletts auf dem Schoß in die Sitzschalen gepresst, und warten darauf, dass Beyoncé kommt und nein, nicht tanzt, sie tanzt ja eigentlich nicht, sondern: die Fitness-Studio-Moves vormacht, mit denen man sich diese Kilos wieder aus den Beinen stampfen und schütteln könnte - wenn man denn könnte und nicht in einem Stadionsitz klemmte.

Mit jeder Minute des Konzertes wird klarer: Das sind wirklich die Clintons

Bevor aber Beyoncé kommt, kommt zuerst eine Werbung für ein Parfum von Beyoncé, und dann eine Art Filmtrailer mit Beyoncé: sie als Bonnie, ihr Mann als Clyde, gefilmt im Stil der Nouvelle Vague, ein Pärchen macht sich mit der Kohle anderer auf und davon, so etwas schweißt natürlich besser zusammen als jede Eheberatung.

Sind die Bulimikerinnen und ihre werktätigen Freunde auf den Rängen deswegen sauer? Im Gegenteil. Kreischender Jubel. Und dann sieht man sie: Er trägt Einbrechermütze und Sonnenbrille, sie hat noch den Strumpf vom Banküberfall über dem Kopf. Aber sie kann das tragen, denn sie kann alles tragen. Beyoncé sieht so gut aus, dass sie sogar gut aussieht, wenn sie unvorteilhaft angezogen ist. Wenn Beyoncé mal ihren Spiegel fragen würde, wer die Schönste ist im ganzen Land, dann würde der zwar womöglich Rihanna sagen, aber Rihanna ist auch aus Barbados, und Ausländer können in den Vereinigten Staaten weder Präsident noch Königin werden. Außerdem hat Rihanna einen Stylisten, der sie in durchsichtigen Märchenroben auf Galaempfänge schickt.

Beyoncé dagegen sah man auf einem Blitzlichtfoto des mitleidlosen Juergen Teller neulich einen untaillierten Postsack von Miu Miu für 7300 Dollar tragen und trotzdem noch super aussehen. Beyoncé hat offensichtlich keinen Stylisten; sie hat sich ihre Sachen stattdessen lange von der eigenen Mutter herauslegen lassen, mit der sie das Label "House of Dereon" betrieb. Wenn sie sich heute bei Modehäusern wie Givenchy bedient, bleibt sie diesem Stil meistens treu und findet selbst dort Dinge, die immer noch aussehen wie von Mutti. Das sind family values, und das ist volksnah, ihre Fans folgen ihr modisch mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln jedenfalls aufs Wort.

An diesem Abend nun trägt Beyoncé tatsächlich aber überwiegend Dinge, mit denen Frauen manchmal versuchen, ihren Ehen, wie man dann so sagt, neuen Pfiff einzuhauchen. Wie auch immer die amerikanische Entsprechung zu Beate Uhse heißen mag: Die Sachen sehen aus, als wären sie in diskreten Päckchen zugestellt worden. Jay Z steht da in seinem dunkeleleganten Hip-Hop-Casual mit einer prächtigen Bürgermeisterkette um den Hals und freut sich, zusammen mit seinen 80 000 besten Kumpels aus dem Großraum New York, an dem Anblick.

Wenn diese Show wirklich ein Abbild ihrer Künstlerehe sein sollte, dann kann man sich in den ersten paar Stücken eigentlich keine große Sorgen machen: alles wie bei anderen Leuten auch. Man könnte sagen: Sie ergänzen sich. Nach einer Weile könnte man aber auch sagen: Sie fallen einander ins Wort. Und noch ein wenig später gehen sie überwiegend ihre eigenen Wege. Mal steht er alleine auf der Bühne herum wie einer, der seiner alten Gang klarmachen will, dass er immer noch der harte Junge ist, der er mal war, auch wenn er jetzt das Kind windeln und den Müll runterbringen muss. Dann wieder kommt sie mit ihren Kammerzofen aus den Kulissen und übt rhythmisches Hofknicksen, als ob sie eine Einladung in den Buckingham Palace in der Post gefunden hätte.

Musikalisch wirkt das so, als wären seine Stücke die Strophen und ihre der Refrain, er macht brummelnd Text, sie bläst artistisch Emotion darüber. Paartechnisch entspricht das den Zuständen, die mit einem Wetterhäuschen dargestellt werden. Ikonologisch wiederum hat er beinahe etwas von den angeleimten Oberarmen der Angela Merkel, wenn er seine Texte runterrasselt, dafür bläst bei ihr jedes Mal ein Wind von unten her durch die schlangenhaft wirbelnden Haar-Extensions, dass man fast den Eindruck haben muss, sie oder der Mann am Gebläse hätten allen Ernstes Aby Warburg gelesen, den Aufsatz über das "bewegte Beiwerk", über die von der Antike her wehenden Winde in den Kleidern und Haaren der Venus von Botticelli: Denn Schaumgeborene, Mänade und Nymphe, das alles ist Beyoncé natürlich auch immerzu.

Das sind die Clintons

Und politisch? Es wird mit jeder Minute klarer: Das sind wirklich die Clintons - sie will noch was, er hat schon. Er erzählt praktisch die ganze Zeit von früher. Sie macht Pläne für morgen.

Wie Bill Clinton hat sich Jay Z ein erkleckliches Vermögen zusammengeredet über die Jahre. Clinton bekommt für eine Stunde Vortrag, sagt man, 250 000 Dollar. Jay Z. ist mit seinen Ansprachen in der Regel nach drei Minuten durch, er spricht aber auch schneller; das Honorar wird ähnlich liegen.

Bei ihm geht es um geschlagene Schlachten, gehabte Affären, gelebtes Leben, ihr geht es: um Macht.

Während Hillary Clinton eine neue Präsidentschaftskandidatur zwar noch nicht ankündigt, sich dafür aber überall schon einmal warmlächelt, beschießt Beyoncé ihren Anhang, hier auch den ihres Mannes, mit feministischen Zitaten der Dichterin Chimanda Ngozi Adichie, und sie bringt Freundinnen-Tröster wie "All the Single Ladies (Put a Ring on It)", worin Männer generell aufgefordert werden, sich festzulegen, und zwar idealerweise vor dem Schaufenster eines Juweliers.

Die Eloge im Time Magazine auf Beyoncé stammte übrigens von niemand anderem als Sheryl Sandberg, Chief Operating Officer bei Facebook und Ideologin eines Trickle-Down-Feminismus, der den Frauen dieser Welt am liebsten Leute wie sie selbst als Vorbild empfiehlt: Frauen, die Mutterschaft und Chefsessel mit hartem Leistungswillen unter einen Hut kriegen.

Die Frauen rund um die drittletzte Stadionreihe machten nicht unbedingt den Eindruck, als ob es bei ihnen an Mutterschaft und Leistungsfähigkeit hapern würde, höchstens vielleicht am Chefsessel, aber als Jay Z zwei Stunden nach Konzertbeginn seiner Frau mitten bei ihrer Arbeit, dem Hoch- und Runtersingen anspruchsvoller Tonleitern, ein Küsschen gab, da drang von diesen hinteren Plätzen her ein Jubel in den Himmel über East Rutherford wie manchmal bei einem Touchdown der Giants nicht.

Intime Szenen einer Kleinfamilie

Sex gerne reichlich, aber bitte in der Ehe, Feminismus, aber mit libertärem Leistungsdenken, und wenn einer glaubt, Drogenhandel sei der Weg, dann lasst euch von meinem Mann erzählen, auf welchen Wegen man wirklich zum Multimillionär wird: Das Ehepaar Carter-Knowles hat da etwas geschaffen, das im Prinzip von den Ghettos in Brooklyn bis in den konservativen Bible Belt anschlussfähig ist. Mit solchen Kunststücken an Überparteilichkeit könnte man in den USA tatsächlich Wahlen gewinnen. Nur wirklich linke Die-hard-Feministinnen murren manchmal, sie wüssten nicht, ob Beyoncé wirklich das ideale Vorbild für kleine Mädchen sei. Aber die gehen halt auch nicht ins Football-Stadion.

Hier sieht der Endstand so aus, dass Beyoncé ihren Mann noch einmal rankommen lässt; sie singt sein Lied "Young Forever", das ja in erster Linie das Lied "Forever Young" der deutschen Band Alphaville ist. Die unsichtbare Musik aus dem unsichtbaren Orchestergraben - die Aufhebung der Band durch das Band, die doppelte Verneinung Wagners durch den Hip-Hop - spielt, wie den ganzen Abend schon, unaufdringliche Stützbeats dazu. Auf den Bildschirmen sieht man die intimsten Szenen aus dem Fotoalbum der Kleinfamilie Carter-Knowles: Ringe-Anstecken, Nachtclubs in Paris, Badeferien auf einer Yacht, Spielen mit der gemeinsamen Tochter Blue Ivy, zwei Jahre alt, vor weißer Villa aus tausend und einer Nacht. Darauf die Abschlussmitteilung: This is real life. Das ist das echte Leben.

Und wir kippen, beglückt und erleichtert, die Nacho-Schalen und die Bierbecher in den Müll, stehen am Klo an, an den Rolltreppen, vor den Ausgängen, und setzen uns in unsere Autos und kriechen in zähen Staus zurück in unser falsches.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: