Jahresrückblick mit Jauch und Kerner:Ich und Ich

RTL gegen ZDF: Der Kampf um den längsten und lautesten Jahresrücklick. War das Jahr wirklich so schlimm wie bei Jauch und Kerner? Eine kleine Nachtkritik.

Ruth Schneeberger

Was den Menschen angeblich vom Tier unterscheidet, ist die Fähigkeit zur Reflexion. Also scheint es nur recht und billig, dass das Fernsehen einen Jahresrückblick anbietet, woraufhin der Zuschauer innehalten und den Lauf der Welt überdenken möge. Warum aber wird der Jahresrückblick nunmehr nicht am Ende des Jahres, sondern Anfang Dezember ausgestrahlt? Und warum lassen RTL und ZDF ihre Rückblicke nicht nur am selben Tag, sondern auch noch zur selben Zeit laufen?

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Sieht uns jemand? Johannes B. Kerner und Günter Jauch im Wettstreit der Reflexionen.

(Foto: Foto: dpa)

Dies sind die Fragen, mit denen man sich am Sonntagabend in einen TV-Marathon stürzt, den das Öffentlich-Rechtliche gar mit noch mehr Protzerei beendet als das Private - aber beginnen wir von vorne:

Günther Jauch und Johannes B. Kerner hätten mehrfach vor der Sendung miteinander geredet, meldet die Nachrichtenagentur ddp - doch der gleichzeitige Sendetermin sei nicht zu verschieben gewesen.

RTL besteht darauf, mit seinem Jahresrückblick auf dem Stammplatz geblieben zu sein, nämlich dem zweiten Advent. Auch das ZDF habe seinen Platz nicht gewechselt, nämlich den ersten Sonntag im Dezember. Allerdings wurde hier die Sendezeit um anderthalb Stunden vorverlegt, auf die 20:15-Uhr-Schiene. "Richtig doof ist es nur für die Zuschauer", lässt sich Kerner zitieren, wobei man das "nur" wohl ernst nehmen darf. Nun komme es darauf an, wer die besseren Gäste habe, lässt er sich auf den öffentlichen Wettstreit mit RTL- Zugpferd Jauch ein.

Wovor man hätte Angst haben müssen

Dann schauen wir mal, was beide zu bieten haben: Kerner beginnt im ZDF mit einer Katastrophe. Als ginge es darum, dem Rot- und Blaulichtsender RTL sein liebstes Spielzeug wegzunehmen, beleuchtet das Zweite Deutsche Fernsehen in aller Ausführlichkeit, wie im März ein Airbus mit knapper Not während des Orkantiefs Emma in Hamburg in schweres Schlingern geriet. Zwar war dies nur eine Beinahe-Katastrophe - aber Kerners Redaktion hat einen Experten gefunden, der attestiert: "Da hat nicht viel gefehlt."

Umschalten zu Jauch: Der Moderator hat sich - ganz privat - zu einer hübschen jungen Dame ins Publikum gesetzt, die "Häng, häng, häng!" murmelt, während ihr Lebensgefährte tollkühne Rollen am Reck vorführt. Man kann von Glück sagen, dass nichts schiefgeht, denn bei den Olympischen Spielen in Peking hat ebenjener durch unschönes Abrutschen alle Hoffnungen auf eine Goldmedaille fahren lassen. Auch hier also: Mit dem Turner Fabian Hambüchen hat es für RTL nur zum Beinahe-Gold-Gewinner gereicht.

Zurück zu Kerner, der immer noch an seinem Beinahe-Flugzeugunglück herumwurstelt. Mit ihm diskutieren ein Chefpilot und ein Sportjournalist (warum auch immer) darüber, wovor man hätte Angst haben müssen, und der Zuschauer erfährt, dass bisweilen sehr spezielle Winde wehen und Flugzeuge "sehr, sehr viel aushalten". Als ob das Thema damit noch nicht ausgeschlachtet wäre, sieht man nun Kerner per Simulation das Fast-Unglück noch einmal nachspielen. Beängstigend.

Bevor man umschalten kann zur Konkurrenz, zieht Kerner die Allzweckwaffe: Marcel Reich-Ranicki. Zugeschaltet aus Frankfurt, im Hintergrund eine Bücherwand, lässt der Literaturkritiker sich seine unerschütterlich schlechte Laune nicht austreiben, besteht darauf, den Deutschen Fernsehpreis immer noch nicht annehmen zu wollen und gibt einen Ausblick darauf, dass er am Ende der Sendung Charlotte Roches "Feuchtgebiete" verreißen wird. Nun könnte man eigentlich getrost für den Rest des Jahresrückblicks umschalten oder sich einen Preis ausdenken, den R-R annehmen würde, denn besser wird's bei Kerner nimmer. Aber das weiß man zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, wie Jauch sich schlägt.

Ich und Ich

Es folgen fast ausschließlich Sportler - mit denen kennt Kerner sich schließlich aus -, die merkwürdigerweise alle dunkelgraue Anzüge tragen (und das sogar auf RTL), dann ein elend langer Olympia-Rückblick, in dem Kerner wohl alle seine Peking-Erlebnisse unterbringen musste, und der wohl lustig sein soll.

Udo Lindenberg feiert sein "Comeback des Jahres 2008", malt ein Bild von sich selbst und macht ein bisschen Cross-Promotion für die tags zuvor im ZDF ausgestrahlte Springer-Spenden-Gala "Ein Herz für Kinder". Wobei man sich nicht sicher ist, ob er nicht doch gerade von Helge Schneider parodiert wird.

Und dann wird, weil es so originell ist, ein wenig "Wetten dass..?" gespielt: Zwei Mädchen sollen Textpassagen aus den Büchern ihrer Lieblingsautorin Cornelia Funke ("Tintenherz") erraten, die von Kerner mindestens zweihundertmal als "phantastisch" gelobt wird. Zu Gast ist außerdem der Münchner Rentner, der ausführlich über den Überfall auf ihn in der U-Bahn berichtet, der allerdings schon im vergangenen Jahr stattgefunden hat. Da war der Jahresrückblick 2007 aber leider schon gelaufen.

Der Beste und der Beste

Allein zwei Geschichten lassen aufhorchen: Zum Ersten die von Karl Merk, der Mann ohne Arme, dem Münchner Ärzte die Extremitäten eines Toten anoperiert haben, und der nun damit zu kämpfen hat, dass die Nerven zwar wachsen, die Muskeln sich aber zurückbilden. Trotzdem scheint er in der Sendung gefasst, froh und glücklich. Zum Zweiten die zehnjährige Nujood Ali, die im Jemen mutig die Scheidung von ihrem durch Zwangsheirat angetrauten 22 Jahre älteren Mann durchgefochten hat, und die sich nun bei Kerner so herzlich für ein albernes Stofftier bedankt, dass man sich mehr solch unverfälschte Gäste für den Abend gewünscht hätte.

Stattdessen verdirbt die Band Ich + Ich gleich zu Beginn und zur Sicherheit noch mal zum Schluss die Stimmung mit weichgespülten Herzschmerz-Balladen, wobei mit dem Sänger Adel Tawil nur ein Teil des Duos überhaupt erschienen ist - Annette Humpe fehlt, angeblich wegen Lampenfieber.

Bei Jauch ist es auch nicht besser: Ebenfalls dazugeschaltet - nicht vor einem Bücherregal, sondern vor einem knisternden Kamin - ist Fußball-Nationalspieler Michael Ballack, dem Jauch immerhin als Eingangsfrage stellt, ob er dort in einem Herrenhaus säße, weil das Ambiente und sein Grauer-Panther-Anzug nun wirklich so gar nicht passen. Dafür wird er mehrfach als "Deutschlands bester Fußballer" bezeichnet - den hat RTL später übrigens noch mal zu Gast, in Form von Philipp Lahm, während Schweinsteiger, Kahn und Lehmann sich im Öffentlich-Rechtlichen auf der Couch lümmeln.

Man wird dabei den Eindruck nicht los, dass die besseren Gäste hat, wer lauter schreit. Da wird bei RTL Oliver Pocher zum "Comedian des Jahres", und Sarah Connor, die leider auch singt, zur Stil-Ikone. In ihrem Bühnen-Outfit mit Engelslöckchen sieht sie aus wie ein Möchtegern-Starlet aus der amerikanischen Provinz. Und der Straßenmusikant Michael Hirte wird dank (Achtung, noch mal Cross-Promotion!) der RTL-Show "Das Supertalent 2008" zum Mann des Jahres und darf die Sendung auf seiner Mundharmonika beschließen.

Lesen Sie weiter auf Seite 3, wer trotz allem fröhlich bleibt.

Ich und Ich

Nicht zu vergessen, dass Formel-1-Fahrer Sebastian Vettel vorher noch schnell einen Red-Bull-Werbeträger mit großem Getöse durch den Saal lenkt. Einzig die britischen Musiker Leona Lewis und Paul Potts bringen Freude im Privaten - die beiden verstehen ihr Handwerk. Da stört es nicht entscheidend, dass sie ihre unvermeidlichen "Bleeding-Love"- und Telekom-Ohrwürmer mitgebracht haben. Günther Jauch bringt es dennoch fertig, beide Gäste mit blöden Fragen über falsche Zähne und politische Gesinnung zu verunsichern.

Und dann ist da noch Kurt Beck, der zwar tüchtig abgewatschte Ex-SPD-Chef des Jahres - aber trotzdem der einzige Politiker, der zugesagt hat bei RTL. Fröhlich kann er sich in Vergebung und Zuversicht üben, und man nimmt ihm seine neue Lockerheit auch schon fast wieder ab. Aus dem Interview mit dem "schwangeren Mann" indes - der als Frau zur Welt kam, sich zum Mann umoperieren ließ, und nun schon wieder schwanger ist -, hätte Jauch bei "Stern-TV" wohl mehr herausgeholt.

Das macht alles ziemlich müde, und es lenkt geschickt von den wirklichen Themen ab. Bankenkrise - war da was? Die Wahl zum ersten schwarzen US-Präsidenten umgeht Kerner mit der Einladung eines halbfarbigen Zwillingspärchens - und beschwört im öffentlichen Fernsehen zugleich beglückt den Anstieg der Geburtenrate in Deutschland.

Nur noch Analverkehr

Ach ja, den Coup landet dann doch noch Johannes B., weil er Charlotte Roche zu Gast hat, die sich, erfrischend wie immer, darüber beschwert, man spreche sie seit ihrem Bestseller nur noch auf Analverkehr an. Und noch einmal muss Reich-Ranicki eingreifen: Er verstehe nicht, so seine Kritik zum Bestseller "Feuchtgebiete", warum so viele Menschen einen literarisch derart wertlosen, dafür umso ekelhafteren Roman kaufen würden. Diese Frau habe "keinen Stil".

Roche kontert gelassen, sie sei es gewohnt, dass "sehr alte Männer mein Buch nicht gut finden". Für diese Rakete zum Schluss überzieht das Zweite sogar um mehr als eine halbe Stunde und überrundet damit RTL, wo man auch schon fast zehn Minuten überzogen hat und eigentlich doch auf jeden Fall länger senden wollte als das ZDF. Diese Gelegenheit lässt Kerner sich nicht nehmen und wirbt noch mal kräftig für seine eigene Sendung.

Zusammenfassend gab es bei RTL mehr Show und im Zweiten die journalistisch wertvolleren Rückblenden - aber das hätte man sich wohl vorher denken können. Sollten also im kommenden Jahr wieder zwei Sender auf die Idee kommen, dasselbe Programm zur selben Zeit anzubieten, schaut man wohl besser gleich den "Tatort".

So glichen die beiden Moderatoren, die doch eigentlich etwas auf sich halten, eher zwei Spielbällen im Kampf der Senderinteressen: Ich und Ich, zwei Kapitäne, stolz, das große Schiff "Jahresrückblick" sicher zurück in den heimischen Hafen gelenkt zu haben, durch allzu seichtes Gewässer.

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