Ende November 2012 wurde der noch nicht existierende Palästinenserstaat durch die UN-Vollversammlung aufgewertet. In Israel wird am 22. Januar 2013 gewählt werden. Allen Prognosen zufolge wird die Regierung unter Benjamin Netanjahu noch einmal als Sieger aus diesen Wahlen hervorgehen. Die Vorstellung jedoch, es werde sich dadurch nichts ändern an der festgefahrenen Lage im Nahen Osten, ist falsch. Das hat kürzlich der israelische Historiker Gershom Gorenberg in seinem Blog southjerusalem.com unter Hinweis auf das gewachsene Gewicht religiösen Extremisten auf der Likud-Liste dargelegt, die für die Annexion der West Bank eintreten und die Palästinenser zur Emigration "ermutigen" wollen. Als "Bibi Unbound", so Gorenbergs These, als "entfesselter" Ministerpräsident, der die kompromisslose Reaktion auf den Beschluss der UN-Vollversammlung weiter radikalisiere, werde Netanjahu weiterregieren und noch aktiver als bisher die Zwei-Staaten-Lösung durch die Siedlungspolitik zu verhindern suchen. In der Zwischenzeit wird Meinungspolitik betrieben, auch im Kleinen.
Es war keine Meinungsäußerung, sondern eine Feinderklärung, als kürzlich das Simon Wiesenthal Center in Los Angeles seine Top Ten-Liste der weltweit gefährlichsten antisemitischen und anti-israelischen Verleumder publizierte. Auf Platz neun des Rankings setzte es den deutschen Journalisten Jakob Augstein, den Herausgeber der Wochenzeitung Freitag, der im vergangenen Jahr in seinem spiegel.online-Blog die Politik der aktuellen israelischen Regierung mehrmals scharf attackiert hatte.
Die Feinderklärung stellte ihn in eine Reihe mit den Führern der ägyptischen Muslimbrüderschaft, die Platz eins, und der iranischen Regierung um Mahmud Ahmadinedschad, die Platz zwei einnahm. Ebenso wichtig aber war, dass Augstein nicht auf den letzten Platz gesetzt wurde. So stand er noch vor Louis Farrakhan, dem Führer der afroamerikanischen Bewegung "Nation of Islam", der Hetzreden gegen die angebliche jüdische Kontrolle der US-Medien hält und beim Aufpeitschen seines Live-Publikums kein antisemitisches Stereotyp auslässt.
Die Tonart, die Farrakhan anschlägt, muss man in die Texte Jakob Augsteins auch dann hineinlesen, wenn er er das politisch konfuse Anti-Israel-Gedicht von Günter Grass verteidigt oder die Vernichtungsdrohung radikaler Palästinenser oder der iranischen Regierung gegen Israels so weit herunterdimmt, dass vor allem Israel als Gefahr für den Weltfrieden erscheint.
Antisemitismus-Vorwurf als Markenzeichen
Um die Lücke zwischen Augstein-Zitaten und Farrakhan zu schließen, versah das Wiesenthal Center den Eintrag zu Platz 9 mit der Anmerkung, der "angesehene Welt-Kolumnist Henryk M. Broder", der bereits im Bundestag als Zeuge zum Anti-Semitismus in Deutschland aufgetreten sei, habe Augstein wie folgt charakterisiert: "Jakob Augstein ist kein Salon-Antisemit, er ist ein lupenreiner Antisemit, eine antisemitische Dreckschleuder, ein Überzeugungstäter, der nur Dank der Gnade der späten Geburt um die Gelegenheit gekommen ist, im Reichssicherheitshauptamt Karriere zu machen."
Der Antisemitismus-Vorwurf ist seit Jahrzehnten Broders publizistisches Markenzeichen, seine Attacken auf Augstein haben schon vor geraumer Zeit begonnen, und so war es vielleicht kein Wunder, dass der israelische Historiker Tom Segev, von der taz befragt, was er von dem neuen Fall halte, lapidar antwortete: "Für mich hört sich das Ganze wie eine interne Berliner Szene-Fehde an". Und Micha Brumlik, Pädagogikprofessor in Frankfurt am Main und langjähriger Leiter des Fritz Bauer-Institutes zur Erforschung der Geschichte und Wirkung des Holocaust, winkte ebenfalls ab. Man solle das nicht so ernst nehmen, sagte er der taz und fügte hinzu: "Augstein manövriert zwar gelegentlich an der Grenze zum Ressentiment, aber er argumentiert differenziert."