Jahresgaben:Weiche Drogen

Jahresgaben: Michaela Melián: "Weicher Kunstverein". In einer Auflage vo 15 für 500 Euro im Münchner Kunstverein zu haben.

Michaela Melián: "Weicher Kunstverein". In einer Auflage vo 15 für 500 Euro im Münchner Kunstverein zu haben.

(Foto: Michaela Melián. VG Bild-Kunst Bonn, 2019)

Die erschwinglichen "Jahresgaben" der Kunstvereine wecken bei vielen die Sammelleidenschaft. Für die Kuratoren sind sie mehr als ein Fundraising-Instrument.

Von Kito Nedo

Mit seiner bald zweihundertjährigen Geschichte gehört der Münchner Kunstverein nicht nur zu den ältesten seiner Art in Deutschland. Er dürfte auch über einen der schönsten Ausstellungsorte für zeitgenössische Kunst verfügen. Die Räume des gemeinnützigen Vereins in den Arkaden des Hofgartens sind zentral gelegen und geschichtsträchtig. An einem schönen Tag wirkt diese Gegend so strahlend, dass einem fast schwindelig werden könnte und diese perfekte Pracht schon wieder suspekt ist.

Der italienische Maler Giorgio de Chirico etwa, der Anfang des 20. Jahrhunderts an der Münchner Akademie Malerei studierte, war so beeindruckt von der strengen Ordnung der Arkadenbögen, dass er sich von der Architektur für seine geheimnisvoll-rätselhaften Bilder mit ihren bedrohlich-dunklen Schatten inspirieren ließ. Diese legten sich wenig später auch tatsächlich über das Gebäude. 1937 inszenierten die Nazis in den nördlichen Hofgartenarkaden ihre Propagandaausstellung "Entartete Kunst" als Gegenstück zur "Großen Deutschen Kunstausstellung" im eigens dafür errichteten Haus der Deutschen Kunst.

Die in 1956 in München geborene Künstlerin Michaela Melián ist seit ihrer Münchner Studienzeit mit dem Kunstverein und der Geschichte des Ortes vertraut. "Die Räumlichkeiten haben es in sich" sagt Melián, die als Professorin an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg lehrt. Das Gebäude und seine Geschichte forderten zur permanenten Auseinandersetzung auf.

In München stehen die Leute Schlange, um sich die besten der 400 Arbeiten zu sichern

Deshalb war die Künstlerin auch nicht allzu erstaunt als sie von der neuen Kunstvereinsdirektorin Maurin Dietrich vor kurzem auf ein Kunstwerk angesprochen wurde, das sie schon 1997 als Jahresgabe produziert hatte. Das Objekt "Weicher Kunstverein", das Dietrich in diesem Jahr erneut für ihre Mitglieder als Jahresgabe in einer Auflage von 15 Stück zum Preis von 500 Euro anbietet, ist ein aus bedrucktem Leinen genähtes und mit Watte gefülltes Modell des Gebäudes in den Maßen 16 mal 37 mal neun Zentimeter.

Als Kissen oder Nackenstütze taugt es nicht recht, für ein Kuscheltier ist es vielleicht zu minimalistisch. Doch in seiner Weichheit liegt ein wichtiger Hinweis darauf versteckt, was eine der Hauptqualitäten eines Kunstvereins ausmacht. Denn solche Vereine sind im besten Sinne Orte des künstlerischen Experiments, des Diskurses und damit Orte des nicht-verfestigten, geschmeidigen Denkens.

Jahresgaben, die viele Kunstvereine ihren Mitgliedern vor Weihnachten zum Kauf anbieten, erfüllen viele verschiedene Funktionen: Sie stärken die Mitglieder-Bindung, vermitteln das Programm, ermöglichen den Kunstkauf zu moderaten Preisen - und, sehr wichtig, sie helfen, die oft schmalen Vereins-Etats aufzubessern. Da sich der Verein und die Künstlerinnen und Künstler den Gewinn aus dem Jahresgaben-Verkauf oft teilen, werden so auch diese direkt unterstützt. Wer also in einen Kunstverein eintritt und Jahresgaben kauft, tut gleich mehrfach Gutes für die Kunst.

Die Editionen, Multiples und Unikate stellen eine eigene Form der Öffentlichkeit her

Seit die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine (ADKV) eine eigene Online-Datenbank eingerichtet hat, lassen sich viele der aktuellen Jahresgaben bequem online recherchieren. Doch eine der vielen derzeit laufenden Präsentationen zu besuchen ist schon ein besonderes Erlebnis. In München hat die alljährliche, noch bis diesen Sonntag laufende Jahresgabenausstellung mittlerweile Ritualcharakter. Am Eröffnungstag stehen die Leute Schlange, um sich die interessantesten Arbeiten zu sichern.

Für Maurin Dietrich ist das eine Form, wie sich Gemeinschaft herstellen lässt. Auch nach innen, denn die sich über Monate ziehende Erarbeitung der Präsentation "ist eine komplette Teamaufgabe". Das Angebot ist in München auch verhältnismäßig groß: In diesem Jahr werden rund 400 Arbeiten von insgesamt 97 Künstlerinnen und Künstlern angeboten. Doch die Auswahl ist nicht beliebig, denn Dietrich fragt Künstlerinnen und Künstler nur an, wenn ein lokaler Bezug zur Stadt oder zur Institution besteht.

Auch für Milan Ther, seit Februar 2018 Direktor am Kunstverein Nürnberg, stellen Jahresgaben eine "vitale Quelle des Einkommens" dar. "Die Summen, die auf diese Weise akquiriert werden sind extrem wichtig für den Kunstverein." Im Vergleich zu anderen Kunstvereinen ist die Zahl der Nürnberger Editionen überschaubar - zwischen fünf und acht Jahresgaben werden pro Jahr angeboten.

Inhaltlich verfolgt Ther eine dialogische Philosophie. Denn für die Produktion von Jahresgaben werden vor allem diejenigen Künstlerinnen und Künstler eingeladen, die mit dem Haus zum Beispiel etwa über Ausstellungen verbunden sind. Sie entstehen quasi im Zuge von Gesprächen über Ausstellungsprojekte und sind Objekte des Nehmens wie des Gebens. "Im besten Fall sind Jahresgaben organischer Teil der Arbeitsstruktur", sagt Ther. Manchmal bieten sie so auch eine eigentümliche Form der Vorschau auf kommende Ausstellungsprojekte. Und retrospektiv bilden sie eine Art Ausstellungsgedächtnis des Kunstvereins, das über dessen Räumlichkeiten hinaus besteht und sich in die Welt verteilt.

Je länger man sich mit Ther über das Thema unterhält, desto deutlicher wird, dass die Editionen, Multiples und kleinen Unikate als Bedeutungsträger für ihn eine echte mediale Funktion einnehmen, über die sich eine ganz spezifische Form von Öffentlichkeit herstellt. Für diejenigen, die sie zu entschlüsseln wissen, können sie zu sprechenden Dokumenten über das Verhältnis zwischen Künstlern und Kuratoren, Ausstellungsprojekten und Ausstellungsräumen werden.

Wer auf Wertsteigerung hofft, muss heute den Warhol oder Richter von morgen kaufen

So lässt sich etwa die Zeichnung mit dem Titel "Standing" des 1987 geboren Berliner Malers Vittorio Brodmann auch als ein Dokument des Wartens als Teil des Prozesses in der Zusammenarbeit interpretieren. Die in Nürnberg geborene Künstlerin Raphaela Vogel hingegen lieferte die kleine Skulptur "Rollo", gefertigt aus Draht und weißem Pudelhaar. Sie verweist nicht nur auf den fiktiven Hund in Fontanes berühmtem Roman "Effi Briest", sondern auch auf den sehr lebendigen gleichnamigen Königspudel der Künstlerin. Vielleicht handelt es sich aber auch um eine diskrete Anspielung auf das Reliquienhafte, das im Kult um die Kunst mitunter mitschwingt.

Jahresgaben werden oft als "Einstiegsdrogen" für das Kunstsammeln bezeichnet. Tatsächlich sind sie auch in vielen bedeutenden Sammlungen vertreten und bilden den Grundstock. Die Kunst mag verhältnismäßig günstig sein - oft ist sie von hoher Qualität. Andererseits haben Jahresgaben wenig bis nichts mit dem Kunstmarkt zu tun, obwohl man nicht ganz ausschließen kann, dass sie dort zuweilen auch landen. Zum Spekulationsmaterial taugen sie nicht wirklich.

Ein paar Ausnahmen gibt es aber. Vor zwei Jahren etwa erzielte eine Jahresgabe, die ursprünglich 1988 von Gerhard Richter für den Bonner Kunstverein in einer Auflage von 30 Stück produziert wurde, bei einer Auktion in Köln 55 000 Euro. Legendär ist auch die Siebdruckauflage mit dem Konterfei von Mick Jagger, die Andy Warhol 1981 für die Mitglieder der Kestner-Gesellschaft in Hannover lieferte. Sie kostete ursprünglich 1000 D-Mark und dürfte heute ein Vielfaches wert sein.

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