Süddeutsche Zeitung

Comic:Enten kann man nicht verschaukeln

  • Jan Gulbransson ist der wohl bekannteste Walt-Disney-Zeichner und- Texter aus Deutschland.
  • Seit Jahren malt er die Comicfigur Donald Duck, sein "Alter Ego", wie er sie nennt.
  • Schon in seiner Kindheit las Gulbransson Comics. In den Fünfzigern galten diese jedoch noch als "Schund".

Von Astrid Becker

Am Anfang steht das Ende. Für Jan Gulbransson ist das fast so etwas wie ein Gesetz. Er muss sich erst den Schluss einer Geschichte ausdenken, bevor er den Rest für sie ersinnt. In Bild und Text. Jan Gulbransson sitzt an diesem Tag an seinem Schreibtisch unter drei Atelierfenstern. Mitten in Schwabing, direkt am Englischen Garten. Auf einem Schaukelstuhl. Gulbransson hat ein leeres Blatt Papier vor sich. Der Mann, der seit Jahrzehnten für Walt Disney zeichnet und schreibt, braucht nur wenige Minuten, bis er sein Alter Ego Donald Duck auf dem Papier mit Leben füllt.

Gulbransson ist wohl der berühmteste Walt-Disney-Zeichner und -Texter aus Deutschland. Ein mittlerweile 70 Jahre alter Mann, der aber so jugendlich wirkt, als wäre er gerade erst aus seinem Baumhaus in Schwabing heruntergestiegen. Dort, als Kind, hat er sie schon gelesen, die Comics, Donald Duck zum Beispiel. Und irgendwie müssen sie ihn so fasziniert haben, dass er später mit seinen eigenen Werken sogar die Walt-Disney-Entscheider überzeugt. So sehr sogar, dass sie ihn, 2005, als einzigen Deutschen in ihre "Hall of Fame" aufnehmen. Das dürfte an dem enormen zeichnerischen Talent liegen, das wohl in Gulbranssons Genen begründet liegt: Da ist sein Großvater, Olaf Gulbransson, dem am Tegernsee ein ganzes Museum gewidmet ist. Maler war er, Zeichner und Karikaturist, der internationale Berühmtheit erlangte mit seinen Werke in der Satirezeitschrift Simplicissimus. Und da ist auch noch sein Vater, der Architekt und Kirchenbaumeister Andreas Gulbransson, der ebenfalls für großes Aufsehen mit seinen Bauten sorgte.

Gulbransson bestreitet sein ererbtes Talent nicht, wenngleich er nur ungern über seine Familie spricht. Was auf eine schwierige Kindheit schließen ließe, wenn er irgendwann nicht doch über seinen Großvater sagen würde, dass er der "friedlichste und liebenswerteste Mensch" gewesen sei, "eine Sonne, die mit seinem Tod erlosch". Oder über seinen Vater, der ihm "viele Freiheiten gelassen" habe, der "sehr tolerant" gewesen sei. Sogar so tolerant, dass er dem Sohn gestattet habe, Comics zu lesen.

Keinesfalls selbstverständlich in den Fünfzigern. Als "Schund" werden sie angesehen. "1957 wurden sie sogar bergeweise auf öffentlichen Plätzen verbrannt, das muss man sich mal vorstellen: das erste und einzige Mal in Deutschland nach dem Dritten Reich", erzählt Jan Gulbransson, und es ist ihm anzuhören, wie sehr ihn das bis heute bestürzt. Und schon landet er wieder in seiner Kindheit im Baumhaus: In der Nachbarschaft habe ein Mädchen gewohnt, das zu ihm hinaufgestiegen sei, um Comics zu lesen: "Die war zwei Jahre jünger, also richtig klein für mich. Aber sie durfte das zu Hause nie. Das tat mir leid."

Mit dem Mädchen von damals, Lucy Engler-Hamm, sind seine Frau Ulla und er noch heute befreundet. Das kleine Mädchen von einst ist Grundschullehrerin geworden und gibt heute, mittlerweile pensioniert, Kunstkurse an der Münchner Gebeleschule. Dabei geht es um Impressionismus, Expressionismus und sogar Pop-Art, aber bisher nicht um Comics. "Deshalb hab' ich Jan angerufen." Denn Engler-Hamm kann nicht verstehen, warum Comics so verpönt sind. Im Unterricht spielten sie keinerlei Rolle, erzählt sie, "nicht einmal an einer Grundschule": "Dabei lieben Kinder sie, mir ist wichtig, dass sie lesen lernen und Spaß daran finden." Comics könnten einen wertvollen Beitrag dazu leisten. Die Kinder in den drei Kursen, in denen Gulbransson gezeigt habe, wie er arbeite, seien "verzaubert" gewesen, sagt sie, und: "Alle kannten Donald Duck."

Aus der Mode gekommen ist sie also nicht, die Figur Donald Duck trotz ihres hohen Alters. Sie begeistert noch immer. Für Gulbransson nachvollziehbar, wenn er an sein großes und im Jahr 2000 gestorbenes Vorbild Carl Barks denkt, den wahrscheinlich bekanntesten Disney-Zeichner der Welt, der einst, von 1942 an, der Figur ihren Charakter gegeben habe. Anfangs seien diese Comics, wegen ihres Ursprungs im Zeichentrick, noch stark von Slapstick geprägt gewesen, dann aber wandelte sich die Figur zu einer Art "Rebell, einem anarchischen Pechvogel, der sich selbst immer treu ist und heute vermutlich als hochintelligent eingestuft wäre". Einem, der stets um soziale Anerkennung in einem eher konservativ geprägten Gesellschaftssystem kämpfe, aber wegen seines Charakters bisweilen genau die Grenzen dieses Systems ein wenig überschreite. So beschreibt Gulbransson den Donald der Fünfziger, der ihn als Kind prägte, und auch heute den Charakter "seines" eigenen Donalds bestimmt.

Was Gulbransson als Kind kaum gewusst haben dürfte, ist, dass sich die Verleger bereits 1954 im sogenannten Comic Code zu einer Art freiwilliger Selbstkontrolle verpflichtet haben. Barks hält sich daran, doch ein paar wenige seiner Werke werden dennoch nicht veröffentlicht. Ob es daran lag, dass in manchen seiner Geschichten, die er wie Gulbransson nicht nur zeichnete, sondern auch schrieb, mitten im Kalten Krieg leise Kritik am US-Imperialismus oder später am Vietnamkrieg anklang? Oder weil er manchen Berufen wie Anwälten oder Geheimdienstlern nicht den Respekt zollte, den diese erwarteten? Für Gulbransson ist die Antwort auf diese Fragen klar: Für ihn ist Barks kein Kultur- oder Systemkritiker, wohl aber jemand, der die menschliche Natur genau studiert hatte und daher wusste, wo deren Schwächen und Stärken liegen. In jedem Fall ein "liberaler Geist", wie er meint: "Deshalb glaubte ich Barks, den ich 1983 in Amerika besuchen durfte, nie, wenn er sich selbst in Interviews als konservativ und reaktionär dargestellt hat." Das, so Gulbransson, sei vielmehr dem "Zeitgeist" geschuldet, der sich zur "Doris-Day-Zeit", wie er sie nennt, zunehmend breit gemacht habe: "Denken Sie doch an diese biederen Saubermann-Filme, allein das Frauenbild, das sie verkörperte, schrecklich." In dieser Zeit, in den Sechzigern, um genau zu sein, habe sich auch Donald gewandelt, zumindest teilweise, was ihn noch immer ärgere: "Der wurde auch zu so einem konservativen, kleinen Spießer. Gulbranssons Donald ist hingegen einer, der gern Teil des herrschenden Gesellschaftssystems wäre, aber dennoch immer wieder daran scheitert.

Ihm haftet einerseits das Tolpatschige von einst an, andererseits trägt er aber auch sehr empathische, gutmütige und kämpferisch-cholerische Züge. Fällt Donald hin, steht er wieder auf, das, so sagt Gulbransson, halte ihn lebendig. Zensur, wie früher, muss sein Schöpfer nicht fürchten, wenngleich ein paar Walt-Disney-Regeln bis heute gelten: keine Politik, keine Religion, kein Sex. Aber darüber schmunzelt das deutsche Donald-Duck-Hirn nur. Donald laufe doch seit Jahrzehnten halb nackt herum, sagt er, und sei mit Daisy liiert, ohne sie zu heiraten. "In den Bibliotheken in Finnland wurden Donald-Duck-Comics deswegen in den Siebzigern sogar verboten." Dabei gibt es zumindest für die fehlende Hose bei Donald einen rein praktischen Grund: "Donald kommt aus dem Zeichentrick, und Hosen behindern in der Animation, man muss immer auf den Faltenwurf achten, das ist schwierig." Und Daisy? Gulbransson nennt sie eine "Zicke", eine Figur, das ist ihm anzumerken, die nicht gerade seinem Idealtypus einer Frau entspricht. Ein wenig klingt das so, als würde er sich darüber wundern, warum sein Donald noch immer um sie buhlt - was auch Thema in Gulbranssons Geschichten ist, die 2018 in einem Hardcover-Buch erschienen sind. Als eine Art "Best of", wenn man so will. Und allein, dass dies geschehen sei, beweise, "dass ich, anders als Donald, ein Glückspilz bin".

Aber wenn, dann einer, der dafür auch etwas geleistet hat. Vielleicht will Gulbransson auch deshalb ungern über Vater und Großvater sprechen. Weil sich etwas, damals in den Baumhauszeiten in Schwabing, zu oft wiederholt hat: "Ich war noch ein Kind, aber hörte jemand meinen Namen, wurde ein roter Teppich ausgerollt", erzählt er. Dabei habe er zu diesem Zeitpunkt noch keinerlei eigene Leistung erbracht: "Klar, ich wusste früh, dass ich gut zeichnen kann. Und auch an Karikaturen habe ich mich damals gewagt, und ich wäre auch gut geworden." Aber eben kein Olaf Gulbransson, wie er meint: "Als Enkel von Mozart sollte man besser keine Symphonien schreiben." Also ist der berühmte Opa für ihn kein Thema und dessen Beruf schon erst recht nicht. Aber mit Figuren hat er es schon früh: Mit einem guten Freund zieht er ein Marionettentheater auf, die Puppen dafür basteln sie selbst. Und eines Tages - Gulbransson ist noch Schüler - sollte eine neue Kindersendung im Fernsehen entstehen, die auf Handpuppen basierte. Das Fernsehen lädt den Freund zum Vorstellungsgespräch ein, Gulbransson begleitet ihn: "Die hatten etwas mit herkömmlichen Puppen vor, da haben wir gesagt, das ist doch langweilig, wir machen die Puppen lieber selbst. Und dann haben die einfach gesagt: Okay, macht mal." Die Sendung "Das feuerrote Spielmobil" wird ein Riesenerfolg, genauso wie Gulbranssons Handpuppen, die er dafür entwirft: die Hunde "Wuff" und "Biff".

Reines Glück? Oder doch nur Talent? Wie auch immer. Gulbransson studiert später an der Kunstakademie und plaudert eines Tages, nebenbei, mit dem Besitzer eines Zeichentrickstudios: "Der suchte eine Idee für einen Trickfilm und sagte, wenn mir etwas einfiele, stelle er mich sofort an." Zehn Jahre arbeitet Gulbransson dort. Dann fährt er zum Comic-Festival nach Bologna: "Eigentlich hatte ich keine Lust, aber ich habe mich von einem Freund überreden lassen." Dort hatte der Oberon-Verlag einen Stand, der damals Comics für den holländischen Markt herausbrachte. Die Holländer sind von Gulbranssons Comics begeistert, aber nur unter einer Bedingung: "Wenn wir das nehmen, musst Du Donald Duck für uns zeichnen." Und seither zeichnet er Donald und schreibt auch dessen Geschichten, in denen seine Figur mittlerweile auch mal zum Handy greift. Ein Tribut an den Wandel der Zeit, wenn man so will.

Gulbransson könnte Stunden so über sein Alter Ego sprechen, seine eigene Geschichte mit der seiner Figur verknüpfen. Er ist dabei jemand, der verschiedene Handlungsstränge ineinander webt, fast so, als ob er sich mit arabischer Erzähltradition befasst hätte. Das ist insofern verblüffend, weil Comics von kurzen, pointierten Dialogen leben. Doch wenn es ums Schreiben geht, hat Gulbransson ein anderes Idol: den amerikanischen Schriftsteller Stephen King. Aus dessen Buch "Das Leben und das Schreiben" habe er viel gelernt, sagt er. Aber eines glaubt Gulbransson seinem Idol nicht: Dass der nie den Ausgang einer Geschichte kennt, wenn er zu schreiben beginnt. Für Gulbransson nahezu unmöglich. Zumindest nicht bei Comics.

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Quelle:
SZ vom 27.08.2019/zara
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