Ausstellung James Ensor:Der Tod in seiner fröhlichen Frechheit

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Eine große Werkschau in Mannheim zeigt das absurde Theater verlogener Bürgerlichkeit des James Ensor, vom Wimmelbild bis zum Stillleben.

Von Till Briegleb

Der Tod ist wieder da, zusammen mit seinen grotesken Jüngern. Leuchtend weiß und grinsend mit der verloschenen Kerze in der Hand, als einziger barhäuptig zwischen Fratzen mit karnevaleskem Kopfschmuck und toten Augen, die ihn zum Fressen gern haben, ist er wieder in der Kunsthalle Mannheim. Allerdings nur zu Besuch. Denn James Ensors Schlüsselwerk "Der Tod und die Masken" von 1897 wurde 1937 geschmäht und zu Geld gemacht. "Entartet" fanden die Entarteten des deutschen Faschismus das berühmte Bild, das dem Museum seit 1927 gehörte, und verkauften es über Schweizer Kunsthändler nach Lüttich.

Von dort ist es jetzt für ein paar Wochen zurück in Mannheim im Zentrum der großen James-Ensor-Retrospektive - mit 60 Gemälden und 120 Grafiken die erste umfassende Schau in Deutschland seit der Ausstellung in der Frankfurter Schirn 2006. Hier strahlt der Tod wieder in fröhlicher Frechheit, der ewig grinsende Begleiter von James Ensors Kunst. Als bissiger Kritiker der Satten und Selbstgefälligen der Belle Époque (wenn auch meist mit löchrigen Zahnreihen) führt der Tod hier das Regime über die Schar der Falschen: die Masken, die Ensor als das wahre Erscheinungsbild seiner Zeit empfand.

Der lebenslang in Ostende Verwurzelte, der seine besten Bilder in den zwei Jahrzehnten vor der Jahrhundertwende in einer Dachkammer seines Elternhauses malte - von der Kunstkritik und den Salons abgelehnt und verspottet -, ließ keinen Zweifel daran: "Hinter den Masken verbergen sich Gewalt und Glanz." Diese Ambivalenz des Verborgenen, die er in seinen vielen ketzerischen Bilderzählungen ausmalte, ist dafür verantwortlich, dass sein Werk alle Kunstmoden und -wechsel unbeschadet überlebt hat.

Hundert skurrile Masken aus Deutschland lieferten Ensor die Vorlagen für seine Figuren

Ensor, der erst Anerkennung für sein Werk und einen Adelstitel vom König erhielt, als sein bizarrer Einfallsreichtum sich erschöpfte, war sich der symbolischen Sprengkraft seiner Motive sehr bewusst. "Ich habe den abgeschmackten Gecken auf immer entstellt", schrieb er in einem dadaistisch klingenden Gedicht über die Bürger und Offiziere, die "fettwanstigen Professoren" und "allmächtigen Magister", die das belgische Königreich in dem damals mondänen Badeort repräsentierten, das absurde Theater verlogener Bürgerlichkeit. Die schwarzen Augen in deren deformierten Grimassen zeigen die Farbe leerer Augenschlitze, die entsteht, wenn eine Maske abgenommen ist.

Nachdem Ensor 1880 nach Ostende von der Akademie in Brüssel zurückgekehrt war, die er wegen ihrer toten Kunstrituale als "Dose für Kurzsichtige " bezeichnete, erwarb er rund 100 skurrile Masken aus Deutschland, die fortan die Vorlagen für seine Hauptdarsteller bildeten. Gedrängt in Gruppen bis hin zum Wimmelbild, oder als Akteure rätselhafter Zwistigkeiten geben diese Maskenwesen Ensors Bildtheater die scharfe Note des Gemeinen - oder auch des Satirischen für alle, die sich nicht gemeint fühlen. Die Masken schüren Gerüchte in der "Intrige", die Gerippe sind im bitteren Streit mit Lanze und Besen um den gehängten Maler, der mit dem Schild "Ragout" um den Hals von der Decke baumelt. Sie versammeln sich als Todsünden unter einem Todesengel, oder spielen kokett, frierend oder verwirrt das richtige Leben im Toten nach.

Wild gestikulierend und kindisch bewaffnet zeigen diese Geister und Toten nicht nur die explosive seelische Gemengelange einer Gesellschaft an, die zu Ensors Lebzeiten im Kongo, der Kronkolonie von Leopold II., zehn Millionen Menschen ermordete oder verstümmelte. Die regellose Lustbarkeit, die Ensor mit diesen Figuren gleichfalls darstellte, ist vermutlich mit dem "Glanz" gemeint, der hinter Masken verborgen ist: die verklemmten Sehnsüchte nach Befreiung der Gefühle und Lüste, die in die falsche Etikette der Anständigkeit gefesselt waren. Und unter denen James Ensor selbst gelitten haben könnte, der sein Leben lang in platonischen Beziehungen zu Frauen verblieb, weil seine Familie sie nicht für standesgemäß hielt oder sie bereits verheiratet waren.

Am Strand von Ostende wird posiert, geküsst, kopuliert und gegafft

Allerdings füllt dieser wichtigste Komplex in Ensors Schaffen, die Toten- und Maskentänze, in der Mannheimer Schau nur einen Saal. Die Ausstellung widmet sich ansonsten weniger prominenten Werkaspekten wie den Stillleben, den Landschaftsbildern, dem von Ensor komponierten und als Pantomime aufgeführten Ballett "Die Liebestonleiter" sowie der Grafik. Auch hier ist das rebellische Moment fast überall prägend, etwa in den Karikaturen oder in dem Wimmelbild vom reichen Badespaß am flachen Sandstrand von Ostende, wo vor allem posiert, geküsst, kopuliert und gegafft wird, und zwar zwischen allen Geschlechtern und Tieren ohne Hemmung.

Doch zentral für Zeichnung und Grafik dürfte Ensors Beschäftigung mit dem Christentum sein. Während er Jesus als Alter Ego verstand, der gegen eine feindselige Gesellschaft antritt - etwa in seinem berühmtesten Gemälde "Der Einzug Christi in Brüssel" von 1889, das in Mannheim nur in Vorstudien gezeigt werden kann -, war die weitere Darstellung des Christentums bewusst blasphemisch. Sein Memento-Mori-Spott mit Gevatter Tod blieb bar jeden spirituellen Trostes. So sieht in seinem berühmten Zyklus "Szenen aus dem Leben Christi" von 1921 die Taufe durch Johannes aus wie eine schwule Sexszene, die Verkündigung wie lesbische Leidenschaft, die heilige Familie erscheint wie Monster aus der Hölle, und der Esel auf der Flucht nach Ägypten kackt. Ensors Wut gegen die "fetten Ideologen", die sich in seinem Wunsch äußerte "Schießt auf die Schleimscheißer und bellenden Souffleure", bezog sich explizit auch auf die Rolle der Kirche im Staat.

Ensor blieb sein Leben lang zwar ein selbstisolierter Künstler, der - wie auch ein anderer großer Symbolist dieser Zeit, Gustave Moreau - bei seiner Mutter lebte. Aber mit den Träumen und Alpträumen, durch die deutlich die Wirklichkeit schien, war Ensor nicht isoliert im Belgien des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Die Atmosphäre von Dekadenz und Trägheit, die durch ungerechtfertigte Privilegien und Auslagerung der Sexualität ins Bordell gekennzeichnet war, hatte eine ganze Generation von Symbolisten hervorgebracht, die Ensor in der Suche nach dem Unterbewussten sehr ähnlich war. Fernand Khnopff, Félicien Rops und Leon Spilliaert sind sicherlich die bekanntesten Maler dieser Strömung. Ensors Ausnahmestellung beruht auf der besonderen Originalität seiner Methode. Denn das, was er als Groteske zeigte, war für ihn das wahre Gesicht der bürgerlichen Abgeklärtheit, dem er die Maske herunterriss. Und deswegen ist James Ensor, der 1941 den Pinsel aus der Hand legte und 1949 starb, weniger der "Maler der Masken", als der er stets bezeichnet wird, vielmehr verkörpert er den springlebendigen Tod ihrer Verstellungskunst.

James Ensor. Kunsthalle Mannheim . Bis 3. Oktober. Der Katalog kostet 29,50 Euro.

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