Schriftsteller Javier Marías:Wild und sentimental

Schriftsteller Javier Marías: Der spanische Schriftsteller Javier Marías ist im Alter von 70 Jahren gestorben.

Der spanische Schriftsteller Javier Marías ist im Alter von 70 Jahren gestorben.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Er begegnete dem Fußball nicht nur mit Respekt, sondern mit aufrichtiger Faszination. Mit dem Schriftsteller Javier Marías ist ein großer Fußballfeuilletonist gestorben.

Von Javier Cáceres

Es gibt einen Aphorismus von Javier Marías, der bei fußballfeuilletonistischen Debatten im spanischsprachigen Raum immer wieder aufs Neue zitiert wird: "Der Fußball ist die allwöchentliche Wiedererlangung der Kindheit." Vor ein paar Wochen schlug der Versuch fehl, Marías zu einem Artikel über ebendiesen Aspekt zu gewinnen, aus einem Anlass, der perfekt dazu gepasst hätte: das Supercup-Spiel zwischen Eintracht Frankfurt und Real Madrid. Denn wenn es ein Kindheitserlebnis gab, das Marías unvergesslich wurde, dann erklärtermaßen das legendäre Europapokalfinal der Landesmeister von 1960, welches er im Elternhaus im Schwarz-Weiß-Fernseher gesehen hatte, wie er aus anderem Anlass erzählte. 7300 Zeichen über ein 7:3? Er müsse sich auf einen neuen Roman konzentrieren, ließ Marías ausrichten.

Das war allein deshalb bedauerlich, als er stets durch ein sehr persönliches Prisma auf den Fußball schaute und dabei den Blick für das Essenzielle, den Fußball an sich also, nie verlor. Er war alles andere als der erste Schriftsteller, der dem Fußball nicht nur mit Respekt, sondern mit aufrichtiger Faszination begegnete, weil er doch Epik, Ethik und Ästhetik vereinigt, für jedermann erlebbar und erfahrbar macht. Eduardo Galeano, Osvaldo Soriano, Mario Benedetti, Roberto Fontanarrosa, Eduardo Sacheri, die Liste ist gerade im spanischsprachigen Raum lang (und diese unvollständig).

Wild und sentimental, damit fand Marías eine der besten Definitionen für den Fußball, findet der Weltmeister von 1986 Jorge Valdano

Vielleicht aber war Marías derjenige, der die größte Plattform hatte und dadurch an Wucht gewann: Die Zeitung El País, für die er mit einer gewissen Regelmäßigkeit Kolumnen über Fußball schrieb, vor allem vor großen Finals, und erst recht vor den Clásicos, den Duellen zwischen Real Madrid und Barça, die zuvor literarisch aufgeladen wurden. Durch Marías einerseits und den vor langer Zeit verstorbenen Krimiautor und Barça-Sympathisanten Manuel Vázquez Montalbán andererseits. Das war nicht nur für den Leser, sondern auch für Real Madrid ein Segen. Marías hatte dem Narrativ Barça als dem symbolischen, unbewaffneten Heer Kataloniens eine eigene literarische Stimme entgegenzusetzen, die der - verkürzten - These vom Real Madrid als Klub des Franco-Regimes energisch widersprach. Und doch war Marías alles andere als ein Claqueur. Es gab in der Geschichte Real Madrids kaum Figuren, die er stärker ablehnte als "M+F", wie er sie einmal in einem Artikel nannte: José Mourinho, ein mit Hingabe polemischer Trainer, und Florentino Pérez, allmächtiger Präsident des Klubs.

"Javier Marías war keiner dieser Schriftsteller, die über den Fußball gefällig schrieben. Er benannte, was ihm missfiel", sprach Jorge Valdano am späten Sonntagabend ins Telefon. Und Valdano ist nicht nur deshalb ein guter Kronzeuge, weil er unter "F" Manager gewesen war, sondern weil er sozusagen vom anderen Ufer kam: Der Weltmeister von 1986 wuchs zum wahrscheinlich wichtigsten Intellektuellen heran, wurde nach dem Ende seiner Karriere zu einem der besten Fußballschriftsteller und -deuter. Und eben auch zum Herausgeber eines Sammelbandes namens "Cuentos de fútbol", in dem die wohl einzige Fußballerzählung von Javier Marías enthalten ist.

Wirklich von Belang waren aber Marías' Kolumnen, die in Spanien unter dem Titel "Salvajes y Sentimentales" als Kompilation erschienen. "Es ist eine der besten Definitionen, die man machen kann. Denn der Fußball ist genau das: wild und sentimental", sagt Valdano. In Deutschland wurden sie unter dem Titel "Alle unsere frühen Schlachten" veröffentlicht, herausgegeben vom Journalisten und Schriftsteller Paul Ingendaay, der übrigens enorm viel damit zu tun hat, dass Marías' Werk "Mein Herz so weiß" in Deutschland zum Bestseller wurde: Ingendaay hatte Marcel Reich-Ranicki auf Marías gestoßen, die Begeisterung Reich-Ranickis im "Literarischen Quartett" des ZDF machte aus Marías einen Bestsellerautor. Der Tod von Javier Marías stimme ihn traurig, sagt Valdano. "Es geht ein Schriftsteller, der der Literatur guttat, der Gesellschaft und auch dem Fußball."

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