Süddeutsche Zeitung

Jay-Z im Gespräch:Ali war ein Angeber

Jay-Z ist einer der erfolgreichsten Rapper aller Zeiten und über eine halbe Milliarde Dollar schwer. Seine Texte schreibt er nie auf. Ein Gespräch über Kunst, Pointen und Obama.

Jens-Christian Rabe

Shawn Corey Carter alias Jay-Z gilt als einer der einfluss- und erfolgreichsten Rapper der vergangenen zehn Jahre. Für viele gehört er sogar zu den fünf bis zehn besten Rappern aller Zeiten. Von 2004 bis 2007 war er zudem CEO des wichtigen, zum Major Universal gehörenden Hip-Hop-Labels Def Jam. Sein elftes Studioalbum "The Blueprint III" (Roc nation/Atlantic) ist soeben erschienen. In Amerika steht es, wie jedes seiner letzten acht Alben, auf Platz eins der Billboard Charts.

SZ: Mr. Carter, Lemmy Kilmister, der Chef der britischen Hardrockband Motörhead, wurde einmal gefragt, ob Rock'n'Roll Kunst ist.

Jay-Z: Ah! Und was hat er geantwortet?

SZ: Er hat sehr bestimmt bestritten, das Rock etwas mit Kunst zu tun hat. Es sei vielmehr ein Gefühl zwischen den Beinen.

Jay-Z: Hah! Und jetzt soll ich sagen, ob Rap Kunst ist?

SZ: Ist Rap Kunst?

Jay-Z: Wenn alles richtig gemacht wird, ist es Dichtung. Eine extrem dichte Form, um Gefühle zu vermitteln. Rap formuliert die Unsicherheiten, die Angst, die Ambitionen und die Hoffnungen einer ganzen Generation, deren vorherrschender Eindruck war, übergangen worden zu sein.

SZ: Und wie würden Sie Rap technisch erklären?

Jay-Z: Als Synkopierung von Wörtern. Als eine bestimmte Art Wörter zu Sätzen zusammenzufügen, dabei aber nicht das Thema aus dem Auge zu verlieren. Wenn es richtig gemacht wird, zeichnet Rap ein synkopierter linearer Gedanke aus, der über einen Beat gesprochen wird. Es klingt dann plötzlich sehr einfach, aber im Grunde ist es eine Kunstform, die nicht viele Menschen beherrschen. Bei neun von zehn Menschen endet der Versuch, zu rappen, in einem Desaster.

SZ: Sie gelten als einer der originellsten Rapper der Gegenwart. Wie arbeiten Sie?

Jay-Z: Ich lese eine Menge Bücher über alles mögliche. Und ich höre grundsätzlich genau zu. Ich habe keinen Highschool-Abschluss und nie ein College besucht, das meiste habe ich mir also selbst beibringen müssen.

SZ: Verfolgen sie die Nachrichten?

Jay-Z: (wie aus der Pistole geschossen) Ich lese die New York Times und die New York Daily News. Die New York Post lese ich nicht. Zuviel Klatsch.

SZ: Oh, wirklich? Verzeihen Sie bitte, aber als Mitarbeiter eines so in Frage stehenden Mediums, muss ich dann natürlich auch noch fragen, ob Sie das regelmäßig tun? Wir hören ja ständig, dass es nicht mehr allzu viele Menschen gibt, die vollkommen selbstverständlich Zeitung lesen?

Jay-Z: Ich bin Abonnent.

SZ: Ist das nicht viel zu altmodisch für Sie?

Jay-Z: (lacht) Ja, aber ich mache ja auch noch ganz altmodisch komplette Alben.

SZ: Wie lange dauert es, bis Sie einen neuen Rap geschrieben haben? Wie muss man sich diesen Prozess vorstellen?

Jay-Z: Schwer zu sagen. Manchmal dauert es einen Tag, manchmal einen Monat. Man kann das nicht kontrollieren. Wann etwas wirklich fertig ist, weiß man als Autor ja ohnehin nie ganz genau.

SZ: Aber Sie setzen sich gezielt hin und denken über einen Rap für einen Song nach?

Jay-Z: Ich höre natürlich dauernd Phrasen, die ich gut finde, die einen guten Songtitel ergeben könnten. Aber wenn es ernst wird und das Album entsteht, dann sitze ich im Studio, höre mir die Musik so lange an, bis ich eine Idee davon habe, was ich sagen möchte.

SZ: Notieren Sie ihre Texte?

Jay-Z: Nein, niemals. Ich sitze herum, denke nach und wiederhole meine Formulierungen, immer und immer wieder. Und füge immer mehr dazu, bis ich einen kompletten Gedanken habe.

SZ: Vergisst man so nicht auch ständig etwas?

Jay-Z: Ununterbrochen. Mir sind schon Myriaden von Zeilen verloren gegangen. Vielleicht waren diese Gedanken aber auch einfach noch nicht dafür bestimmt, gehört zu werden.

SZ: Verändern Sie bei Konzerten ihre Texte?

Jay-Z: Nicht absichtlich. Wenn ich ein neues Album zum ersten Mal aufführe, ist es allerdings immer schlimm. Habe sie die MTV Video Music Awards gesehen? Da habe ich bei "Empire State" Wörter durcheinander gebracht. Auch bei meinem Auftritt in der Jonathan Ross Show. Es ist noch zu neu für mich.

SZ: Haben Sie als so etwas wie ein professioneller Wort-Akrobat eigentlich ein besonders intimes Verhältnis zu Sprache? Was denken Sie wenn Sie eine irgendwo eine gute Pointe hören?

Jay-Z: Habe Sie eine für mich?

SZ: Hm. In einer großen Szene der TV-Serie "Mad Men", sagt einer der Hauptfiguren beim Dinner in einem Restaurant zu einer Vereherin: "What you call love was invented by guys like me to sell nylons" - Was Sie Liebe nennen, haben Leute wie ich erfunden, um Nylon-Strumpfhosen zu verkaufen.

Jay-Z: Großartig! Es liegt eine ganz eigene Schönheit in solchen Zeilen. Es ist wie eine gelungene Metapher im Rap. Man denkt sofort: Ja, genau so muss es sein! Es geht aber genauso um doppelte und dreifache Bedeutungen von Formulierungen und versteckte Referenzen, die manche Hörer vielleicht erst Jahre später entdecken.

SZ: Nehmen wir einmal etwas von Ihrem neuen Album. In "Venus Vs. Mars" heißt es: "I'm from the Apple / Which means I'm a Mac / She's a PC / She lives in my lap". Da läuft ja einiges zusammen.

Lesen Sie weiter, was Jay-Z von Muhammad Alis Angeberei und Obamas rhythmischer Art zu Sprechen hält.

Jay-Z: So ist es wenigstens gedacht. Wenn ich eine Idee habe, versuche ich sie aufzuladen. "She Lives In My Lap" ist ja auch ein Song von Andre 3000, den er mit Rosario Dawson für "The Love Below" gemacht hat. Die Frage ist immer, wie man eine gute Zeile, noch besser machen kann.

SZ: "Venus Vs. Mars" endet mit der Zeile: "We used to make out / Kissin' each other's face off / Fell for the Ponzi Scheme / Damn Shawty just Madoff".

Jay-Z: Yeah! Es geht in dem Song darum, möglichst originell zu sagen, dass ich auf eine Dame hereingefallen bin. Es heißt in dem Rap auch "Shawty got fed up". "Fed up" ist hier natürlich im eigentlichen Sinn gemeint. Shawty hatte es also satt. Es spielt aber auch auf Britney Spears' Ex-Mann Kevin Federline an und deren wüste Trennung. Die ganze Sequenz lautet dann entsprechend: (rappt) "Shawty got fed up / Shawty got Britney / Shaved her whole head up", so wie es eben die verzweifelte Britney damals tat. Im besten fall ist Rap so subtil, dass er einen, wenn man es bemerkt, trifft wie Schlag.

SZ: Eine Menge ihrer Reime lassen sich allerdings auch als relativ konventionelle Angeberei lesen. Was unterscheidet guten Rap von Angeberei?

Jay-Z: Der Unterschied zwischen Angeberei und, sagen wir, Ehrgeiz ist sehr gering, das stimmt.

SZ: Sie haben das immer im Hinterkopf?

Jay-Z: Naja, die Leute sollen einen ja nicht für einen Hochstapler halten. Ich habe etwa behauptet, dass ich Dreifach-Platin-Platten bekommen werde, bevor ich eine einzige Platin-Platte hatte. Es hätte wie Angeberei klingen können, aber es klang nicht so. Später bekam ich die Platin-Alben.

SZ: Glück gehabt.

Jay-Z: Nein, nein. Ich habe mir nur ein Ziel gesetzt. Muhammad Ali ist dazu vielleicht ein gutes Beispiel. Er kam und behauptete: Ich bin wunderschön, ich bin großartig, ich bin toll! Niemand hatte sich bis dahin so etwas getraut. In Amerika herrschte ja noch Rassentrennung. Ali traute sich und gab so einer ganzen Generation von Afroamerikanern neues Selbstbewusstsein. Er war ein Angeber, aber er war klug, er wusste was er mit seiner Angeberei tat.

SZ: War Ali der erste große Rapper?

Jay-Z: Natürlich. Er hatte nicht allzu viel Material, aber er war gut.

SZ: Was dachten Sie als Rapper, als Sie zum ersten Mal Obama reden hörten?

Jay-Z: Ich war sehr beeindruckt von seiner rhythmischen Art zu Sprechen. Er synkopierte gut. Es schien als hätte er sich darüber einige Gedanken gemacht. Ein Mann des Wortes.

SZ: Könnte er Rapper werden?

Jay-Z: Hm. Das könnte schwierig werden. Es ist wirklich nicht leicht, wenige haben das Zeug dazu.

SZ: Und wenn er etwas übte, kommen Sie, immerhin ist er Barack Obama!

Jay-Z: (lacht) Ja, stimmt, das ist er. Was nehm' ich mir hier eigentlich raus.

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Quelle:
SZ vom 26.9.2009/jab
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