Javier Marías, einer der bedeutendsten und erfolgreichsten spanischen Schriftsteller der Gegenwart ist wenige Tage vor seinem 71. Geburtstag überraschend gestorben. Das berichtete die Zeitung El País am Sonntag unter Berufung auf Marías' Familie. Er sei einer Lungenentzündung infolge einer Corona-Infektion erlegen, berichtete die ebenfalls in Madrid erscheinende Zeitung El Mundo.
Weltweit hat Marías mehr als neun Millionen Bücher verkauft, seine Werke wurden in 46 Sprachen übersetzt. Vor allem in Deutschland war der Madrilene beliebt. Dabei galt der unbequeme Denker lange als schwer verkäuflich, auch in Deutschland. Bis "Mein Herz so weiß" im Sommer 1996 - rund vier Jahre nach dem Erscheinen der spanischen Fassung - in der TV-Sendung "Das literarische Quartett" unisono mit Lob überschüttet wurde. Der 2013 gestorbene Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki sprach von einem "genialen Buch" und dem "größten im Augenblick lebenden Schriftsteller der Welt".
Der Roman eroberte nach der Sendung und weiteren positiven Kritiken die Bestsellerlisten und verkaufte sich allein in der deutschen Übersetzung 1,2 Millionen Mal. Marías, der Mitglied der Königlich Spanischen Akademie war, freute sich über den Erfolg in Deutschland, wollte aber auch eine kritische Distanz wahren. "Ich bin nicht gut, weil die Deutschen oder andere es sagen." Es gebe ja Schriftsteller, deren Bücher "nur ein paar Tausend Mal verkauft wurden und in die Geschichte eingegangen sind", betonte er vor einem Jahr.
Das Kind einer prominenten Familie wuchs zweisprachig auf und arbeitete immer wieder auch als Übersetzer
Der Autor war das zweitjüngste von fünf Kindern von Julián Marías. Der bekannte Philosoph (1914-2005) saß als Gegner der Franco-Diktatur lange hinter Gittern und musste Mitte der 1950er Jahre für einige Zeit in die USA auswandern. Zu Javier Marías' Geschwistern gehört auch Fernando Marías, der zu den bedeutendsten Kunsthistorikern seines Landes gehört ("El largo siglo XVI"). Javier Marías wuchs zweisprachig auf. Sein erstes Geld verdiente er sich als Kind nicht nur mit Kurzauftritten in Filmen seines Onkels Jesús Franco, sondern auch als Übersetzer. In den 1980er Jahren unterrichtete er an der Universität Oxford. Die Erlebnisse in Großbritannien arbeitete er in dem Roman "Alle Seelen oder Die Irren von Oxford" (1989) auf. Marías' Werk umfasst nicht nur Romane, Essays, Kolumnen und Erzählungen, sondern auch viele Übersetzungen aus dem Englischen.
Marías, der seinen Erzählungen nach im Alter von elf Jahren mit dem Schreiben begann, war immer auch ein Rebell im Literaturbetrieb. Er gewährte äußerst selten Interviews, lehnte Auszeichnungen staatlicher Stellen in Spanien ab - und nahm auch keine Vorauszahlungen an. "Ich würde meine Freiheit verlieren. Und ein Buch, das nicht gelungen ist, nicht in die Schublade stecken können", sagte er zur Begründung.
Sein letztes Buch, der im Frühjahr 2021 in Spanien veröffentlichte Spionageroman "Tomás Nevinson", sei wohl Marías' bestes Werk überhaupt, urteilte damals der Literaturkritiker José Carlos Mainer. Ab diesem Herbst liegt der Roman auch in deutscher Übersetzung im Fischer Verlag vor.
Ein ausführlicher Nachruf auf Javier Marías folgt.