Jakob Augstein auf Antisemitismus-Liste:Ausweitung der Kampfzone

Jakob Augstein

Fünf Augstein-Zitate stehen auf der Liste des Simon Wiesenthal Centers, die man ohne rhetorische Hinführung als Polemik gegen Israel lesen könnte.

(Foto: dpa)

Auf einer Liste mit den Führern der ägyptischen Muslimbrüderschaft und der iranischen Regierung um Mahmud Ahmadinedschad: Der Journalist Jakob Augstein ist vom Wiesenthal Center unter die Top Ten der weltweit gefährlichsten antisemitischen und anti-israelischen Verleumdungen gewählt worden. Doch das Ranking erntet Widerspruch.

Von Lothar Müller

Ende November 2012 wurde der noch nicht existierende Palästinenserstaat durch die UN-Vollversammlung aufgewertet. In Israel wird am 22. Januar 2013 gewählt werden. Allen Prognosen zufolge wird die Regierung unter Benjamin Netanjahu noch einmal als Sieger aus diesen Wahlen hervorgehen. Die Vorstellung jedoch, es werde sich dadurch nichts ändern an der festgefahrenen Lage im Nahen Osten, ist falsch. Das hat kürzlich der israelische Historiker Gershom Gorenberg in seinem Blog southjerusalem.com unter Hinweis auf das gewachsene Gewicht religiösen Extremisten auf der Likud-Liste dargelegt, die für die Annexion der West Bank eintreten und die Palästinenser zur Emigration "ermutigen" wollen. Als "Bibi Unbound", so Gorenbergs These, als "entfesselter" Ministerpräsident, der die kompromisslose Reaktion auf den Beschluss der UN-Vollversammlung weiter radikalisiere, werde Netanjahu weiterregieren und noch aktiver als bisher die Zwei-Staaten-Lösung durch die Siedlungspolitik zu verhindern suchen. In der Zwischenzeit wird Meinungspolitik betrieben, auch im Kleinen.

Es war keine Meinungsäußerung, sondern eine Feinderklärung, als kürzlich das Simon Wiesenthal Center in Los Angeles seine Top Ten-Liste der weltweit gefährlichsten antisemitischen und anti-israelischen Verleumder publizierte. Auf Platz neun des Rankings setzte es den deutschen Journalisten Jakob Augstein, den Herausgeber der Wochenzeitung Freitag, der im vergangenen Jahr in seinem spiegel.online-Blog die Politik der aktuellen israelischen Regierung mehrmals scharf attackiert hatte.

Die Feinderklärung stellte ihn in eine Reihe mit den Führern der ägyptischen Muslimbrüderschaft, die Platz eins, und der iranischen Regierung um Mahmud Ahmadinedschad, die Platz zwei einnahm. Ebenso wichtig aber war, dass Augstein nicht auf den letzten Platz gesetzt wurde. So stand er noch vor Louis Farrakhan, dem Führer der afroamerikanischen Bewegung "Nation of Islam", der Hetzreden gegen die angebliche jüdische Kontrolle der US-Medien hält und beim Aufpeitschen seines Live-Publikums kein antisemitisches Stereotyp auslässt.

Die Tonart, die Farrakhan anschlägt, muss man in die Texte Jakob Augsteins auch dann hineinlesen, wenn er er das politisch konfuse Anti-Israel-Gedicht von Günter Grass verteidigt oder die Vernichtungsdrohung radikaler Palästinenser oder der iranischen Regierung gegen Israels so weit herunterdimmt, dass vor allem Israel als Gefahr für den Weltfrieden erscheint.

Antisemitismus-Vorwurf als Markenzeichen

Um die Lücke zwischen Augstein-Zitaten und Farrakhan zu schließen, versah das Wiesenthal Center den Eintrag zu Platz 9 mit der Anmerkung, der "angesehene Welt-Kolumnist Henryk M. Broder", der bereits im Bundestag als Zeuge zum Anti-Semitismus in Deutschland aufgetreten sei, habe Augstein wie folgt charakterisiert: "Jakob Augstein ist kein Salon-Antisemit, er ist ein lupenreiner Antisemit, eine antisemitische Dreckschleuder, ein Überzeugungstäter, der nur Dank der Gnade der späten Geburt um die Gelegenheit gekommen ist, im Reichssicherheitshauptamt Karriere zu machen."

Der Antisemitismus-Vorwurf ist seit Jahrzehnten Broders publizistisches Markenzeichen, seine Attacken auf Augstein haben schon vor geraumer Zeit begonnen, und so war es vielleicht kein Wunder, dass der israelische Historiker Tom Segev, von der taz befragt, was er von dem neuen Fall halte, lapidar antwortete: "Für mich hört sich das Ganze wie eine interne Berliner Szene-Fehde an". Und Micha Brumlik, Pädagogikprofessor in Frankfurt am Main und langjähriger Leiter des Fritz Bauer-Institutes zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust, winkte ebenfalls ab. Man solle das nicht so ernst nehmen, sagte er der taz und fügte hinzu: "Augstein manövriert zwar gelegentlich an der Grenze zum Ressentiment, aber er argumentiert differenziert."

"Kleiner Julius Streicher"

Es ist verständlich, dass für Israel-Kenner wie Tom Segev und Micha Brumlik der "Experte" Henryk M. Broder nicht wichtig ist und Jakob Augstein keine ernsthafte Gefahr darstellt. Und doch ist dieser Fall mehr als nur ein letztlich provinzielles Symptom der Medienrivalitäten in Berlin. Das Top-Ten-Antisemitismus-Ranking des Wiesenthal Centers, das nicht von ungefähr an "Most wanted"-Plakate erinnert, fügt die deutsche Affäre symbolisch in die Sphäre der Weltpolitik ein. Der Szenenwechsel ist aufschlussreich. Das Ranking gehört zur publizistischen Ausweitung der Kampfzone, in der aktuell in Israel wie in den Vereinigten Staaten um die künftige Politik Israels im Nahostkonflikt gestritten wird.

Gershom Gorenberg ist 1977 aus Kalifornien nach Israel eingewandert. Seine amerikanische Staatsangehörigkeit hat er noch. Er publiziert in Israel wie in den Vereinigten Staaten, er ist nicht nur einer der schärfsten innerisraelischen Opponenten Netanjahus, er ist zugleich das amerikanische Gegenüber zum publizistischen "Top-Ten-Antisemitismus-Ranking". Als orthodoxer Jude tritt Gorenberg seit Jahren dafür ein, die religiöse Dimension des Zionismus, die ihm in der Epoche seiner Entstehung als Befreiungsbewegung des jüdischen Volkes zuwuchs, aus der Politik des modernen Staates Israel fernzuhalten.

Sein Buch "The Unmaking of Israel" (2011), das im vergangenen Jahr unter dem zugespitzten Titel "Israel schafft sich ab" (Campus Verlag, Frankfurt 2012) auch auf Deutsch erschienen ist, erzählt die Vorgeschichte der aktuellen kompromisslosen Politik Israels seit dem Jahr 1948, und vor allem seit 1967. Es nimmt den Verweisen auf die äußere Bedrohung Israels durch die Vernichtungsdrohungen der radikalen Palästinenser wie des Iran und auf die schlechten Erfahrungen nach der Räumung des Gaza-Streifens nichts von ihrer Dringlichkeit.

Gorenberg setzt schlicht voraus, dass der Staat Israel zurecht als "Zuflucht für die Juden" gegründet wurde und sein Existenzrecht nicht zuletzt daraus bezieht. Aber sein Buch ist zugleich eine scharfe, im Blick aufs historische Detail argumentierende Kritik der messianischen Aufladung des jüdischen Staates nach seiner Gründung, der Sakralisierung des besetzten Landes durch orthodoxe Siedler, der Verengung des "jüdischen Staates" zu einem exklusiv jüdischen Staat, der seine palästinensischen Bürger diskriminiert.

Es besteht wenig Aussicht, dass Gorenbergs Plädoyer für "die Beendigung der Besatzung, die Garantie voller Gleichheit, die Trennung von Staat und Synagoge" und eine daraus hervorgehende "zweite Gründung Israels" in der nahen Zukunft Israels politische Wirksamkeit entfaltet. Aber es ist kein Zufall, dass sein Buch mit einem Blick auf die Beziehungen Israels zur Diaspora, und zumal zum amerikanischen Judentum endet.

Verstellter Blick auf Israel

Denn anders, als die - auch bei Jakob Augstein zu findende - pauschale Rede von der blind israeltreuen "jüdischen Lobby" in den Vereinigten Staaten suggeriert, sind die amerikanischen Juden keineswegs eine Kraft, über die Netanjahu selbstverständlich verfügen kann. Der Frage, ob das Jahr 2013 womöglich das Ende der Solidarität - oder zumindest Tolerierung - der Politik Israels durch die amerikanischen Juden werde, widmete in diesen Tagen die israelische Zeitung Haaretz ein eigenes Dossier.

Deutsche Broder-Debatten wie die, ob in Jakob Augstein ein "kleiner Julius Streicher" wiederkehre, und symbolische Ausweitungen der Kampfzone wie die des Simon Wiesenthal Centers in Los Angeles verstellen den Blick auf die in Israel, aber auch in den USA immer nachdrücklicher diskutierte Verschränkung der Bedrohung Israels von außen und der Bedrohung durch die "Selbstdemontage", die Gorenberg und andere Verfechter der Zwei-Staatenlösung kritisieren. Dass sie es auf verlorenem Posten tun, ist Teil der prekären Lage Israels.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: