Entdeckung der Gravitationswellen
Die Tatsache, dass die vor einhundert Jahren von Albert Einstein erdachte allgemeine Relativitätstheorie ihren letzten und wichtigsten experimentellen Beweis bekommen hat, ist erstaunlich genug. Man kann kaum ermessen, welcher Aufwand betrieben werden musste, um Gravitationswellen zu messen, ein winziges Zittern der Raumzeit, welches zwei schwarze Löcher vor Milliarden Jahren bei ihrer Kollision ausgelöst haben. Die daraus abzuleitende Erkenntnis, dass Raum und Zeit keine starre Kulisse für den Kosmos bilden, sondern formbare Größen sind, ihrerseits geprägt und gestaltet von den Objekten des Universums, ist ähnlich revolutionär wie das Unschärfeprinzip der Quantenmechanik. Philosophisch betrachtet liefert die Entdeckung von Gravitationswellen aber noch weiteren Stoff: Die Menschheit hat sich in einem kollektiven Kraftakt ein neues Sinnesorgan zugelegt. Die Erkundung des Außerirdischen, des Kosmischen, in einem pathetischen Sinn Erhabenen, ist nicht mehr auf die körpereigenen (wenngleich durch Messgeräte verstärkten) Sinne beschränkt, auf Augen, Ohren et cetera. Die Menschheit ist nun für Schwankungen der Raumzeit empfänglich, ein Wahrnehmungspotenzial, das die Evolution von sich aus nicht hervorgebracht hat. Ein unmittelbarer Überlebensvorteil im Wettkampf der Arten ist zwar darin nicht zu erkennen. Und doch: Vielleicht ist das alles der Anfang einer Ära, in der nicht Mutation und Selektion das Fortkommen bestimmen, sondern Erkenntnisdrang. Wer weiß, vielleicht ist das der Weg, auf dem andere, ferne Lebensformen dereinst mit unseren Nachfahren kommunizieren wollen.
Patrick Illinger