Süddeutsche Zeitung

"James Bond 007: Keine Zeit zu sterben":Jaja, wie schön

Der Start verschiebt sich ständig. Jetzt ist mal gut. Weltexklusiv: So ist (offenbar) der neue James Bond.

Von Johanna Adorján

Etwas Neues konnten wir in dieser Pandemie lernen: Warten, ohne dass es sich wirklich anfühlt wie Warten. Eher ein Abwarten. Ein passives, mit der Zeit duldsam gewordenes Ausharren in der Ungewissheit. Wird das Warten überhaupt je ein Ende haben? Wir wissen es nicht und richten uns in der Zwischenzeit eben so ein.

Als Symbol für diese neue Tätigkeit, die man früher (2019, 2018 ...) als Gleichgültigkeit bezeichnet hätte, die aber heute lebensnotwendig ist, mag der neue James Bond gelten, der so oft verschoben wurde, dass sein aktuell gültiger Starttermin nur noch als Lebenszeichen wahrgenommen wird. Soll im November kommen, jaja, wie schön, danke für die Benachrichtigung. Halten Sie uns bitte unbedingt auf dem Laufenden, und alles Gute auch für Sie weiterhin.

Seit der eigentliche Starttermin aus bekanntem Grund vom Frühjahr 2020 auf später verschoben wurde und dann auf noch später, hat sich einiges getan. Prinz Harry ist aus dem Englischen Königshaus ausgeschieden, England aus der EU, und wer will im Herbst 2021 bitteschön noch mit einem Nokia-8.3-5G-Handy telefonieren? Ja, das ist ein Problem, denn der neue James-Bond-Film ist mit geschätzt 250 Millionen Euro Herstellungskosten eine der bisher teuersten Kinoproduktionen, und inzwischen sind viele der Produkte veraltet, die darin für sehr viel Geld in die Arri-Kamera gehalten wurden. Man wird nachdrehen oder digital retuschieren müssen. Denn, das darf man nicht vergessen: James Bond ist nicht länger ein Film, der alle paar Jahre in einer neuen Version ins Kino kommt und möglichst ganze Familien unterhalten soll: Es ist ein Franchise-Unternehmen. Dessen Marketing so gut funktioniert, dass man inzwischen, wenn man nicht höllisch aufpasst, Daniel Craigs Kopf für eine Olive hält.

Die Daniel-Craig-Ära zeichnet sich durch endlose Hoffnungslosigkeit aus

Aber wie ist er denn nun, der "neue" Bond? Die Warterei leid, haben wir uns eingelesen und alles, was man sich heute schon ansehen kann, angesehen. Und man muss leider sagen: Er ist zu lang. 163 Minuten, also umgerechnet eine Miniserie - warum? Man kennt das ja schon zur Genüge, diese überlangen Actionfilme, wo sich der Showdown, mit dem man als Zuschauer vollauf zufrieden war, eine weitere halbe Stunde später rückblickend nur als Auftakt zu einer nicht enden wollenden Orgie von Explosionen und Schießereien herausstellt, die einen zuletzt völlig leer und ermattet in der Schlange vor der Toilette anstehen lässt.

Gute Laune macht "No Time to die" auch nicht. Aber das ist Absicht: Man soll ja gar nicht mehr in heiterer Stimmung aus einem neuen James Bond kommen. Die Daniel-Craig-ist-James-Bond-Ära zeichnet sich vor allem anderen durch Hoffnungslosigkeit aus. Natürlich, die Zeiten haben sich geändert, und heutzutage klatscht man nicht mehr vergnügt im Vorbeigehen einer Geheimdienstmitarbeiterin auf den Po. Schön. Aber muss man sein Publikum deswegen gleich so runterziehen? Und wenn es immer heißt, jede Zeit habe den Bond, den sie verdient, und unsere Gegenwart sei eben sehr düster - war denn die Ära des Kalten Kriegs mit ihrer ernsthaften atomaren Bedrohung, durch die sich die Fantasiegestalt James Bond mit Charme und Schwung schoss, so viel lustiger? Ist es nicht in Wahrheit auch wahnsinnig nervig, dass man nun in jeder neuen Franchise-Folge episch eingehämmert bekommt, dass Bond, James Bond, eine wahnsinnig schwere Kindheit hatte und deswegen irre introvertiert, einsam und traurig ist?

Zur Handlung: James Bond ist seit fünf Jahren aus dem Dienst für den britischen Auslandsgeheimdienst ausgestiegen und lebt auf Jamaika, wo er von Rückblenden heimgesucht wird. "The past is not dead", seufzt er irgendwann, ein bekanntes Faulkner-Zitat. Diese verfluchte Vergangenheit ... Bonds großes Problem ist die Liebe. Unglückliche, tragische, nicht lebbare Liebe. Er kann dann doch noch mal überredet werden, zurück in den Ring des internationalen Verbrechens zu steigen - wie auch Daniel Craig noch einmal überredet werden konnte, die Bürde dieser Rolle zu schultern. Sozusagen gegen seinen eigenen Willen: Als der Schauspieler 2015 gefragt wurde, ob er noch einmal Bond spielen würde, sagte er, eher würde er sich die Pulsadern aufschneiden.

Der Bösewicht ist wieder mal der böseste Bösewicht aller Zeiten

Hat er nicht. Und so bolzt er sich nun wieder mit seinem Putin-Bodyguard-Flair und in seinen zum Platzen gespannt aussehenden Anzügen von einem Schlamassel zum nächsten. Der Unterschied zwischen ihm und anderen Actionhelden, sagen wir Jason Bourne oder dem namenlosen CIA-Agenten aus "Tenet", besteht dabei nur noch in der berühmten James-Bond-Titelmelodie. Selbstverständlich weht sie nur noch selten und wie aus einer vergessenen Ferne in einen James-Bond-Film hinein. Soll ja bloß nichts hymnisch sein oder irgendwie gute Laune machen.

Doch nicht nur der Held ist gebrochen: Sein Gegenspieler ist es natürlich auch. Es ist wieder mal der böseste Bösewicht aller Zeiten. Was heißt: Er spricht noch leiser als die Bösewichter vor ihm, guckt noch trauriger und verlorener, ist noch einsamer. Noch eine arme geschundene Seele. Langsam wäre es schon fast wieder spannend, mal einen Bösewicht zu sehen, der rumschreit, oder?

Diesmal gibt Oscar-Preisträger Rami Malek (ohne Zahnprothese) den grausamen Softie, er heißt Safin und hängt dem Irrglauben an, die Welt retten zu können, wenn er nur ... Dabei würden allerdings Millionen Menschen sterben, weil ... Was Bond natürlich zu verhindern ...

Vor einem Jahr wurde der Titelsong veröffentlicht. Noch heute wartet man darauf, dass er vom Fleck kommt, sich die Streicher irgendwann zu Symphonielautstärke aufschwingen oder sonst eine musikalische Entwicklung passiert, aber nein. Tieftraurig und verhalten beginnt er, bleibt er und endet er dann. "We were a pair / But I saw you there / Too much to bear", singt Billie Eilish und spielt damit auf das eigentliche Thema des Films an: die tragische Liebe zwischen Bond und Madeleine Swann (Léa Seydoux), die wir schon aus "Spectre" (2015) kennen. Sie spielt ein doppeltes Spiel: Als Bond sie kurz vor dem Showdown vor dem finalen Showdown in Safins entlegen gelegenem Hauptquartier sieht, guckt er entgeistert. Was macht sie denn hier? Wobei man natürlich hinzufügen muss, dass auch Madeleine Swann kein glücklicher Mensch ist. Auch auf ihrer Seele lastet viel Schuld.

Regisseur Cary Fukunaga war am Set besser angezogen als die Schauspieler

007 wird diesmal, da James Bond ja inzwischen in Rente ist, von einer Frau gespielt, Lashana Lynch. Christoph Waltz spielt Christoph Waltz, diesmal mit leisen Hannibal-Lecter-Anklängen. Als Blofeld in "Spectre" zuletzt in Gefangenschaft geraten, aus der er sich trotz überdurchschnittlichem IQ in fünf Jahren nicht befreien konnte, gibt er diesmal mit teuflischem - und natürlich leisem - Amüsement Hinweise zur Ergreifung Safins (oder auch nicht). Regie führte Cary Fukunaga, der mit der Serie "True Detective" bekannt wurde und auf allen Fotos von den Dreharbeiten besser aussieht - und angezogen ist - als alle Schauspieler zusammen.

Sollte "No Time to die" tatsächlich irgendwann ins Kino kommen, erwarten den Zuschauer 163 Minuten Schwermut, unterbrochen von spektakulär gefilmten Verfolgungsjagden und garniert mit allerlei Product Placement. Aus heutiger Sicht, so wie die Lage nun einmal ist, in der wir zusammen mit James Bond feststecken, ist die Vorstellung, sich ihn eines Tages zusammen mit anderen Menschen in einem Kinosaal ansehen zu dürfen, bis hin zum Verhallen der letzten Explosion im wirklich allerletzten Showdown, eine überwältigend schöne Vorstellung.

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